Kapitel 48

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Meine Mutter kommt eines Tages in mein Zimmer und setzt sich neben mich auf mein Bett.

„Bitte, komme wieder zurück. Ich will meine Tochter wieder haben, so wie du früher warst.“ Wenn sie nur wüsste, dass ich das auch will. Ich würde sofort aus meiner Trance herauskommen, wenn ich nur wüsste wie. Werde ich es jemals verarbeiten und damit leben können? Ich hoffe es sehr. Ich habe keine großen Hoffnungen mehr. Meine einzige Hoffnung ist John, obwohl sie auch nicht groß ist. Vielleicht kann er ja mir helfen. Ich will es einfach ausprobieren und ihn nochmals sehen. Möglicherweise wird er mir neue Kraft geben. Warum sollte ich es nicht ausprobieren? Doch wie soll ich ihn erreichen, wenn ich sonst nichts machen kann? Die Chance, dass Dad meine Mutter überreden kann, John anzurufen, halte ich nicht für sehr groß. Könnte ich klar machen, dass ich ihn sehen will? Wie soll ich das bloß machen? Ich versuche den Namen John erstmals in meinem Mund zu formen und ihn schließlich auszusprechen.

„John.“ Das ist das einzige was ich sagen kann. Mehr zu sagen bin ich gerade nicht in der Lage. Hat meine Mutter es verstanden? Zuerst sieht sie mich zuerst verwundert an und dann versteht sie was ich meine.

„Du willst wirklich mit John reden? Du kannst ja nicht mal mit uns reden. Er würde dir nicht gut tun. Glaube mir, ich weiß was für dich am besten ist.“ Woher will sie das wissen? Was für mich das Beste ist, kann ich ja noch selbst bestimmen. Sie klingt schon fast wie ein Psychopath. Ich kann reden mit wem ich will. Will sie ab jetzt über mein Leben bestimmen?

„Wenn es ihr Wunsch ist, warum sollten wir es nicht ermöglichen?“ Ich habe gar nicht gemerkt, dass mein Vater auch in mein Zimmer kam. Er lehnt sich an meine Zimmertüre. Meine Mutter steht auf und läuft zu ihm.

„Was?! Sag mal, spinnst du? Wenn John nicht gewesen wäre, dann…“

„Jaja, ich weiß. Amelie wäre nicht entführt worden usw. Du kannst sie aber nicht vor allem Schützen! So ist eben das Leben.“, unterbricht mein Vater meine Mutter.

„Das ist nicht Alltag! Sie hätte bei der Entführung sterben können! Ist dir das klar?! Wohl kaum!“

„Natürlich weiß ich das! Sie hätte auch entführt werden können wenn sie John nicht kennen gelernt hätte.“

„Nein, bestimmt nicht.“ Ich kann es nicht mehr hören! Immer diese Streiterei.

„Willst du nicht auch wieder die alte Amelie haben? Vielleicht kann er ja sie sogar aus ihrer Trance holen! Oder wenigstens, dass sie wieder mehr mitbekommt. Außerdem, so wie ich es interpretiere, will sie John sehen. Warum sollte sie sonst seinen Namen sagen? Sage es mir, warum?“

„Naja, ich weiß nicht, weil er vielleicht Gefährlich ist? Aber irgendwie hast du schon recht…“ Meine Mutter wird immer leiser. Habe ich richtig gehört? Hat sie meinem Vater zugestimmt? Das passiert nicht so oft. Eigentlich so gut wie nie. Und wenn doch, nicht so schnell. Denkt sie jetzt genau so?

„Du hast mir zugestimmt. Also soll er doch kommen oder wie?“

„Ja verdammt! Es ist das einzige was wir noch machen können!“ Meine Mutter meint es ernst zu nehmen. Sie muss echt verzweifelt sein. Sie hat ihn noch nie wirklich gemocht.

„Ok, ich rufe ihn an.“ John kommt. Er kommt. Freue ich mich? Irgendwie schon. Seltsamerweise habe ich ein bisschen Angst. Aber ich kann nicht sagen warum. Ich werde ihn wieder sehen! Ich bin schon gespannt was er zu sagen hat! Nur am Rande bekomme ich mit, dass Sabrina kommt. Sie spricht erstmals mit meinen Eltern und kommt dann in mein Zimmer. Doch ich sage wie immer nichts und irgendwann kann sie nicht mehr und geht wieder. Ich kann nicht mal sagen wie lange sie da gesessen hat. Vielleicht nur Minuten oder Stunden. So ist das in letzter Zeit immer so. Irgendwie berührt mich nichts. Ich habe keine Ahnung ob sie schon wieder das Haus verlassen hat, oder noch unten mit meiner Mutter redet. Ich vermute letzteres. Mir soll es egal sein.

Es kommt mir vor, als seien Tagen sogar schon Wochen vergangen als meine Mutter zugestimmt hat, dass John kommen sollte. War es gestern und ich habe überhaupt kein Zeitgefühl mehr? Ich hoffe es nicht. Hat meine Mutter ihre Meinung doch nochmal geändert? Warum sollte sie? Will John überhaupt kommen? Wird er jemals kommen? Oder hat er die Hoffnung aufgegeben, dass ich ihm verzeihe? Glaubt er noch an uns? Tue ich das noch? Ich weiß es nicht. Irgendwann, ich habe keine Ahnung wie viel Zeit vergangen ist, wird meine Zimmertüre aufgemacht und John guckt langsam rein. Er ist doch gekommen! Aber warum kommt er nicht ganz rein? Endlich kommt er ganz rein und schließt die Türe hinter sich. Er läuft langsam aufs Bett zu und schiebt ein Stuhl an mein Bett und setzt sich hin. Eine Weile sagt er nichts und schaut mich einfach nur an.

„Bevor du irgendetwas sagst, will ich dir etwas sagen.“ Haha, macht er Witze? Hat er es nie erfahren? Warum meint er, dass ich etwas sagen kann? Lebt er im Traumland? Was wird er mir wohl sagen? Ich höre gespannt zu.

„Du warst, bevor du entführst wurdest bei mir und dort war ich betrunken.“ Daran erinnere ich mich, nur zu gut. Er fährt fort.

„Früher ist das manchmal vorgekommen, aber ich bin deshalb kein Alkoholiker. Außerdem ist das, von diesem Fall abgesehen, schon lange nicht mehr passiert. Bitte, Vorurteile mich dafür nicht. Das würde ich nicht aushalten. Bevor ich dich traf, war ich boshaft und herzlos. Ich habe kleine Kinder geärgert, Herzen gebrochen und so Sachen eben. Aber als ich dich getroffen und kennengelernt habe, wusste ich, dass ich damit aufhören sollte und ich wollte das auch, weil es dich gibt. Du hättest dich niemals mit einem Alkoholiker abgeben. Das ist nicht dein Niveau. Ich habe es wegen dir aufgegeben. Du warst und bist es immer noch, nämlich wichtiger als der Alkohol. Das mit der Entführung tut mir unendlich leid. Ich weiß, deine Eltern machen mich dafür schuldig, insbesondere deine Mutter. Bevor du entführt wurdest und es mein Bruder gestanden hat, wusste ich nicht mal, dass mein Bruder Schulden hat. Der Mann, der dich entführt hat, war der Mann, dem mein Bruder Geld geschuldet hat. Der Mann, wollte nur sein Geld wieder haben und hat dich als Druckmittel benutzt. Ich kann nichts dafür, das musst du mir glauben! Bitte, ich flehe dich an, bitte verzeihe mir. Bitte, gebe mir nochmal eine Chance.“ Flehentlich sieht er mich an. Er sieht so aus als er es ernst meint. Soll ich ihm glauben? Schließlich hat mich sein Vortrag auch nicht ganz kalt gelassen. Ich merke, wie meine Augen glasig werden. Verdammt, ich will doch nicht weinen. Meine ziemlich erste gefühlsmäßige Reaktion seit der Entführung. Das ist doch ein gutes Zeichen oder? Hat er es verdient von mir nochmal eine Chance zu bekommen? Zum Ersten Mal seit meiner Entführung sehe ich jemanden richtig an. Die Tränen haben meine Augen verlassen und bahnen sich einen Weg auf meiner Backe nach unten.

„Bitte, ich flehe dich an. Verzeihe mir. Ich liebe dich.“

Der Tag, der mein Leben veränderteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt