Kapitel 39

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Es geht eine Weile bis ich wieder klar denken kann und mir die Situation erst jetzt richtig klar wird. Amelie wird vermisst. Aber warum? Ist etwas passiert? Hatte sie einen Streit mit ihren Eltern und ist dann abgehauen? Wo ist sie? Ist sie einfach nur untergetaucht? Oder schlimmeres? Ich will gar nicht mehr weiterdenken. Doch mein Kopf denkt von selber weiter. Was wenn sie entführt wurde? Oder vergewaltigt und dann einsam im Wald zurückgelassen? Ich zwinge mich dazu, an etwas anderes zu denken und zu hoffen, dass meine Sorgen unbegründet sind und Amelie sich bald bei mir meldet.

Ich werde von der Stimme meines Bruders aus meinen Gedanken gerissen. Ich schaue ihn erwartungsvoll an. Was will er mir sagen?

„Wer war das?“ Ich atme erleichtert aus. Nur eine einfache Frage.

„Amelies Vater. Er wollte wissen ob sie hier ist.“ Ich will gar nicht mehr dazu sagen und er fragt auch gar nicht weiter, worüber ich froh bin. Doch er sagt noch mehr.

„Ich muss dir etwas sagen.“  Was muss er mir sagen? Betrifft es Amelie? Hat es mit mir zu tun? Hat er etwas in der Vergangenheit gemacht, von der ich nichts weiß?

„Was?“, frage ich ihn. Erwartend sehe ich ihn an. Warum redet er nicht weiter? Wieso foltert er mich? Endlich spricht er weiter.

„Ich habe eine Vergangenheit, von der du nichts weißt.“ Ich spanne mich an und warte darauf, dass er weiteredet.

„Ich war früher kriminell. Ich habe ziemlich viel getrunken und….und…“ Mitten im Satz stoppt er und ich habe das Gefühl, dass seine Augen glasig werden. Aber warum? Was für eine Vergangenheit hat er? Ist sie so schlimm, weil er es nicht sagen kann, will? Hat er Drogen genommen? Oder war er ein Dieb?

„Ich habe ….habe … mit Drogen gedealt. Jetzt ist es raus und vorbei.“, fährt er fort. Etwas geschockt sehe ich ihn an. So etwas hätte ich nicht von ihm gedacht. Aber wieso? Warum erzählt er mir es überhaupt wenn es ihm anscheinend so schwer fällt? Und ausgerechnet jetzt? Das einzige was ich herausbekomme, ist ein warum.

„Damals, als ich mit Drogen gedealt habe, war es für mich eine sehr schwierige Zeit. Vielleicht erinnerst du dich nicht, aber mein bester Freund ist gestorben. Ich war mitten in der Pubertät und wie du weißt, war ich sehr rebellisch. Doch das ist die Vergangenheit und ich deale nicht mehr. Das musst du mir glauben.“

Deswegen hat er so schnelle Leute gehabt die ihm Geld leihen. Doch wahrscheinlich sind das so welche, die keine Problem haben wenn man bei ihnen Geld ausleiht, es aber nicht gut finden und auch eine Gefahr da stellen können, wenn man das Geld nicht schnell zurückgibt wenn sie es wollen. Ich kann mich noch sehr gut erinnern als sein bester Freund gestorben ist. Er war total fertig und immer so komisch drauf. Das ging so eine Weile lang. Ich schüttle den Kopf, ich will daran nicht mehr denken, das war eine schlimme Zeit.

„Warum sagst du mir das jetzt? Was wenn ich das gar nicht hören will?“

„Weil ich von den Leuten, mit denen ich gedealt habe und Geld geliehen habe, mich angerufen haben, bzw. einer. Wenn ich dir sage, was sie wollen, interessiert dich das bestimmt. Und dafür musstest du die Vorgeschichte wissen.“ Warum hat ihn jemand angerufen? Was wollen sie? Wollen sie Geld? Was sollten sie sonst wollen? Aber was habe ich damit zu tun?

„Weswegen haben sie dich angerufen?“, frage ich ihn. Erwartungsvoll auf eine gute Antwort, sehe ich ihn an.

„Gustav, einer von dem ich Geld geliehen habe, hat mich angerufen, weil er sein Geld wieder haben will.“ Habe ich doch recht gehabt.

„Und was habe ich damit zu tun? Sonst hast du mich doch auch nicht in deinen Problemen eingeweiht, warum jetzt?“ Ich hoffe, dass ich auf meine Fragen gute Antworten bekomme.

„Weil das nicht alles ist, was er gesagt hat. Weil er jemanden hat, den du liebst.“

Amelies Sicht

Was wird er jetzt machen? Wird er mich bestrafen, weil ich mein Essen nicht gegessen habe? Wenn ja, was wird er mit mir machen? Ich versuche nicht noch länger darüber nachzudenken, sondern mich auf das hier und jetzt zu konzentrieren. Ein paar Meter bleibt er vor mir stehen und sieht mich einfach nur ruhig an. Als er anfängt an zu reden, läuft mir ein kalter Schauer den Rücken herunter. Seine Stimmer ist ganz tief und kalt und irgendetwas schwebt noch in seiner Stimme mit das ich nicht deuten kann.

„Warum hast du nichts gegessen?“ Meine Angst steigt immer mehr und ich hoffe, dass er nicht sieht, dass ich fast vor Angst sterbe. Ich hoffe auch, dass meine Stimme nicht versagt. Das könnte ich jetzt nämlich gar nicht gebrauchen.

„Ich hatte keinen Hunger.“, erwidere ich schlicht. Zum Glück hat meine Stimme nicht versagt wie ich es befürchtet habe.

„Nicht so schlimm. Doch das nächste Mal werde ich dich nicht so davonkommen lassen.“ Was meint er damit? Was wird er dann mit mir machen? Er hebt das Tablett vom Boden ab und läuft damit wieder raus. War es das schon? Lässt er mich jetzt wieder alleine? Wie lange muss ich hier wieder drinnen bleiben? Doch er kommt wieder mit etwas in der Hand rein. Ich schaue genauer hin. Es ist ein Pizzakarton. Bestimmt ist die Pizza total fettig und sieht ekelig und billig aus. Er stellt den Pizzakarton ab und ich schaue ihn wieder an.

„Esse jetzt. Auch wenn es nur ein paar Stücke sind. Du musst doch bestimmt großen Hunger haben.“ Das ich großen Hunger habe stimmt. Habe ich richtig gehört? Ich muss nicht alles essen, sondern nur ein paar Stücke? Er läuft Richtung Türe und dreht sich noch mal um bevor er den Raum wieder verlässt.

„Wenn du brav bist und isst, dann habe ich eine Überraschung für dich.“

Dann ist er weg. Was für eine Überraschung meint er? Soll ich die Pizza essen? Aber wenn ich es nicht mache, was wird er dann mit mir machen? Außerdem würde ich dann eine Überraschung bekomme. Ach, wenn ich doch nur wieder draußen sein könnte. Zuhause auf dem Trampolin mit guter Musik springen. Wie schön das doch war. Ich muss mich zwingen daran nicht mehr zu denken, denn sonst würde ich es hier noch weniger aushalten und ich würde nur noch trauriger werden. Ich stehe vom Bett auf und laufe zum Karton. Wie die Pizza wohl aussieht? Ist sie vom nächsten Dönerstand oder vom guten Italiener? Ich öffne die Schachtel und staune darüber wie gut sie riecht und aussieht. Ich kann einfach nicht wiederstehen und nehme ein Stück aus dem Karton raus um es zu essen. Schließlich liebe ich Pizza. Ich setze mich auf das knarrende Bett und fange an zu essen. Ich merke, dass ich doch ziemlich Hunger habe. Als ich fertig gegessen habe, werde ich müde. Ich lege den Pizzakarton wieder weg und lege mich auf das Bett. Zum Glück schlafe ich ein und ich habe einen Traum, dass ich befreit werde. Doch wer es ist, der mich befreit, kann ich nicht sagen.

Der Tag, der mein Leben veränderteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt