Ohne gestern noch irgendwas - geschweige denn interessantes, getan zuhaben, schlief ich sogar relativ früh ein. Für mich sonst ungewöhnlich, aber da ich in der Nacht zuvor, vor Anspannung kein Auge zugemacht hatte, logisch.
Ich wachte also relativ früh auf. Ohne Lust aufzustehen, duschen zu gehen und den Tag zu beginnen. Ich brauch nicht in die Schule gehen, um von anderen gehasst zu werden als nur von mir. Außerdem werde ich sicherlich heute von Rewi und seinen Freunden verprügelt, immerhin war ich ja endlich wieder da und bisher hatten sie keine Gelegenheit gehabt.
Schwerfällig stützte ich mich aus dem Bett. Für einen Moment verdunkelte sich meine Sicht und schwarze Punkte tanzten vor mir. Ich hielt in meiner Bewegung inne und schloss meine Augen, bis ich mich wieder gefasst hatte.
Danach trottete ich ins Bad. Zwar fragte ich mich für wen ich überhaupt - vergeblich - versuchte gut auszusehen. Vielleicht wollte ich einfach nicht noch hässlicher sein. Ich zog meinen Pullover aus und betrachtete mich kurz im Spiegel. Ich war ein Lauch, der Essen mittlerweile nur noch zu sich nahm, um nicht umzukippen.
Die Narben, die sich meinen linken Arm heraufzogen, waren zum Teil frisch. Da hatte ich die Klinge mal drei Monate nicht zur verfügung, schon überfiel ich sie wie ein Drogensüchtiger sein Kokain.Frisch geduscht und umgezogen, ging ich langsam die Treppe herunter und sah kurz ins Wohnzimmer. Meine Mutter war auf der Couch eingeschlafen. Eigentlich nahm ich es ihr nicht übel, dass sie angefangen hatte zu trinken. Ihr Freund war nunmal ein verdammtes Arschloch und ihr Sohn ein Versager.
Ich räumte die ausgeleerte Weinflasche weg und öffnete das Fenster. Etwas frische Luft konnte ihr nicht schaden.
Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich in wenigen Minuten den Bus nehmen musste.
Nächste Station; Die Hölle.
Ich schloss leise die Haustür hinter mir und lief schnell die letzten Meter zur Bushaltestelle. Der Bus traf im selben Moment ein, sodass ich mich außer Atem auf den vordersten Platz setzte. Der Einzelplatz, der stets leer war, es sei denn ich saß darauf. Der, den der Busfahrer stets im Blick hatte, sodass mir keine Gefahr drohte.
Ardy, Taddl und Luca stiegen immer zwei Stationen nach mir ein. Rewi kam vermutlich mit seinem Motorrad, welches er in den letzten Sommerferien gekauft hatte. Aber er musste bis zu seinem 17. Geburtstag, der am 2. Dezember ist, warten. Woher ich sowas wusste? Naja, mag sein das mir niemand zuhörte, aber Ohren und zu viel Zeit hatte ich trotz dessen.
Sebastians Geburtstag hatte ich aufgrund meiner drei Monate andauernden Abwesenheit verpasst. Nicht das ich dazu eingeladen worden wäre, es ist eher der Tag danach der mich reizt. Alle meine Mitschüler - wenn sie überhaupt kamen - waren dann verkatert und müde. In diesem Zustand hatte absolut niemand Lust Felix Hardy zu verprügeln. Somit war der 3. Dezember eigentlich einer der besten Tage im Jahr.
Ich zuckte zusammen, als urplötzlich mein Rucksack auf den Boden des Busses fiel. Grinsend über die Röte, die mir ins Gesicht stieg, setzten sich Ardy und Taddl auf den Vierer. Luca trat extra noch auf meine herausgefallenen Schulsachen und kickte mein Mäppchen vor sich her.
Von den vielen schadenfrohen Blicken auf mir, war ich ganz erstarrt. Ich hasste peinliche Situationen. Zitternd hob ich schnell meine Sachen auf und stopfte sie, bis auf mein verlorenes Mäppchen, zurück in meinen Rucksack. Dann kauerte ich mich wieder auf meinen Einzelplatz und wartete - mehr oder weniger erfreut - auf das Anhalten des Busses an der Schule.Nervös ging ich die Treppen zum Schulhof herunter. Die ersten vier Stunden hatte ich ohne nennenswerte Ereignisse überstanden, doch nun stand wieder eine Pause an.
Ich lief zielgerichtet in Richtung der Toiletten, um so schnell wie möglich in einer der Kabinen zu verschwinden. Immerhin hatte Taddl mir gestern noch gedroht, er würde heute zuschlagen.
,,Hardy!",ertönte eine Stimme hinter mir und ich erblickte Luca. Ohne großartig darüber nachzudenken, rannte ich den restlichen Weg, bis zu der grauen Tür. Ich schlug diese auf und suchte nach einer Kabine. Zu meiner Verwunderung waren alle verschlossen. ,,Fuck",murmelte ich. ,,Traurig wenn man keinen Ort zum verstecken hat hm?",lachte Taddl, als dieser mir Rewi, Luca und Ardy den Raum betrat. Sie hatten die Kabinen abgeschlossen, war ja klar das das der Grund war, weshalb Ardy mitten im Unterricht hierher verschwand.
Mein Herzschlag pochte mittlerweile in meinem Kopf. ,,Wolltest du uns nicht von deinem kleinen Urlaub erzählen?"
Ich spannte mich an, doch wollte mich gleichzeitig unendlich klein machen.
Jetzt stand Rewi direkt vor mir.
Seine blauen Augen musterten mich genau. Ihre Farbe hatte schon etwas besonderes und würde er mich nicht schon seit Jahren fast täglich zusammenschlagen, würde ich sie sogar als schön beschreiben.
,,Hm? Wo warst du Felix?",in seiner Stimme lag etwas, das ich nicht kannte. Es klang fast schon nach ehrlichem Interesse.
Ich konnte meinen Mund nicht öffnen. Als hätte ich vergessen wie man spricht, welche Worte welchen Satz ergeben und was die passende Antwort auf eine solche Frage war.
Sebastian packte mich am Kragen und drückte mich gegen die Fliesenwand.
,,Sag wo du warst!",schrie er mich an und presste seinen Arm gegen meinen Oberkörper.
Immer noch schien mir Sprechen unmöglich. Sogar atmen war unter dem Gewicht, das er mir auf meinen Brustkorb drückte, schwer.
Ich schloss meine Augen, in Erwartung auf einen Schlag, doch stattdessen ließ er mich los. Ich atmete hörbar ein und sackte auf den Boden. ,,Man Rewi, er hat deine Schläge bestimmt vermisst. Was ist los mit dir?",fragte Luca genervt. Sebastian, der immer noch vor mir stand, packte mich nun wieder mit Hass in den Augen am Saum meines Pullovers und zog mich hoch.
,,Nichts",maulte er und seine Faust traf mich direkt auf der Nase. Ich krümmte mich vor Schmerzen und erhielt in Folge dessen einen heftigen Tritt in den Bauch. Kurz blieb mir die Luft weg, dann raffte ich mich wieder auf. Meine Hand schnellte zu meiner Nase, aus der nun Blut floss. Im Hintergrund lachten die Anderen amüsiert. ,,Und? Ist dir die Antwort eingefallen, oder soll ich dir weiter auf die Sprünge helfen?",Rewi drückte mich wieder an die Wand.
,,Wo zum Fick warst du Felix Hardy",schrie er jedes Wort betonend.
,,I-In der Ps-Psychiatrie",stotterte ich kaum hörbar. Auf einmal änderte sich etwas an Sebastians Gesichtsausdruck. Die Verachtung wandelte sich in erstaunen. Noch nie hatte er mich anders angesehen. Seine Stimme setzte zum reden an. Leise, aber bestimmt.,,Bin ich daran Schuld?"
Diese Frage hatte ich nicht erwartet und meine Antwort, die plötzlich so flüssig und selbstsicher über meine Lippen kam, genauso wenig.
,,Du warst einer der Gründe."
Seine Finger, die verkrampft meinen Kragen umfassten, lösten sich. Ohne noch einmal in meine Augen zu sehen, drehte er sich um und verließ den Raum.
Ohne ein weiteres Wort zu seinen Freunden, die die letzten Sätze vermutlich nicht einmal gehört hatten und verwirrt da standen, bis sie ihrem Freund hinterher liefen.Ich jedoch sackte zusammen und begann zu weinen.
Wasserfälle.
Den Grund dafür - konnte ich jedoch nicht nennen.
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Einer der Gründe | Rewilz
FanfictionJemandem den man liebt, bricht man das Herz, nicht die Nase. Als Felix nach langem Fehlen wieder in der Schule auftaucht, verändert sich einiges in seiner sonst so tristen Welt. Rewi, der ihn sonst nur für dumme Kommentare oder Schlimmeres ansprach...