Gefühle

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Und auch als diese Stille endete, blieb ich gelähmt.

,,Was wollen wir jetzt noch machen?",fragte er und setzte sich wieder aufrecht hin.
Kurz fühlte es sich an, als hätte ich meine Sprache verloren.
,,Ich glaube ich muss wirklich Nachhause",murmelte ich.
,,Bist du sicher?"
Ich nickte.
,,Okay, wenn du meinst. Aber ruf mich an wenn was ist oder komm einfach vorbei."
Wieder war meine Antwort bloß ein Nicken.
,,Ich hole kurz meine Sachen von oben."
Damit stand ich auf, auch wenn sich jede Bewegung immer noch befremdlich anfühlte.

Ich griff nach den gefalteten Sachen, die ich gestern angehabt hatte. Aber meine Hand verweilte auf dem Stoff, stoppte in der Bewegung.

Ich würde es kaputt machen.
Das was sich gerade zwischen mir und ihm aufgebaut hatte, machte ich kaputt.
Vielleicht zurecht, denn er schämte sich für mich.
Vielleicht tat ich ihm einen gefallen.
Doch mir nicht.
Denn auch wenn ich mir gerade nicht mehr sicher war, mochte ich ihn doch sehr.
Auch wenn ich gerade nicht sonderlich viel empfand, wusste ich doch das ich ihn eigentlich nicht verlieren wollte.
Doch er wollte mich nicht.
Und lieber beende ich es, bevor meine Gefühle stärker werden.
Irgendwie erhoffte ich mir in diesem Zustand zu bleiben, in dem ich mich gerade befand.
So würde es wenigstens nicht weh tun.
So wäre es mir fast egal.

Ich hob den Stapel an und ging wieder die weißen Treppenstufen herunter.
An der Haustür hielt ich inne, sollte ich zu ihm gehen um mich zu verabschieden? Oder es kurz machen und gehen?
Ich entschied mich für letzteres, doch mein Mund öffnete sich wieder nicht.
Meine Finger umschlossen die Türklinke, doch übten keinen Druck aus.
,,Tschüss Rewi",rief ich erstickt.
Die Tür schwang auf und ich trat einen Schritt heraus.
,,Du, ist irgendwas passiert?",fragte er mich und stand hinter mir.
Ich schüttelte den Kopf.

Irgendwas hat nur in Sekundenschnelle eine Mauer um mich gebaut und bis zum Rand mit Wasser gefüllt.

Und nein, das kannst du nicht sehen.

,,Hm. Bis später",murmelte er.
Dann ertönte nur noch das Klicken des Schlosses und meine Schritte wurden schneller.
Ich wollte mich gerade am liebsten einfach auf den Boden werfen.
Mich auf den Bürgersteig setzen und warten, bis dieses dumpfe Gefühl vorüberging.
Denn gerade war sogar laufen so unmöglich.
Ich wollte meine Augen schließen, auch wenn ich nicht müde war.
Ich war ausgelaugt, wovon auch immer.
Schwach.
Erschöpft.
Fertig.

Es war als hätte Gravitation eine ganz neue Bedeutung für mich, eine die mich voll und ganz auf den Boden zieht.
Und nach dem nächsten Wimpernschlag befand ich mich schon vor dem grauen Haus.
Auch wenn es schon längst hell war, brannte in der Küche noch das Licht. Es würde mich nicht wundern wenn man uns bald den Strom abstellen würde. Zwar hatten wir noch genug Geld von der damaligen Stelle meiner Mutter und dem Rest meines Vaters, aber die Rechnungen bezahlen machte keiner.
Vielleicht sollte ich mich daran setzen.

Ich holte den Hausschlüssel aus meiner Hosentasche, den ich gestern zum Glück noch packen konnte - und drehte ihn im Schloss um.
Tonlos griff ich nach den Briefumschlägen auf dem Boden und schloss so leise ich konnte die Tür hinter mir.
Ich wagte keinen Blick ins Wohnzimmer oder in die Küche, aus denen nicht einmal das Geräusch des Fernsehers erklang. Vielleicht war er nicht da, vielleicht nicht einmal meine Mutter.
Als ich endlich in meinem Zimmer ankam, schob ich provisorisch die kleine Kommode vor die Tür, sodass niemand allzu schnell rein kommen konnte. Immerhin konnte ich sie nicht mehr schließen, nachdem ich sie einmal aufgebrochen hatte.
Ich setzte mich auf mein Bett und blieb mit meinem Blick am Boden hängen. Dass Rewi mich gestern geküsst hatte und ich ihn ebenso, war für mich nun nicht mehr nachvollziehbar.
Als wäre nicht ich es gewesen, der seine Lippen gespürt hatte. Es ist nichtmal Stunden her, da hatte er seine Hände an meine Hüfte gelegt und mich an sich gezogen.
Ich war mir nicht einmal mehr sicher, ob ich es gewollt hatte. Ob es irgendeine Bedeutung für mich hatte.
Ich zweifelte sogar an, jemals irgendetwas anderes empfunden zu haben als diese Leere.

Einer der Gründe | RewilzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt