Schwarz

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P.o.v.: Rewi

Wütend ging ich in dem gefliesten Raum umher. Warum hatte er das getan? Warum musste er es nur noch schlimmer machen?
Jetzt wollten Luca und die anderen nie wieder irgendwas mit mir zu tun haben. Ich hätte nie mit ihm zusammen kommen dürfen, mich erst gar nicht in ihn verlieben dürfen.
Ich war sauer, unglaublich sauer. Nicht nur auf ihn, auch auf mich. Die Pause war längst vorbei, aber das störte mich kein bisschen. Mich störte meine scheiß Sexualität.
„Basti",sagte Jodie und betrat den Raum, in dem ich schon unzählige Male auf Felix eingeschlagen hatte. Der Raum in dem er mir gesagt hatte, wo er gewesen war. Der Raum in dem ich mich wieder in ihn verliebt hatte, in dem mir wieder einfiel das ich ihn liebte. Und der Raum in den ich mich nach unserem Outing geflüchtet hatte.
„Kannst du mal aufhören so ein Arschloch zu sein?"
Ich sah sie verständnislos an.
„Felix hat doch nichts falsch gemacht und du auch nicht."
„Er hat es schlimmer gemacht."
„Er wollte dich nur verteidigen",erklärte sie.
„Aber diese ganze Scheiße-",begann ich.
„Ist nicht Felix schuld. Was könnt ihr dafür das Luca zurückgebliebenen ist?"
„Wäre ich nicht mit Felix zusammengekommen wäre das alles nicht passiert."
„Ja, dann wärst du unglücklich mit mir zusammen, müsstest mit Arschlöchern befreundet sein und Felix wäre vermutlich tot."
Ich konnte darauf nicht antworten. Ich wusste nichts. Mir war klar, das die zweite Version allein schon tausendmal schlimmer war, weil Felix vielleicht tot wäre.
„Lass die doch hinter dir."
„Aber sie waren meine Freunde."
„Du willst so Menschen nicht als Freunde",sagte sie.
Ich seufze.
„Wo ist Felix eigentlich?",fragte ich.
„Er ist eben gegangen."
„Nachhause?"
„Keine Ahnung er-"
„Hat er irgendwas gesagt?"
Nervosität steig in mir auf.
Nicht das er irgendwas unüberlegtes machte. Sowas machte er oft. Und in 90% der Fälle war ich schuld.
„Ähm, ja, er meinte er geht irgendwo hin, wo er kein Leben zerstören kann."
„Und dann lässt du ihn einfach gehen?"
Jodie schien erst jetzt zu realisieren was Felix gesagt hatte.
Ich zog die graue Tür auf, der Schulhof war komplett leer.
„Aber er wird doch nichts machen oder?",fragte sie.
„Er hat immer noch Depressionen, keine Ahnung, er könnte."
Ich ging in Richtung des Parkplatzes, zückte mein Handy und drückte auf seinen Kontakt.
„Heb ab",murmelte ich, aber die Mailbox erklang.
„Kommst du mit?",fragte ich und blieb vor meinem Motorrad stehen. Sie nickte. Meinen Helm hatte ich im Klassenzimmer, also fuhren wir ohne.
Ich fuhr schnell, vielleicht etwas zu schnell. Er musste doch zu Fuß gegangen sein, er konnte doch nicht weit sein. Immer mehr Panik stieg in mir auf. Wie lange war es her? Fünfzehn Minuten? War er vor fünfzehn Minuten in den Bus eingestiegen? War es schon länger her? War er schon zuhause? War er vielleicht woanders? War der Bahnhof in der Nähe? Zu viele Fragen.
„Basti fahr vorsichtiger!",ermahnte mich Jodie und ich konzentrierte mich mehr aufs Steuern, auch wenn es mir schwer fiel.
Ich entschied mich für sein Zuhause. Es musste die richtige Entscheidung sein.
Also stoppte ich vor dem grauen Haus, stieg vom Motorrad und rannte über den kaputten Rasen. Jodie folgte mir und ich drückte auf die Klingel. Mehrmals.
Seine Mutter war sowieso da, er hatte mir erzählt dass sie keinen Job hatte. Dass sie trank, seit seinem ersten Versuch. Es durfte keinen zweiten geben.
„Was?",die Tür wurde geöffnet und eine mittelalte Frau stand vor mir. „Ist Felix hier?",fragte ich, aber meine Stimme zitterte. „Er ist in der Schule."
„Nein, er ist eben gegangen."
Ich erinnerte mich an den einen Tag. Den Tag vor Felix' verschwinden. Ich wusste das genaue Datum nicht mehr, aber es war im November. Er war früher aus der Schule gegangen, nachdem wir ihn verprügelt hatten. Und dann war er weg. Verschwunden. Kein Wort von einem Lehrer, gar nichts.
Ich glaubte er hätte die Schule gewechselt. An Psychiatrie, Selbstmord und Tod habe ich keine Sekunde gedacht.
Seine Mutter sagte irgendwas, aber ich ging an ihr vorbei. Ich war nie in Felix' Haus gewesen, aber sein Zimmer war die Treppe hoch. Also drückte ich die Klinke der Tür herunter, die am meisten beschädigt war. Aber sie war zu. Ich wusste dass sie kaputt war, sie ging gar nicht mehr zu. Man konnte sie nicht abschließen. „Felix?",rief ich und drückte weiter gegen die Tür. Er musste irgendwas davor geschoben haben, er war hier. „Felix bitte!"
Ich warf mich wie verrückt gegen die Tür, aber sie bewegte sich keinen Millimeter. Das konnte er nicht machen. Er konnte doch jetzt nicht versuchen sich umzubringen. Nicht jetzt, nicht heute. Nicht wenn wir eben noch streit hatten. Nicht wenn ich eben einfach gegangen war, als ein Stück mehr in ihm brach. Nicht wenn ich ihn grundlos beschuldigt hatte. Nicht wenn ich ihn endlich liebte.
Ich liebte ihn und wenn er es wusste, wenn es jeder wusste und ich ihn offen und ehrlich liebte, durfte ich ihn nicht wieder in den Selbstmord getrieben haben. Nicht nochmal. Nicht jetzt. Nicht heute.
Ich rief seinen Namen immer wieder, aber nichts geschah. Nichts.
Ich bekam gar nichts mehr mit. Nur die Tür vor mir, die ich so dringend aufbekommen musste, war da.
Hände packten mich an meinen Armen, zogen mich zurück und ich fiel auf den Boden. Die Tür wurde von zwei Sanitätern aufgebrochen.
Wie konnten zwei fremde mehr Kraft aufbringen als ich?
Ich wollte aufstehen, doch Jodie hatte ihre Arme um meinen Oberkörper geschlungen. Ich wollte wissen ob es ihm gut ging, aber ich hatte nicht die Kraft mich zu befreien. Ich hatte nichtmal die Kraft es zu versuchen.
Ich verstand nichts von dem was gesagt wurde, alles war laut und gleichzeitig so still. Und als endlich etwas geschah, drückte Jodie mich an sich, sodass ich nichts sehen konnte und ich sah auch nichts.

Einer der Gründe | RewilzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt