Unterbewusst

969 97 10
                                    

In meinem Kopf ging ich die Szenarien durch, die ich aus Filmen und Fernsehen kannte.

Der Arzt betritt den großen Raum. Man weiß nicht ob er denn nun auf die Familie schräg gegenüber, oder auf dich zugeht. Seine Augen sind suchend, dann richten sie sich auf dich.
Vor dir kommt er zum Stehen. Du hoffst auf die guten Nachrichten, doch der Arzt lächelt.
Er zeigt dieses aufmunternde, seriöse und zugleich mitfühlende Lächeln und du weißt er ist tot.
Ist es nicht gemein?
In der Sekunde, in der der Arzt lächelt, füllen sich deine Augen mit Tränen, denn dein Unterbewusstsein hat es erfasst, während dein Bewusstsein keine Ahnung hat.
„Wir haben alles getan was in unserer Macht steht."
Es benötigt diesen Satz um zu verstehen dass er tot ist.
Und meist reicht dieser Satz nicht aus, denn dein Gehirn will nicht verstehen, wieso du leben kannst - während er tot ist.
Es dauert Wochen bis du es realisierst. Vielleicht verstehst du es, wenn du dich dabei erwischst wie du ihm schreiben willst. Wie du ihn fragen willst, ob du ihn morgens mitnehmen sollst. Vielleicht realisierst du es nie und der Schmerz lastet auf deinem Herzen, weil du noch nicht zerbrochen ist. Denn wenn er tot ist willst du zerbrechen. Und du musst zerbrechen. Du musst in tausend Teile zerfallen, die du mühselig zusammen kleben musst. Wenn du nicht brichst entstehen nur Risse, fein wie Spinnennetze. Und haben sie sich erstmal ausgebreitet, brauch es nur einen Regentropfen um zu zerfallen. Stücke so groß wie Staubkörner können nicht geklebt werden.
Und du sitzt auf dem Stuhl, vor dir ein Mann mit aufgesetztem Lächeln. Mitfühlend, weil er ja genau weiß wen du verloren hast. Er hatte ihn auf dem Tisch, er hatte den Todeszeitpunkt festgestellt, er hat das blaue, sterile Tuch über seine Haut, die bleicher war
als sonst, gelegt. Über seine geschlossenen, braunen Augen. Über die nicht mehr annähernd so rosigen Lippen und über die braunen Locken gelegt.
Der Arzt steht vor dir und du siehst ihn an. Du siehst das Lächeln nicht einmal mehr, denn deine Sicht ist verschwommen. Du würdest am liebsten schreien, denn der Arzt weiß nicht wen du verloren hast.
Er weiß nicht dass du ihn geschlagen hast, um deine Liebe zu vertuschen.
Er weiß nicht dass du ihn in den Selbstmord getrieben, in eine Psychiatrie verfrachtet und ihm zu allem Überfluss deine Liebe gestanden hast. Er weiß nicht dass du ihn beim Schlafen beobachtet hast, weil du Angst hattest er könnte aufhören zu atmen. Er weiß nicht dass du den Rauchgeschmack an seinen Lippen gehasst, aber ertragen hast nur um ihn zu küssen. Er weiß nicht einmal das du nicht irgendein Freund aus der Schule warst, sondern sein Freund.
Der Freund der ihn zum zweiten Mal in den Selbstmord getrieben hatte.
Und du siehst ihn an und nickst, weil man das so macht. Du spürst seine Hand auf deiner Schulter und die Risse die von dort aus ausgehen.
Denn er ist tot und du lebst.

Der Arzt blieb vor mir stehen und lächelte.
„Sie sind Sebastian richtig?",fragte er und ich nickte.
„Wenn Sie wollen können Sie Felix auf der Intensivstation besuchen, er müsste gleich wach sein."
Ich nickte erneut und er kehrte mir den Rücken zu.
Meine Sicht war verschwommen, obwohl es gute Nachrichten waren.
„Es geht ihm gut Basti",Jodie überfiel mich und schlang ihre Arme um mich, dass ich beinahe vom Stuhl gefallen wäre. Ich konnte es nicht realisieren.
Ich wischte mir mit dem Ärmel über meine Augen und stand auf.
„Wartet ihr kurz?",fragte ich. Die beiden bejahten und ich verließ den traurigen Raum.
Ich folgte den Schildern zur Intensivstation und begegnete Felix' Mutter die mit einem Arzt redete. Vielleicht war es auch ein Psychologe.
Vor dem nur schwach beleuchteten Raum hielt ich kurz inne.
Ich hatte ihn hier rein gebracht.
Ich hatte ihn ein zweites Mal umgebracht.
Meine Freude wurde einwenig von den
Schuldgefühlen gedämpft und ich trat durch die schwere Tür.
Ein regelmäßiges Piepen unterbrach die Stille. Das Licht war gedämpft. Felix lag auf dem Rücken. Unter seiner Nase verlief ein Schlauch, ebenso führten welche zu seiner Hand. An seinem Unterarm war ein Verband, von Ellenbogen bis zum Handgelenk. Ich wollte mir die Narbe gar nicht vorstellen, die in kürze seine schon so kaputte Haut zieren würde.
„Hey",seine Stimme war angeschlagen und müde. „Hey",begrüßte ich ihn und trat näher an sein Bett heran.
„Es tut mir leid."
Ich schüttelte den Kopf und beugte mich zu ihm runter, bis meine Lippen seine berührten.
„Nein, es tut mir leid."

___
Dieses Kapitel ist der lieben phinenotes gewidmet - schaut mal bei ihr vorbei! 🌹

Einer der Gründe | RewilzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt