Chaos

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Ich glaube weder er noch ich hatten unsere kleine Aktion überdacht.
Natürlich ertönte kein Applaus.
Es war still und ich umklammerte ihn nur noch mehr, weil ich angst hatte ihn loszulassen.
Und er schien auch nicht die Augen öffnen zu wollen.
Aber wir konnten jetzt nicht die ganze Zeit so rumstehen, also trat ich einen Schritt zurück und ließ meine Arme wieder sinken.
Er sah sofort zu Taddl, Ardy und Luca. Mit zusammengezogenen Augenbrauen und fragendem Blick standen sie nur wenige Meter von uns entfernt.
,,Bitte werd jetzt nicht wieder-",begann ich fast lautlos.
Er schüttelte den Kopf.

Als Erster drehte sich Luca um.
Gefolgt von Taddl und Ardy ging er von uns weg. Ich konnte ihre Blicke nicht deuten. Ich wusste nicht ob sie ihren besten Freund jetzt hassten.
Basti griff etwas unbeholfen nach meinem Arm, umklammerte aber nur den Stoff meines Pullovers. Ich blieb nur stumm neben ihm stehen, ich hatte keine Ahnung was man in solchen Situationen tat.
Auch die Menge, von der ich zwischendurch ein ,,schwul", ,,gay" oder Würg-Geräusche gehört hatte, löste sich auf. Ich hoffte Rewi hatte davon nichts mitbekommen.
Er tat mir leid.
Wie er neben mir stand und von einem sogar sehr beliebten Schüler, zu einer ,,Schwuchtel" wurde. In einer Sekunde hatte sich sein Selbstbewusstsein aufgelöst.
Wieder gab ich mir die Schuld dafür.
Ich hatte ihn ja fast genötigt zu diesem Kuss. Er dachte bestimmt er müsste es für mich tun.
,,Komm",murmelte ich und griff nach seiner Hand, die sich krampfhaft an mir festhielt.
Sein Kopf sank nach unten und ich wusste wie er sich fühlte.
Ich drückte die Tür auf und zog ihn mit in den gefliesten Raum.
,,Alles okay?"
Er schüttelte den Kopf.
,,Sie werden sich einkriegen."
,,Ich will nicht in den Unterricht",sagte er und lehnte sich gegen die kalte Tür.
,,Es sind nur noch zwei Stunden, die packen wir."
,,Musstest du dir das bis vor kurzem noch selbst einreden?",fragte er.
,,Ich - ja."
Mir fiel nichts ein als die Wahrheit. Ich musste mich immer zwingen zu gehen, egal wie sehr das Getuschel schmerzte. Die Blicke.
,,Du hättest das eben nicht tun müssen",sagte ich.
,,Wie hätte ich dich sonst zurückholen sollen?"
,,Gar nicht, ich mache alles kaputt."
Er schüttelte den Kopf.
Dann öffnete ich die Tür und verließ mit dem Jungen den Raum, vor dem ich mich noch vor kurzem darin versteckt hatte.

,,Glaubst du sie hassen mich?"
,,Nein."
,,Aber -"
,,Denk da nicht drüber nach, rede gleich mit ihnen",sagte ich und ging mit ihm durch den Gang zu unserem Raum.
,,Ich hab das Gefühl alle starren uns an",flüsterte er.
,,Tun sie auch, aber das hört auf."
Unsere Klasse war bereits drinnen, was uns nicht gerade zugute kam.
,,Ich kann da doch nicht rein",seufzte er.
Ich sagte nichts dazu, sondern drückte die schwere Tür auf. Für mich waren die Blicke nichts neues. Nur handelte das Getuschel üblicherweise von meinem blauen Auge oder anderen Verletzungen. Jetzt redeten sie alle über ihn als könnte er sie nicht hören.
Ich ging schnell auf meinen Platz und sah dann Basti dabei zu, wie er sich mit gesenktem Blick neben Luca setzte.
Dieser ignorierte ihn gekonnt. Nichtmal aus dem Augenwinkel sah er zu seinem besten Freund. Nur Taddl und Ardy drehten sich für wenige Sekunden zu ihm, doch das schien er nicht zu bemerken.
In seinem Kopf herrschte das Chaos das ich seit Jahren versuchte aufzuräumen.

Einer der Gründe | RewilzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt