Lügen

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Weder erleichtert, froh, traurig oder ängstlich, erhob ich mich vom Stuhl.
Schulschluss.
Ich stand auf, verließ den Klassenraum und trottete durchs Treppenhaus. An mir quetschen sich die Schüler vorbei, als würden wir uns in einer Massenpanik befinden. Dabei war ich der einzige der sich vor irgendwas fürchten musste.
Ob vor Sebastian,
seinen Freunden,
meiner Mutter,
ihrem Freund
oder einfach mir selbst.
Denn ich wusste nicht, ob ich nicht in wenigen Stunden den Mut gehabt hätte, mir das Leben zu nehmen.
Jetzt, beim laufen zur Bushaltestelle, hatte ich jedoch keine Angst.

Es war mir egal, wenn die Schläge mich treffen, der Geruch von Alkohol in meine Nase steigen oder die Klinge in meinem Arm versinken würde.

So reagierte ich nicht gerade erschrocken, als Taddl mir ein Bein stellte und ich auf den Asphalt fiel. Ich versuchte wieder aufzustehen, doch blieb liegen, als Luca seinen Fuß auf meinen Rücken stellte.
,,Komm doch hoch wenn du es schaffst",lachte er. Die Kraft, mit der ich auf den Boden gedrückt wurde, ließ mich nur eingeschränkt atmen. Meine Wange klebte an den nassen Steinen und ich wartete einfach nur darauf, dass er von mir abließ.
,,Hört auf",rief plötzlich Sebastian und das Gewicht auf mir verschwand. Ich stützte mich hoch und beobachtete das Geschehen. ,,Was ist dein Problem Rewi?",fragte Taddl.
,,Umbringen sollt ihr die Schwuchtel ja nicht."
,,War doch nicht schlimm, nh' Felix?",Luca boxte mir gegen den Arm.
Ardy hob mein Handy auf, das mir aus der Hand gefallen war. ,,Heute mal keine Kopfhörer mit?",lachte er ironisch. Ich griff danach, doch er warf es Taddl zu. ,,Fang",rief er mir zu, verfehlte jedoch absichtlich, sodass mein Handy auf der Straße landete.
Ich verdrehte die Augen und ging auf die Straße. Ein Hupen ertönte direkt vor mir, als ich mich nach dem schwarzen, kleinen Gerät bückte. Der Bus hielt, wenn überhaupt, einen Meter vor mir. Der Fahrer zeigte mir den Vogel und drückte nochmal auf die Hupe, als ich mich immer noch nicht von der Straße bewegte.
,,Schade, so knapp",zeigte mir Luca und lachte. Die anderen drei sahen eher erschrocken aus.
Ich ging zurück auf dem Bürgersteig und ließ mein Handy in meine Hosentasche sinken.
Die Bustüren öffneten sich und Ardy, Taddl und Luca stiegen ein. Als ich den Bus betrat, flog ich im selben Moment wieder auf die Steine. Taddl winkte mir grinsend zu und der Busfahrer schloss die Tür.
Eine Hand tauchte vor mir auf. Wieder war es Sebastian, der mir seine Hilfe anbot. Und wieder stand ich alleine auf.
,,Ist alles okay?",fragte er.
,,Ach jetzt tust du wieder auf freundlich? Was interessiert es dich, wenn ich von dem Bus überfahren werde?"
Ich erwartete jetzt wieder den alten Sebastian, der der mich jetzt wieder in zwei Hälften teilte, aber dieser erschien nicht.
,,Mach keinen Scheiß",sagte er ernst.
Seine blauen Augen fixierten mich fest, dann wandte er sich von mir ab.
Und auch wenn es etwas anderes war als ich erwartet hatte, brannte es in meiner Brust.
Diese gespielte Besorgnis tat mehr weh als seine Schläge.

Mich kann man nur hassen.
Alles andere ist gelogen.

Einer der Gründe | RewilzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt