Gründe.

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P.o.v.: Felix

Es dauerte nicht lange, schon hatte er sich wieder von mir gelöst.
Kurz lagen meine Hände noch auf seinen Schultern, dann zog ich sie zurück.
Meine Augen lagen immer noch auf ihm, während er auf den Boden blickte.

,,Es tut mir leid",wiederholte er.
Ich schüttelte nochmals meinen Kopf, wann verstand er es endlich?
,,Du brauchst dich nicht entschuldigen, ich verzeihe dir das mit dem Mobbing - irgendwie",gab ich zu.

Denn irgendwie hatte ich ihm ja bereits verziehen. Ich war bei ihm Zuhause, umarmte ihn.
Ich war nicht mehr sauer und meine Angst war auch verflogen.

Ihm tat es leid.

Und das wusste ich.
,,Das meine ich nicht",sagte er und blickte hoch.
Erst jetzt bemerkte ich wie nah sich unsere Gesichter wieder waren.
Ich wich einen Schritt zurück.

Er meinte den Kuss.
Der tat ihm leid.

Ich konnte gar nichts verneinen, in mir stieg lediglich wieder die Hitze auf. Ich meine, wir hatten uns zum zweiten Mal geküsst.
Und ich hatte auch noch erwidert, was mich nur noch mehr glühen ließ.

Der, der mich zwei Jahre lang täglich beleidigt, verprügelt und gedemütigt hat, ist mein erster Kuss gewesen.
Also, mein erster richtiger.

,,Du willst gehen oder?",unterbrach meine Gedankenströme.
,,Nein, ich denke nur nach",stotterte ich.

Dabei war ich nicht schwul. Ich meine, ich war nichts wirklich. Ich hatte in der sechsten Klasse mal ein Mädchen geküsst und eine - ich glaube, einwöchige Beziehung geführt.
Gedanken über meine Sexualität habe ich mir erst gemacht, als Sebastian angefangen hat Schwuchtel zu nennen.
Ich bin zu dem Entschluss gekommen keine zu sein, denn ich empfand nie irgendwas für einen Jungen.

War er schwul?

Und wieder packten mich Zweifel.
Was ist, wenn er etwas plant, irgendwas. Mich so richtig fertig machen will. Wenn er aufnehmen will wie wir uns küssen und es dann der ganzen Schule zeigt.
Schnell schüttelte ich meine Gedanken ab. Nein, das hatte er nicht vor.
Ich hoffte es so unendlich

,,Du hast sicher Hunger",er drängte sich an mir vorbei und öffnete den Kühlschrank. ,,Und ein nein gilt nicht."
Ich verdrehte die Augen.
,,Du kannst ja sowieso nur Nudeln",grinste ich. ,,Die sind leider aufgebraucht, wir müssen bestellen."
Schon zog er sein Handy aus seiner Hosentasche und tippte darauf herum. Kurz hatte ich seinen Sperrbildschirm gesehen, auf dem etwa 200 Nachrichten auf WhatsApp angekündigt wurden.
Zwar waren die meisten bestimmt aus Gruppen, doch bei mir traf nunmal nie eine ein. 
,,Pizza?",fragte er und ich zuckte mit den Schultern.
Ich hätte auch nichts essen, ich wollte ja nicht aufdringlich sein, andererseits auch nicht unhöflich.

,,Was möchtest du?"
,,Was nimmst du?"
,,Tomate, Mais ohne Käse."
,,Ohne Käse?"
,,Vegan",antwortete er knapp.
,,Oh, cool. Ich nehme das gleiche, danke."

Ich war tatsächlich erstaunt. Jemand wie Rewi, von dem ich bis vor kurzem noch gedacht hätte, er würde sogar mich umbringen - tötet keine Tiere.
Fleisch esse ich auch nicht, aber vegan ist ein Level höher.
Irgendwie machte es ihn sympathischer.

,,So, erledigt, kommst du?",er war bereits weiter gegangen.
Ich folgte ihm zurück ins Wohnzimmer, wo er am Fernseher hantierte.
,,Irgendwelche Wünsche?",fragte er und hielt DVDs hoch, dessen Cover ich auf die Entfernung nicht erkennen konnte. Ich schüttelte den Kopf. ,,Dann eben Asi-Tv, wir haben eh keine guten Filme",lachte er.

Ich setzte mich neben ihn auf das Sofa.

Anlehnen oder gerade sitzen bleiben?

Rewi nahm mir die Entscheidung ab und drückte mich gegen die Lehne, was ich kommentarlos hinnahm.
,,Du hast mir immer noch nicht den Grund genannt",erinnerte ich ihn kurz darauf.
,,Oh Felix, bist du so schwer von Begriff?",lachte er.
,,Hast du mich gerade als dumm bezeichnet?",ich zog die Augenbrauen zusammen.
,,Naja, ich kann auch gerne wieder die Wörter benutzen, die ich früher so gesagt habe."
,,Bleib bei dumm",grinste ich.
Er nickte.

Schon wieder war das Thema weg.
Ich verstand es einfach nicht. Meint er jetzt das er mich liebt und deswegen hasste? Sorry, aber dafür könnte ich ihn hassen - das ist kein Grund.

,,Also hast du mich fertig gemacht, weil du was für mich -",ich brach ab und wollte Rewi den Satz beenden lassen.
,,Empfindest? Wer hat denn das behauptet?"
,,Du, die ganze Zeit."
Er schnaubte auf.
,,Du hast mich geküsst",warf ich ein und stand von dem Sofa auf.
,,Du hast es erwidert",er stellte sich vor mich und tippte auf meine Brust.
Bitte keine roten Wangen.
,,Weil-",mir fiel nichts ein.
,,Weil?"
Ich stöhnte genervt auf.
,,Du machst mich verrückt."
,,Warst du das nicht vorher auch schon?",grinste er.
,,Ebenfalls deine Schuld."

Sein Gesichtsausdruck wandelte sich wieder in den, der mir unendlich leid tat.

,,So meinte ich das nicht",sagte ich schnell.
Er hob eine Augenbraue.
Ich füllte meine Lunge mit Luft.
,,Sag mir jetzt ganz klar und deutlich deinen Grund, für die Beleidigungen, die Schläge - alles!"
Nun seufzte er.

Seine Hände legte er wieder an mein Gesicht und auch wenn wieder alles in mir brannte, ließ ich es nicht zu.
Ich lehnte mich zurück und griff an seine Handgelenke.
,,Nicht so."
,,So ist die einzige Art, wie ich es kann",flüsterte er.
,,Versuchs mit Worten."
Immer noch ruhten seine Hände an meinem Gesicht.
,,Der Grund, für die Schläge, die Beleidigungen, die Tritte, die Lacher, bist du."
Ich verstand nicht. Ich zog die Augenbrauen zusammen und blinzelte, bis die Tränen sich gelöst hatten und unaufhörlich über meine Wanden liefen.
,,Weil du braune Augen hast.
Braune, gelockte Haare.
Rosafarbene Lippen.
Weil du Felix Hardy bist."
Mein ganzer Körper zitterte.
Meine Finger, die sein Handgelenk umschlossen, lösten sich.
,,Weil ich mich in dich verliebt habe.
Weil ich das nicht kann.
Und was ist das Gegenteil von Liebe?
Hass."
Mein inneres schien zu verbrennen.
Als würde ich von innen nach außen zerfressen werden.
,,Wenn ich dich hasse, glaubt niemand ich würde dich lieben."

Und dann küsste er mich wieder.

Aber ich erwiderte nicht, denn ich schrie innerlich.

Einer der Gründe | RewilzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt