Leben und Sterben

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Ich schloss die Haustür auf und betrat den warmen Flur.
Ohne die Briefe zu beachten, die auf dem Boden verstreut waren und ohne den beidem Alkoholikern gegen über zu treten, ging ich die Treppe zu meinem Zimmer hoch.
Ich ließ mich auf mein Bett fallen.
Warum die Wahrheit plötzlich so schmerzte, wusste ich nicht. Mir war doch vorher schon bewusst gewesen, dass Sebastian mich hasst. Wieso taten die Ausgesprochenen Worte so weh?
Ich wusste nicht was ich mit dem Tag anfangen sollte.
Ohne Musik, denn meine Kopfhörer waren kaputt.
Ohne Freunde, ohne Familie.
Diese 24 Stunden waren zu viel für mich. Zu viel Zeit.
Ich legte meine Hände auf mein Gesicht und am liebsten wollte ich schlafen, doch das konnte ich vergessen.
Immer noch sah ich Sebastians Augen vor mir, die mich so verachtend betrachteten.
Seine Lippen, die diese grauenhaften Wörter aussprachen.
Er hatte recht.
Ich war zu feige um mich letztendlich umzubringen.
Sollte ich es nochmal probieren?
Ich sollte.
Und ich musste.
Wenn meine Anwesenheit für manche schlimm ist, nein - für alle zu viel ist, wie kann ich dann noch leben?
Warum sollte ich dann noch aufstehen?
Niemand wartet auf mich, niemand vermisst mich.
Und es wäre endlich vorbei.
Jeder wäre dann zufrieden - oder?
Ein Leben ohne Felix Hardy, was besseres kann es doch nicht geben, richtig?
Wer brauch schon mich?
Einen Feigling, ohne Freunde und von jedem schief angeguckt-
Wer würde so jemanden vermissen?
Ich kannte die Antwort und ich wusste was ich tun sollte.
Ich wusste dass ich es so einfach beenden konnte.
Aber ich hatte Angst davor, dass es schief geht. Dass ich wieder im Krankenhaus erwache, drei Monate in der Psychiatrie verbringe und der Horror dann weiter geht. Vielleicht sitze ich danach fest. Vielleicht werde ich nicht mehr entlassen und muss ohne entrinnen, mein dasein ertragen.
Ich würde mir das Leben nehmen, aber nicht jetzt. Wenn es sicher ist. Vielleicht nächste Woche, wenn jeder den Eindruck hat, dass Felix Hardy wieder normal ist.
Ich ließ meine Augen geschlossen.
Ich würde alles dafür geben, einen Tag ohne Aufwachen, ohne Nachdenken und ohne Schmerzen zu haben.
Ein paar Tage, Wochen, nur um danach wieder leben zu können.
Aber es ist nicht so einfach.
Entweder stirbst du innerlich, weil du leben musst.
Oder du bringst dich um, damit du leben kannst.
Denn all das was ich gerade tue ist nicht leben. Es ist langsames sterben, eintöniges vor sich hin atmen und wertloses leben.
Ich will gar nicht aufhören zu leben, ich will aufhören zu sterben.

Einer der Gründe | RewilzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt