Der Grund

1K 119 16
                                    

Es waren seine Hände, die den Stoff meines Pullovers umgriffen.
Und meine Augen wanderten fast automatisch über seine Arme, hoch zu seinem Gesicht.
Sein Griff wurde fester.
Ich musterte ihn und ich konnte ihm ansehen wie sehr ich ihm weh getan hatte.
Augenblicklich fühlte ich mich schlecht, weil ich doch schlussgemacht hatte - ich hatte kein Recht traurig zu sein.
Dann senkte ich wieder den Blick und wartete.
Mein Kopf wollte nicht begreifen, dass er dabei war mich zu schlagen.
Seine Wärme bereitete mir Gänsehaut.
Meine Hände wollten sich um seinen Nacken legen.
Er sollte bloß zuschlagen.
Ausholen und mir klar machen, dass Hass über Liebe steht.
Er sollte jedes Gefühl aus meinem Körper prügeln, ich wollte nichts mehr fühlen.
Mein Herz war gebrochen und doch schlug es mir bis zum Hals.
Ich hatte keine Angst, die war schon lange vergangen.
Keine Wut, weil es keinen Grund dafür gab.
Es war einfach nur weil er da war.
Weil er nur Zentimeter von mir entfernt war und nun doch wieder unerreichbar.

Ich hatte mich oft gefragt, warum sich Menschen wegen zerbrochenen Herzen umbringen.
Vielleicht verstand ich es nicht, weil ich nie jemanden hatte.
Vielleicht verstand ich es plötzlich, weil ich ihn nicht mehr hatte.
Mein Leben hatte nie einen Sinn.
Und ich habe auch nie nach einem gesucht.
Und als er dann vergangenen Freitag mit einem Schlag etwas veränderte, veränderte sich auch etwas an meinen Ansichten.
Nein, es wurde nicht plötzlich alles gut.
Es hörte nicht auf weh zu tun.
Aber es gab Jemanden.
Ihn.
Und in der Sekunde als ich die Tür vor ihm schloss, war er weg.
Mit allem was für mich Sinn gemacht hatte.

Lächerlich, weil es nur vier Tage waren.
Eigentlich war es nichts.
Aber in meinem Leben, das jeden Tag gleich war, war es zu viel.
Ein anderes Gefühl als Leere.
Als Schmerz.
Vier Tage die diese jahrelange Monotonie unterbrachen.
Ich hatte mich zu fest an dieses neue Gefühl geklammert.

Ich verstand die Menschen, die wegen gebrochenen Herzen starben.

Ich wollte nichts mehr als das schmerzende Pochen stoppen.

Und irgendwann endete mein ewiges Warten auf seinen Schlag und es traf mich noch viel härter als ich erwartet hatte.

Ich dachte ich wäre auf alles vorbereitet gewesen.

Aber ich war es nicht.

Er zog mich an sich und drückte seine Lippen auf meine.

Und ich erstickte.
Ich wollte nach Luft schnappen und gleichzeitig nie wieder atmen.

Mein ganzer Körper bebte und ich war mir nicht sicher ob ich schreien wollte.

Bis mir einfiel was er gerade tat.

Er küsste mich.

Vor Taddl.

Vor Luca.

Vor Ardy.

Vor Max, Jodie und allen Anderen, die gerade um uns herum standen.

Also löste ich mich von ihm und schlang meine Arme um seinen Hals.

Irgendwas wollte mir sagen, dass er mich nur wieder verletzen würde.

Ja, das würde er.

Ja es würde schmerzen und brennen.

Aber ohne ihn wollte ich bloß tot sein.

Er ist der Grund warum ich lebe.

Einer der Gründe | RewilzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt