Kapitel 3

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Empört jault Lara auf, was klipp und klar ihre Abneigung zeigt. Zahllose Blicke der Verachtung schießt sie mir entgegen und wenn sich Max nicht direkt vor mir mich gestellt hätte, bin ich mir ziemlich sicher, dass sie keine Sekunde warten würde, um mich anzugreifen. Ich hätte keine Chance, wenn es zu einem Kampf kommen würde. Verkrampft ballen sich meine Hände zu Fäusten, damit ich das verräterische Zittern überspielen kann.

Ruppig wendet sich der gigantische Wolf ab und stolziert mit erhobenen Haupts davon. Erleichtert atme ich das erste Mal seit langem durch, was Balsam für meine strapazierten Nerven ist. In welches Chaos bin ich nur hineingeraten? Ich wollte doch nur ein ausgebüxtes Kind nach Hause bringen! Nicht mehr, aber auch nicht weniger! Nur jetzt stehe ich zusammen mit einem Jungen, der viel zu schnell und viel zu stark für ein Alter ist, in einem verwüsteten Dorf und bin vor wenigen Augenblicken von einer monströsen Bestie bedroht worden! Stechende Kopfschmerzen ergänzen die Verwirrung in meinem Kopf, als würde die Situation allein nicht schon ausreichen.

"Lara ist schlecht gelaunt. Normalerweise ist sie nicht so... ätzend", murmelt Max entschuldigend. "Können wir bitte zu ihr rein gehen?" Bettelnd fleht Max mich geradezu an. Er ist müde und erschöpft. Seine zierlichen Arme hängen träge an ihm herab und seinen Kopf kann er kaum hoch genug anheben, um mir in die Augen zu sehen, während sich in den Seinen weitere Tränen anbahnen.

Unsicher nicke ich. Eigentlich möchte ich auf keinen Fall wieder in die Nähe dieser Bestie, doch kann ich Max nicht allein lassen. Eine Diskussion würde uns beide enorme Kräfte kosten, die wir sicher für den Rückweg brauchen. Stolpernd taumelt Max auf das Haus zu, indem die Wölfin verschwunden ist. Rasch hole ich zu ihm auf, umfasse seine klamme Hand und unterstütze ihm beim Laufen, welches den Rest seiner Energie verzerrt.

Überrauschenderweise sind meine weichen Knie nicht eingeknickt und schaffen es mein Gewicht obendrein zu tragen. Zwar sind auch meine Schritte nicht die Sichersten, aber ich bin auch nicht kurz vor dem Zusammenklappen, wie es bei Max jeden Moment der Fall sein kann. Haltsuchend zerquetscht er regelrecht meine Hand und ich würde am liebsten gequält aufseufzen. Jedoch verschlägt mir das Ausmaß der Zerstörung die Sprache.

Von nahem erkenne ich erst die ganzen, über die Straßen verteilen Scherben, die wie Fallen auf ihr Opfer warten. Splitter von den zerborstenen Möbeln, ragen wie Speere in die Luft und ein beißender, verbrannter Geruch betäubt meine Nase. Vergeblich suche ich nach irgendeinem Lebenszeichen, aber auch Blutspuren kann ich nicht ausmachen. Dennoch nistet sich ein flaues Gefühl in meinen Magen.

Totenstill stoße ich die angelehnte Tür auf, doch Max' spitzer Schrei lässt meinen Herzschlag in die Höhe schnellen. Panisch spähe ich in jede Richtung, auf der Suche nach verräterischen Bewegungen von weiteren Bestien. Allerdings kann ich nichts in dem Zwielicht erkennen.

"Was ist passiert?", frage ich ihn besorgt.

"Das Haus... es..." Schmerzhafte Schluchzer unterbrechen ihn und seine Stimme versagt völlig. Mittleidig lege ich meinen Arm um seine bebenden Schultern und bette seinen Kopf in die Nähe meines Brustbeins. Jedes Mal, wenn er in Tränen ausbricht, zerreißt auch ein kleiner Teil in mir. Jedes Mal wird es schwerer, den eigenen Schleier aus den Augen zu blinzeln und den Kloß herunterzuschlucken.

"Soll ich dich tragen?", flüstere ich ihm sanft ins Ohr. Meine Gliedmaßen lechzen nach einer Pause und ich selbst bin erschöpft. Trotzdem, solange ich noch genug Kraft habe, werde ich alles dafür tun, damit es wenigstens ein bisschen leichter für den Kleinen wird.

Müde nickt er nur mit seinem Kopf und schwerfällig hebe ich ihn auf meine Arme. Zum Glück ist das Zittern verschwunden, ansonsten hätte ich ihn nicht festhalten können. Wimmernd versteckt er sich in meiner Halsbeuge und in meinen hellbraunen Haaren.

Durch den Nebel - Jenseits aller RegelnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt