Kapitel 26

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Ich kann das nicht! Ich kann nicht darunter springen! Ich habe nicht einmal eine Taschenlampe! Tausend Gründe schwirren in meinem Kopf herum, warum es eine dumme Idee ist, mich alleine zu lassen. Mich alleine dieser Hexe auszuliefern. Ich bin ein anfälliges Wrack, wenn es um Magie geht! Wie soll ich dann eine alte, mächtige Hexe befreien, wenn mich ein winziger Zauber schon verrückt werden lässt?

Wenn Tristan und ich die Zeit hätten, zu diskutieren, dann würde ich diese Auseinandersetzung hundertprozentig gewinnen! Es spricht alles gegen seinen Vorschlag, aber leider fällt mir nichts Besseres ein, weswegen wir uns still anstarren. Wenn ich nicht bald einen Geistesblitz habe, dann werde ich in dieses schwarze Loch schlüpfen müssen und allein bei dem Gedanken zieht sich alles in mir zusammen.

"Verstanden?", wiederholt der Schwarzhaarige nachdrücklich und seine Augen schimmern wie Saphire in dem grellen Licht. Sein Kiefer ist angespannt, als würde er die Zähne krampfhaft aufeinander pressen. Die ehemals dunklen Stoppeln sind zu einem dichten Bart zusammengewachsen, welcher seine vollen Lippen umspielt. Eine unscheinbare Narbe schmückt seine linke Schläfe und zwischen seinen zusammengekniffenen Augenbrauen bilden sich tiefe Falten. Wenn er schluckt, zuckt sein Kehlkopf und für einen Augenblick verharren meine Augen an seinem Hals, bevor sie wieder von den blauen Edelsteinen gefesselt werden. Ich präge mir jedes Detail seines Gesichts ein, als würde ich es zum letzten Mal sehen. Wer weiß, vielleicht ist es auch so.

Ich nicke ihm stumm zu. Ich habe keine andere Wahl und uns rennt die Zeit davon, denn die Schritte der Wachen kommen immer näher. Zögerlich krieche ich auf die Bodenluke zu und kralle mich mit meinen eiskalten Finger am Rand fest. Wenn ich einmal springe, gibt es kein Zurück mehr. Meine bebenden Beine baumeln schon in der Finsternis und gleich werde ich komplett verschluckt.

"Hol mich nachher hier heraus", flüstere ich und schließe meine Augen. Dann hole ich tief Luft, um den letzten Rest des beruhigenden Dufts einzufangen. Meine Nerven sind zum Zerreißen gespannt und eine Gänsehaut befällt mich, als ein eiskalter Luftzug meinen Körper einhüllt. Ich stoße mich ab und versinke in der Dunkelheit.

Dumpf knalle ich auf den spröden Grund, wobei der Staub aufwirbelt und sich mit der abgestanden Luft vermischt. Das spärliche Licht aus der Luke beleuchtet nur einen kleinen Bereich, doch reicht es aus, dass ich den Rattenkot, der von Maden aufgefressen wird, erkennen kann. Augenblicklich schlägt mir der abscheuliche Gestank entgegen und treibt mir die Tränen in die Augen. Ich kann einfach nur froh sein, dass ich auf meinen Beinen und nicht in diesen Dreck gelandet bin. Der Boden ist zersprungen, sodass sich die lichtscheuen Käfer blitzschnell in den Zwischenräumen verkriechen.

Ein Schaben über meinen Kopf, lässt mich aufschrecken. Tristans Umrisse blitzen in der Luke auf, bevor er sie mit der Platte verschließt und mich mit einem unscheinbaren Nicken der Finsternis überlässt.

"Natürlich."

Mein Herz rast und die verpestete Luft raubt mir meinen Atem. Stechende Kopfschmerzen wollen meine Schläfen sprengen und mein Hals ist staubtrocken, als hätte ich tagelang nichts getrunken. Meine Beine zittern und schaffen es kaum, mein Gewicht zu halten, während der Angstschweiß auf meiner Haut gefriert. Meine Augen gewöhnen sich nur langsam an die Dunkelheit, doch bald kann ich meinen Atem sehen, der als mickrige Wolke meinen Lippen entflieht.

Es ist eiskalt und ich habe das Gefühl, dass ich festgefroren bin. Ich schlinge ängstlich meine Arme um meinen Bauch, der sich schmerzhaft gegen alles und jeden wehrt. Wo bin ich hier? Mit gerümpfter Nase setze ich schlurfend einen Fuß vor den andern. Der beißende Geruch von Verwesung, Schimmel und Kot verätzt meine Sinne, dabei bin ich mir sicher, dass das nicht alles ist, was die Luft vergiftet.

Unter meinem Gewicht zerdrücke ich den Dreck und die Maden, die in einem schleimigen Klumpen unter meinen Sohlen festkleben. Mit jedem Schritt zerreiße ich die Stille und ich werde immer nervöser. Mein keuchender Atem schallt von den entfernten Wänden wider und ich habe das Gefühl, mich durch ein Minenfeld zu kämpfen.

Durch den Nebel - Jenseits aller RegelnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt