Kapitel 16

440 25 0
                                    

"Was darf es zu trinken sein, die Herren?", frage ich höflich.

Mein Plan, mich einfach auszuruhen, ist kläglich gescheitert. Die Geschwister haben den Job als Zeitungsausträger bekommen und müssen morgen früh anfangen. Ich bin sofort von einem Lokal in das nächste gestürmt, um zu fragen, ob sie Arbeit für mich hätten. Nach unendlich vielen Absagen, konnte ich in diesem Café eine Stelle als Kellnerin ergattern.

Die Besitzerin, eine ältere, zierliche Dame mit pfirsichfarbener Haut und leuchtend weißen Haaren, ist mir buchstäblich um den Hals gefallen, als ich mich bei ihr erkundigte. Eine Mitarbeiterin ist kurzfristig erkrankt, weshalb sie mir mit Tränen in ihren himmelblauen Augen zugesagt hat. Sie scheint eine sehr emotionale und freundliche Person zu sein. Irgendwie ist sie eine Mischung aus einem aufblühendem Teenager und einer herzlichen Großmutter.

Bevor ich anfangen durfte, musste ich eine Tasse Tee mit ihr trinken, weil sie felsenfest davon überzeugt war, ich bräuchte eine kleine Aufwärmung und einen Moment Ruhe. Wie recht sie damit hatte, merkte ich erst als sich die warme, fruchtig süße Flüssigkeit in meinem Bauch ausbreitete und ich ein wohliges Seufzen nicht unterdrücken konnte.

Bei der Erinnerung an ihr strahlendes Gesicht, heben sich meine Mundwinkel. Ich bin zwar fix und fertig und die Arbeit ist wirklich nicht leicht, doch für diese Frau strenge ich mich noch einmal richtig an. Sie meinte, dass ich mein Trinkgeld behalten dürfte und es nicht mit den anderen Bedienungen teilen muss. Jeder bekomme das, was er auch wirklich verdient.

"Määäädel!", begrüßt mich grölend einer der Männer, bricht in schallendes Lachen aus und schwenkt gut gelaunt seinen Krug. Er ähnelt einem Reptil in Menschengröße. Seine aschgrauen Schuppen stehen wie Stacheln ab und die verschleierten senfgelben Augen heften sich an mich.

Mit einem freundlichen Lächeln komme ich ihm entgegen, denn er beginnt sich taumelnd aufzurichten. Ich will nicht, dass er die anderen Kunden stört, aber je später es wird, desto mehr schütten sich die Gäste zu und es macht eigentlich keinen wirklichen Unterschied mehr, ob er jetzt herumbrüllt oder nicht. Trotzdem soll er nicht kompletten Unfug anstellen. Ich rolle mit meinen Augen, als er sich erleichtert auf seinen Stuhl plumpsen lässt. Aus dem feinen Café ist eine Kneipe geworden.

"Was möchten Sie trinken? Den hausgemachten Schnaps kann ich Ihnen nur empfehlen."

"Diiie Ideee gefääällt miiir!", johlt er begeistert und lehnt sich extrem weit zurück, sodass ich schon Angst habe, er würde nach hinten umkippen. Erstaunlicherweise schafft er es aber, sein Gleichgewicht zu halten.

"Aaaber...", lallt er mit erhoben Finger, um seinen folgenden Worten mehr Ausdruck zu verleihen. "Iiich haabe diich nooch niiiiiee hiier geseehen! An aalle! Wiirklich an aalle bezauubernden Kellneriinen kaann iich miich eriinnern! Alsoo, wooher koommst duu, Prinzeessin uund waas maachst duu zwiischen all diiesen Baanditen? NIICHT WAAHR, JUUNGS!?"

Mit erhobenem Glas stimmen ihm seine Kumpel lautstark zu, auch wenn sie keinen blassen Schimmer haben, worüber er überhaupt redet.

Lachend schüttele ich meinen Kopf und wende mich wieder an das Reptil. Am Anfang haben mich die Wesen verängstigt, aber eigentlich sind sie gar nicht so schlimm. Um ehrlich zu sein amüsiert es mich, wie die verschiedenen Geschöpfe sich spaßeshalber gegenseitig necken und sich lustig über den anderen machen. Es herrscht eine lockere Atmosphäre, was meine nervösen Nerven merklich beruhigt. Keiner ist feindselig zu mir oder guckt mich komisch an, weil ich ein Mensch bin.

"Ich bin nur heute und vielleicht morgen hier", erkläre ich ihm. "Dann bringe ich Ihnen gleich fünf Schnäpse?"

"Füünf?!" Geschockt starrt er mich mit offenem Mund an. "Määdel! Briing uuns diie gaanze Flaasche! Weenn duu moorgen geehst, müüssen wiir heuute feiiern!"

Durch den Nebel - Jenseits aller RegelnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt