Kapitel 14

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Den ganzen Tag marschieren wir Tristan hinterher, denn er ist der Einzige, der den Weg kennen könnte. Dabei späht er des Öfteren aufmerksam in die Schatten des Waldes, welchen wir gerade durchqueren. Ich weiß nicht, wie lange wir schon unterwegs sind, doch mein Körper ist am Ende.

Ich schleife meine Beine fast hinter mir her, so erschöpft bin ich. Jeder Schritt ist eine Qual und es fällt mir immer schwerer meine Augen offen zu halten. Die letzten zwei Nächte habe ich kaum geschlafen, denn entweder bin ich bis in den Morgen in einer Bar herumgeirrt oder ich döste in einem Rattenloch voller verrückten Dingen.

Wenigstens betäubt die Müdigkeit meine Gedanken, weshalb ich die Bilder des letzten Tages erfolgreich verdrängen kann. Ich möchte nicht an den gigantischen Wald denken, der mich schikaniert hat oder an das stinkende Haus des Zauberers, wobei das noch die schönsten Erinnerungen sind. Das brennendheiße Portal, was mich beinahe aufgeschlitzt hätte, die Kästen, die mich zerfetzen wollten und der See mit allen Soldaten sind mit Abstand schlimmer gewesen. Wie ich diesen ganzen Mist überleben konnte, ist mir ein Rätsel.

Ein Schauer läuft mir über den Rücken, als das Blutbad in meiner Sicht aufblitzt. Bilder von dem schwarzen Monster, welches einen Soldat nach dem anderen zerfleischt, sodass das Blut alles unter sich begräbt, sind noch die Harmlosesten. Kaum ein Grashalm war unbefleckt und Leichen bedeckten den Boden, doch sind diese Geschehnisse nur schrecklich, brutal und abstoßend.

Anders ist es mit den Schuldgefühlen, die mich plagen. Für die gefallenen Soldaten hätte ich zum größten Teil nichts tun können. Der Wolfsdrache hätte sie wahrscheinlich sowieso getötet, um die Geschwister zu beschützen. Doch ich hätte versuchen können, ihn zu beruhigen, sodass er sie vielleicht nur bewusstlos geschlagen hätte.

Hätte, hätte, hätte! Und was wäre dann passiert?, motzt mich mein Verstand an. Sie wären aufgewacht und würden uns jagen. Jetzt erscheint es wenigstens noch so, dass sie durch einen tragischen Unfall im See untergegangen sind, denn Tristan versenkte ihre Körper, als wir uns umgezogen haben. Wenn wir Glück haben, schicken sie keine Verstärkung, weil unser Auftauchen in dieser Welt nicht wirklich aufgefallen ist und es ein verfluchter Zufall war, dass die Geschwister und Tristan in diese Situation kamen. Was genau passiert ist, wollte oder konnte mir keiner so genau erklären.

Ich seufze müde und reibe mir über das Gesicht. So viele Morde wollte ich nie im Leben sehen und ich wollte nie selbst, zu einer Mörderin werden. Ich beiße unbewusst auf meiner Lippe herum, bis sich ein metallischer Geschmack in meinem Mund ausbreitet. Für einen Moment höre ich damit auf, doch sobald meine Gedanken wieder abschweifen, mache ich weiter.

Ich habe ein Leben geraubt, um die Geschwister und mich selbst zu retten. Wenn ich nicht gehandelt hätte, wäre Lara jetzt in Einzelteile zerschnitten und spätestens dann hätte Tristan ihn geköpft. Der Soldat hatte keine Chance zu überleben. In dem Augenblick, wo ich die Bestie von ihren Ketten befreite, war sein Schicksal besiegelt. Leider ändert diese Tatsache nichts daran, dass ich diejenige war, die seinen Tod zu verantworten hat.

Wenn ich mit reinem Gewissen aus diesem Kampf herausgekommen wäre, hätte ich Tristan wahrscheinlich an den Kopf geworfen, dass er ein kaltblütiges Monster sei. Ich hätte vermutlich panische Angst vor ihm gehabt und mich so schnell wie möglich von dem Massenmörder getrennt. Aber jetzt bin ich selbst nicht besser. Ich habe eine Regel gebrochen, die man nicht brechen sollte.

"Können wir endlich eine Pause machen? Meine Füße tun weh und ich bin Hundemüde!", jammert das braunäugige Mädchen zum gefühlt tausendsten Mal. Ich schmunzele bei ihren Wörtern. Dabei stelle ich mir vor, dass der majestätische Wolf sich wie ein wohlerzogener Schoßhund aufführt und schwanzwedelnd ein Stöckchen holt.

Durch den Nebel - Jenseits aller RegelnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt