Kapitel 46

400 23 0
                                    

"Wie ist es gelaufen? Wird er uns helfen?", überfällt uns das Wolfsmädchen sofort, als wir den ersten Fuß aus dem Portal setzen. Zwischen Tristan und mir ist ein unerträgliches Schweigen entstanden, seitdem wir mehr oder weniger aus der Höhle geflüchtet sind. Keiner traut sich die Stille zu zerbrechen und die letzten Stunden anzusprechen.

Eigentlich ist es fast so wie früher, wo wir die Dinge totgeschwiegen haben, wenn wir uns näher gekommen sind. Dieses Mal stört mich die Distanz zwischen uns mehr denn je. Es ist als würde er mit jedem Atemzug seine Schutzmauern aufrichten, die ich unbemerkt abgetragen habe und mich aussperren. Ich weiß, dass es wahrscheinlich besser für uns beide ist, doch zerfetzt es mich innerlich und ich muss mich zusammenreißen nicht auf der Stelle in Tränen auszubrechen.

"Ja, er wird uns helfen. In den nächsten Tagen oder vielleicht auch Wochen wird das Rudel befreit. Er hat zwar nicht gesagt, wann er mit den Magiern redet, aber er wird es auf jeden Fall tun", beantworte ich ihre Frage bestmöglich und schiebe alle Gedanken an den Schwarzhaarigen beiseite.

Es ärgert mich, dass wir vergessen haben nachzufragen, wann Konstantin eingreifen möchte. Er wusste über das Meiste Bescheid, weshalb ich die Details verdrängt und mich auf seine Worte konzentriert habe. Bei seinen Erzählungen und unserem plötzlichen Abschied, habe ich dann völlig vergessen unser eigentliches Thema noch einmal anzusprechen. Das Einzige, was uns übrig bleibt, ist darauf zu hoffen, dass er sich an Tristans Bedingung, er solle das Rudel in den nächsten drei Tagen befreien, hält.

Erleichtert springt Lara mich an und schlingt ihre Arme um mich, als wäre ich ihr Rettungsring. "Danke, danke, danke, danke!", flüstert sie mir mit brüchiger Stimme in mein Ohr, bevor ein Schluchzer ihren zarten Körper erschüttert. Sie zittert am ganzen Leib und beruhigend streiche ich über ihren Rücken, wodurch sie hemmungslos ihren Tränen freien Lauf lässt.

Es muss eine unvorstellbare Belastung für sie sein, ihre Familie eingesperrt zu wissen, ohne etwas dagegen tun zu können. Ich kann mir wahrscheinlich überhaupt nicht vorstellen, wie sehr Lara und Max die letzten eineinhalb Monate gelitten haben müssen. Hoffentlich ist es bald zu Ende und die Geschwister können die Sorgen ablegen, die ihnen ihre Luft zum Atmen rauben.

Still halte ich sie in meinen Armen und als sich ein weiterer Druck an meinen Beinen bemerkbar macht, erkenne ich Max, der sich an mich klammert. Liebevoll fahre ich mit meiner freien Hand durch seine wirren Locken und presse ihn näher an mich, als auch seine Augen feucht werden und sein zierlicher Körper erbebt.

Die Beiden sind unglaublich stark und klug. Es tut mir im Herzen weh, wenn ich daran denke wie abstoßend Tristan und Konstantin von Ludwigs Erziehungsmethoden gesprochen haben. Neben der herzlosen Ausbildung hat ihr Vater vermutlich auch noch widerrechtlich ihre Entwicklung beschleunigt. Wenn ich mir die Geschwister anschaue, dann verstehe ich, warum es verboten ist.

Der Druck und der Zwang zerstören sie von innen heraus. Kinder brauchen ihre Kindheit, um sich frei und glücklich zu fühlen. Jedoch wurde von ihnen so viel mehr verlangt, weswegen sie sich größtenteils wie Erwachsene verhalten. Besonders um Max mache ich mir Sorgen, weil sein Gesicht die meiste Zeit einen ernsten oder nachdenklichen Ausdruck zeigt, welcher im Laufe der vergangenen Wochen zu einer Maske wurde, hinter der er seine Unbeschwertheit verbirgt.

Nasse Rinnsale fließen mein Gesicht hinab, während ich die Zeit vergesse. Das Einzige, was gerade wichtig ist, sind Lara und Max. Von ihnen fällt eine unvorstellbare Belastung und das erste Mal seit langem dürfen sie hoffen, dass es bald zu Ende ist und sie nach Hause können.

Irgendwann lösen die Beiden sich von mir und lächeln mich aus ihren geschwollenen Gesichtern dankbar an. Ihre braunen Augen sind verschleiert und heben die dunklen Ringe umso deutlicher hervor. Sie sehen so aus, als hätten sie die letzten Tage kein einziges Auge zu bekommen und es würde mich nicht einmal wundern, wenn sie augenblicklich umkippen und einschlafen würden.

Durch den Nebel - Jenseits aller RegelnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt