Kapitel 29

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Es ist mittlerweise mitten in der Nacht und ich bin todmüde, doch der Schlaf möchte mich einfach nicht mitreißen. Auch wenn mich die gleichmäßige Atmung der Schlafenden beruhigt, schaffe ich es nicht meine Gedanken zum Schweigen zu bringen. Allein am heutigen Tag ist so viel passiert, dass ich es unmöglich sofort abhaken kann.

Jedes Mal, wenn ich meine Augen schließe, blitzen die Bilder von den madenzerfressenen Häftlingen auf und ich meine die stinkende, eiskalte Luft zu spüren. Ich kann es gar nicht glauben, dass wir es tatsächlich geschafft haben Bajaga zu befreien.

Dass wir ohne Probleme zurück in das Hotel konnten, beweist einfach nur, wie krank diese Siedlung ist. Die Wachen im Gefängnis haben uns, sobald wir draußen waren, einfach ignoriert. Wir sind außerhalb ihres Machtgebietes, weshalb sie uns nicht verfolgen.

Die Marionetten verharren in ihrem gewohnten Gang und interessieren sich nicht für den Rest. Das Einzige, was mich wundert, ist die aufreizende Frau, die Tristan angefallen hat. Ich vermute, dass sie nicht wirklich von hier kommt und die komische Atmosphäre nicht wahrnimmt oder nicht wahrnehmen möchte.

Morgen früh brechen wir auf. Ob wir etwas bei der Regierung auslösen können, ist mehr als fraglich. Wir haben absolut nichts, was sie überzeugen oder umstimmen könnte. Warum der Alpha, also der Vater von den Kinder, nicht sehr beliebt ist, weiß ich nicht. Er ist mir zwar allein durch die Erzählungen von Lara und Max unsympathisch geworden, doch sollte er nicht für das Wohl des Rudels sorgen?

Die Aufgabe eines Alphas ist doch, das Rudel verantwortungsvoll zu führen und es vor Gefahren zu beschützen. Besonders die politischen und gesellschaftlichen Aspekte sollten bei ihm an erster Stelle stehen. Wie kann er es dann wagen, sich mit der Regierung anzulegen? Das widerspricht sich doch völlig.

Müsste ihm nicht auch sein Beta helfen? Er ist doch so etwas, wie sein Berater oder seine rechte Hand, wenn ich mich richtig erinnere. Er müsste ihn unterstützen oder Zweifel aufwerfen, wenn es um solche wichtigen Angelegenheiten geht.

Auch die Mutter von den Kindern müsste sich gegen ihn behaupten können. Als Luna soll sie sich um alle kümmern und eine emotionale Stütze für ihr Rudel sein, da muss sie doch etwas sagen, wenn ihr Mann sich mit der Regierung anlegt.

Obwohl ich den Alpha noch nie gesehen habe, besitzt er für mich eine der schlimmsten Persönlichkeiten, die ich kenne. Allein, was seine eigenen Kinder über ihn erzählen, was er seiner Familie angetan hat und wie sein Verhältnis zu anderen Wesen ist, lässt ihn immer weiter ins falsche Licht rücken.

"Du solltest endlich schlafen", flüstert eine tiefe Stimme in mein Ohr und augenblicklich stellen sich meine Nackenhaare auf.

Ich dachte, es würden alle schlafen? Wieso ist er noch wach? Ich lausche nach den Kindern, die sich in ihrer dicken Bettdecke eingerollt haben und nach der Hexe, die sich mit vielen Decken und Kissen auf den Boden gelegt hat. Sie scheinen tief im Land der Träume versunken zu sein und erleichtert seufze ich. Wenigstens habe ich sie nicht geweckt.

Leise drehe ich mich zu Tristan um und sofort verfängt sich mein Blick in seinen strahlend dunkelblauen Augen. Wie können sie selbst in der tiefsten Nacht noch so funkeln? Über was denke ich gerade nach? Ich habe wichtigere Probleme, als die Augenfarbe des Idioten.

"Ich kann nicht", gebe ich ihm die offensichtliche Antwort, was ihn nur ein unterdrücktes Schnauben entlockt.

"Das habe ich auch gemerkt", neckt er mich und seine Mundwinkel heben sich zu einem angedeuteten Schmunzeln, bevor sie sich zu einem dünnen Strich verziehen, "Was hast du in dem Gefängnis sehen müssen, dass du nicht einmal für fünf Sekunden deine Augen schließen kannst?"

Durch den Nebel - Jenseits aller RegelnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt