Mir ist schlecht und die unfreiwillige Fahrt ist nicht gerade unschuldig daran. Ich werde seit gefühlten Ewigkeiten in dieser Kutsche durchgeschüttelt, wobei es ist ein Wunder ist, dass sie bei dem lebensmüden Tempo noch zusammenhält. Das Holz knarzt gefährlich, wenn die Räder durch ein vermeintliches Schlagloch rasen und die Bodendielen verzerren sich bei jedem Ruck immer gravierender. Durch die Fugen dringt nur spärlich Licht in die Kabine, aber es ist unmöglich, aus ihnen nach draußen zu linsen. Vorausgesetzt ich schaffe es überhaupt für eine Sekunde, nicht gegen die nächste Wand geschleudert zu werden.
Ich presse mich krampfhaft mit meinen Beinen in den Sitz, was leider mehr schlecht als recht funktioniert. Seitdem ich aus den Kästen befreit wurde, beben meine Gliedmaßen unaufhörlich. Ich habe zwar schon diese höllischen Stiefel und Strümpfe abgepellt, doch sind meine Füße immer noch taub. Zur Krönung plagen mich auch noch Kopfschmerzen und ich würde am liebsten aufschreien.
Ich bin schon wieder gefangen und rase auf neue Schwierigkeiten zu. Ist es zu viel verlangt, für einen Moment nicht in Gefahr zu sein? Ich habe Angst. Panische Angst vor dem, was mich erwartet. Ich weiß nicht, ob ich jemals meine Familie und meine Freunde wiedersehen werde oder ob ich überhaupt diesen Tag überlebe. Tränen sammeln sich in meinen Augen und energisch verdränge ich sie. Ich darf jetzt nicht weinen. Das habe ich eben genug und es hat nichts gebracht, also reiß dich zusammen! Meinen Kopf kann ich hängen lassen, wenn ich gestorben bin, vorher nicht!
Mein Blick fällt auf meine Hände, die dank den Handschellen nicht zu gebrauchen sind. Die Fesseln sind zwar alt und leicht zu knacken, aber ich will mein Glück nicht herausfordern und sie jetzt schon öffnen. Ab und zu kontrolliert mich nämlich der junge Soldat und ich will ihm auf gar keinen Fall noch einen Grund geben, mich zu hassen. Es reicht schon, dass ich ein Mensch bin. Wenn ich zudem noch Schwierigkeiten machen würde, dann wäre ich schneller tot, als ich mich entschuldigen könnte.
Mein Schädel schlägt schwungvoll gegen das Holz, wodurch ich schmerzhaft aufstöhne und schwarze Schatten in meinem Blickfeld tanzen. Ich stütze meinen pochenden Kopf und massiere die angeschlagene Stelle so gut wie es bei dem Beben geht. Wenn das keine Gehirnerschütterung gibt...
Nach einer Weile lege ich meine bleischweren Arme in den Schoß und versuche meine Handgelenke zu bewegen, was nahezu unmöglich ist. Das massive Eisen hindert mich daran, auch nur minimal meine Position zu ändern, wobei es so eng anliegt, dass es mir in die brennende Haut schneidet. Ich zische heftig, als ich die dünnen Rinnsale sehe, die an meinen Händen entlang fließen und gebündelt an meinen Fingerkuppeln herab tropfen. Ich muss diese verfluchten Handschellen lockern, ansonsten verletzte ich mich nur immer mehr und darauf kann ich verzichten. So widerstandsfähig die Fesseln auch sind, der Verschluss ist einfach nur lächerlich.
Innerlich bedanke ich mich bei meinem Vater, der mir gezeigt hat, wie ich jegliche Art von Schlössern öffnen kann. Ich weiß gar nicht, wie oft ich seine Predigten hören musste, dass Schlösser keine Einbrecher seien, weswegen ich das Wissen nur in absoluten Notfällen anwenden solle. Aber ich denke, momentan ist es wohl einer.
Die Erinnerung an meinen Vater versetzt mir einen Stich und Schuldgefühle brechen über mich herein. Ich habe meine Eltern angelogen und gesagt, ich müsste lernen. Wie werden sie es verkraften, wenn ich mich nicht mehr melde und spurlos verschwinde? Ich bin in einer anderen Welt. Sie würden nicht einmal meinen Leichnam finden und die Ungewissheit würde sie auffressen. Wie konnte ich so leichtsinnig handeln? Ich habe mir viel zu wenige Sorgen über die Konsequenzen gemacht und jetzt ist es zu spät, um sich anders zu entscheiden. Ich muss es schaffen, nach Hause zu kommen.
Ich schließe für einen kurzen Moment meine Augen und lausche nach meiner inneren Stimme, meinem Bauchgefühl. Mir ist speiübel, aber meine Angst beginnt die Schmerzen zu verdrängen und meinen Willen zu wecken. Sie lähmt mich nicht mehr, sondern passt auf mich auf. Mein Herzschlag beruhigt sich, während meine Muskeln sich entspannen und aufhören zu zittern. Ich muss mich konzentrieren und einen kühlen Kopf bewahren.
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Durch den Nebel - Jenseits aller Regeln
Fantasy"Gehe nicht mit Fremden mit!" Jeder kennt diese Warnung, aber niemand kann sich alle Konsequenzen bewusst machen, die bei einer Missachtung folgen. Es ist alles möglich und nichts ist sicher. So muss auch die Studentin Alexandra ins kalte Wasser spr...