"Sie werden besser, auch wenn Ihre Fortschritte erbärmlich sind", lobt mich die Rothaarige mehr oder weniger freundlich. Jedoch weiß ich mittlerweile, dass es ihr wirklich nicht leicht fällt, überhaupt ein gutes Wort über irgendjemanden zu verlieren. Wahrscheinlich werde ich nie ein uneingeschränktes Lob von ihr zu hören bekommen, aber das ist nicht so schlimm. Sie meint es ja nicht böse.
Die letzten vier Tage habe ich versucht mich auf die Magie einzulassen und mich nicht von ihr einlullen zu lassen, wie das erste Mal. Der Stein ist eigentlich eine wirklich große Hilfe, wenn er denn funktionieren möchte. Ich habe manchmal das Gefühl, dass er ein Eigenleben besitzt und mich buchstäblich in einen verfluchten Strudel lockt. Wenn das passiert, schlagen dieselben Schmerzen auf mich ein, wie die im Hotel und es erfordert meine ganze Kraft mich gegen die Bewusstlosigkeit zu wehren.
Ich hätte nie gedacht, dass es so schwer ist ein wenig zu zaubern. Nicht einmal einen mickrigen Funken bringe ich zustande, aber wenigstens hat sich meine Aufnahmefähigkeit merklich verbessert. Auch ohne mich darauf konzentrieren zu müssen, kann ich die verschiedenen Muster erkennen und zuordnen. Die hauchfeinen Unterschiede in der Form der Schnörkel oder im Aufbau der Knospe sind die Merkmale, auf die ich achten soll.
Bajaga ist ein Genie, was dieses Thema angeht und sie hat mir hunderte Zauber demonstriert, die ich identifizieren sollte. Am Anfang war es zwar ein lustiges drauflos Raten, doch mit der Zeit bin ich besser geworden. Bei weitem noch nicht gut, aber auch nicht mehr grottenschlecht.
Es ist extrem anstrengend, aber eigentlich macht es sogar Spaß. Nachdem ich die vielen Fehlversuche hinter mir gelassen habe, prickelte die neugefundene Energie unter meiner Haut und ich fühle mich sicherer. Die ständige Angst, unbemerkt von Flüchen angegriffen zu werden, hat mir mehr zugesetzt, als ich gedacht habe.
Manchmal entspanne ich mich sogar für ein paar Minuten und vertraue auf meine frisch entdeckten Instinkte, die mir sogar verraten, wenn sich ein kleines Tier in unsere Nähe wagt. Als hätte ich einen weiteren Sinn bekommen, kann ich die Präsenz von anderen Wesen fühlen. Anfangs hat es mich überfordert, doch mittlerweile komme ich besser damit zurecht.
"Danke", freue ich mich und ein stolzes Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. Ich habe nicht völlig versagt und für einen ehemals jämmerlichen Menschen habe ich schon viel erreicht. Mit der Tatsache, dass mir keiner sagen will oder kann in was ich mich eigentlich verwandele, habe ich mich abgefunden. Von der Kraft einer Hexe bin ich weit entfernt und ich bin um Längen nicht sportlich genug, um mit anderen Wesen mithalten zu können.
Sogar Max würde mich in einem Rennen überholen und von Laras Reaktionszeit möchte ich gar nicht erst anfangen. Eigentlich bin ich immer noch ein Mensch, dessen Geruch und, nennen wir es, Ausstrahlung sich verändert hat. Ich habe beschlossen nicht weiter darüber nachzudenken. Zuhause wird es sowieso niemand bemerken und in dieser Welt ist es nur ein Vorteil, der uns so manchen Ärger erspart. Allein die Reise würde zehnmal schlimmer sein, weil mich die ganzen Pflanzen anfallen würden.
Die Steppe haben wir hinter uns gelassen und wir wandern jetzt durch ein Tal, welches von hohen Felswänden eingeschlossen wird. Irgendwo hinter den mit Blumenfeldern übersäten Hügeln soll das Schloss der mächtigsten Magier liegen. Hoffentlich haben wir bis dahin einen Plan, was wir tun werden, wenn wir angekommen sind.
Die letzten zwei Nächte haben Tristan und Bajaga darüber diskutiert, doch sind sie zu keiner wirklichen Lösung gekommen. Die Hälfte von dem, was sie erzählt haben, habe ich noch nicht einmal verstanden, weil mir dieses ganze Regierungssystem vollkommen fremd ist und mir die kurze Erklärung von Max auch nicht weiterhelfen konnte.
"Wartet", befehlt der Schwarzhaarige und holt mich damit aus meinen Gedanken. Verwirrt gucke ich ihn an und runzele meine Stirn. Worauf sollen wir warten? Eine Pause kann es nicht sein, weil wir erst vor kurzem losgegangen sind. Seine kristallenen Augen huschen aufmerksam über die Felder und seine Körperhaltung ist angespannt.
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Durch den Nebel - Jenseits aller Regeln
Fantasy"Gehe nicht mit Fremden mit!" Jeder kennt diese Warnung, aber niemand kann sich alle Konsequenzen bewusst machen, die bei einer Missachtung folgen. Es ist alles möglich und nichts ist sicher. So muss auch die Studentin Alexandra ins kalte Wasser spr...