Kapitel 39

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Ein Klopfen an der Tür verhindert, dass es zu einer kleinen Rauferei zwischen Jana und mir kommt, die ich trotz meiner Verletzungen gewinnen würde. Jana überragt mich zwar mit ein paar Zentimetern, aber trotzdem bin ich stabiler gebaut als sie. Außerdem musste ich sie immer vor den Typen beschützen, die sie blöd angemacht haben. Da muss ich zwangsweise stärker sein als sie.

Worüber wir beide uns gerade streiten, weiß ich gar nicht so genau, aber unsere Diskussion geht jetzt schon über zwei Stunden. Unsere Eltern sind schon vor einer ganzen Weile gegangen und seitdem leistet Jana mir allein Gesellschaft. Ich wollte Mama und Papa meinen Wohnungsschlüssel gegeben, damit sie nicht mehr in einer Ferienwohnung unterkommen müssen, aber sie meinten, dass sie heute Abend doch schon nach Hause fahren, weil die Arbeit sie ruft. Jana bleibt noch ein paar Tage, weil sie im Moment eh nichts Besseres zu tun hat.

"Ja!", gibt meine Schwester die Erlaubnis, dass man hereinkommen darf. Auch wenn man optisch kaum eine Ähnlichkeit findet, so entlarvt uns unsere Stimmfarbe, dass wir Schwestern sind. Wir hören uns komplett gleich an und besonders am Telefon kann man uns nicht auseinander halten.

Ein blonder Strubbelkopf lugt vorsichtig in den Raum und ich enttarne den Fremden sofort als Sonnyboy. Es ist mir wirklich unangenehm, dass ich seinen Namen vergessen habe, aber jetzt nachzufragen, wäre wohl auch ein wenig peinlich.

"Hi, wie geht's dir?", schüchtern kratzt er sich am Hinterkopf und lächelt mich an. Diese Geste hat bestimmt schon das ein oder andere Mädchenherz höher schlagen lassen, aber sowohl Jana als auch ich schenken uns nur einen vielsagenden Blick.

"Hey, setz dich doch. Ich wollte eh gerade gehen. Ach so! Bevor ich es vergesse: Vielen Dank, dass du meiner Schwester das Leben gerettet hast. Man sieht sich", quasselt Jana. Schneller als ich reagieren oder mich verabschieden kann ist sie aufgesprungen und aus dem Zimmer gestürmt. Na danke aber auch.

So eine miese Verräterin! Sie weiß ganz genau, dass ich keine Lust habe mit ihm zu reden. Leider hat Jana nur genauso wenig Interesse daran, mich vor dieser Unterhaltung zu retten. Also heißt es jetzt: Augen zu und durch!

Er ist zwar lieb und nett und hat mich anscheinend auch aus dieser Gasse geholt, nur ich weiß nicht, was er sich jetzt von mir erhofft. Mama hat von meinem Retter geschwärmt und ihre Beschreibung passt eins zu eins auf Sonnyboy. Ihrer Meinung nach sollte ich ihn mir sofort schnappen, diesen goldigen jungen Mann.

"Ich wollte deine Schwester nicht vergraulen und eigentlich wollte ich auch schon gestern vorbeischauen", entschuldigt er sich und lässt sich mehr oder weniger entspannt auf einen Stuhl sinken. Vereinzelt fallen ihm blonde Strähnen auf die Stirn und aus seinen hellblauen, fast schon grauen Augen schaut er mich schwärmerisch an.

Innerlich stöhne ich genervt, während äußerlich ein höfliches Lächeln meine Lippen deckt. Wie bedanke ich mich bei ihm und mache ihm gleichzeitig klar, das zwischen uns nichts sein wird, was über eine Freundschaft hinausgeht?

Ich weiß noch nicht einmal, was er an mir findet! Ich bin in den letzten Wochen abgemagert, meine Augenringe sind so tief und schwarz, wie ein Unterwasserkrater und meine Gesichtsfarbe ist aschfahl. Meine Haut ist übersät mit Krusten und mittlerweile gelbgrünen Flecken. Zur Zeit habe ich mehr Ähnlichkeiten mit einem Zombie, als mit einem lebenden Menschen.

"Vielen Dank, dass du mich aus dieser Gasse gezogen und mich gerettet hast", bedanke ich mich mit aufrichtiger Stimme. Ich verdanke ihm mein Leben und so schwer es mir auch fällt, ich stehe in seiner Schuld. Eigentlich kann er fast nach allem verlangen, was er möchte und ich müsste zustimmen.

"Das ist doch nicht der Rede wert. Jeder würde in so einer Situation helfen", erklärt er, jedoch warte ich bei seinem gefälligen Lächeln auf ein Aber, welches auch prompt kommt, "aber wenn du möchtest, könntest du dich mit einem Date bei mir revanchieren."

Durch den Nebel - Jenseits aller RegelnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt