Behutsam lege ich den schlafenden Jungen in mein Bett und decke ich ihn liebevoll zu. Schleichend verlasse ich das Zimmer und ziehe die Tür hinter mir zu. Erschöpft seufze ich. Mein Körper ist bleischwer, denn der Weg zurück war die Hölle. Erst dieser ewige Marsch durch den Wald und über das Feld, gefolgt von der gefühlt unendlichen Busfahrt. Das einzig Gute daran war, dass mir Lara die groben Umstände erklären konnte.
Alle Bewohner des Dorfes sind Werwölfe, welche sich, entgegen mancher Vermutungen, unabhängig vom Mondstand verwandeln können. Sie sind nur insoweit vom Mond abhängig, dass sie bei Vollmond am stärksten und bei Neumond, also heute, am schwächsten sind. Nebenbei erwähnte sie noch, dass es auch Vampire, Hexen, Zauberer und was weiß ich nicht alles geben soll. Es sei ja nichts besonderes, dass es verschiedene Wesen gäbe.
Ab dann ist es nur noch verwirrender geworden, als es eh schon ist. Hexen hätten das Rudel angegriffen, warum konnte sie mir nicht sagen, aber es geschah wohl gegen Mittag. Max habe sich morgens mit Samuel, seinem Bruder, gestritten und wäre kurz danach weggelaufen. Daraufhin sei Lara ihm gefolgt, um ihn zurückzuholen, doch habe sie Max' Bus verpasst und ging zurück zum Dorf. Dort angekommen hätte der Überfall schon begonnen. Lara versteckte sich im Geäst eines Baums, weil sie erst die Lage verstehen wollte. Auf meine Frage hin, ob sie eingreifen würde, reagierte sie beleidigt und meinte, sie sei nicht so schwach, wie sie aussieht und dass sie eine hervorragende Kämpferin sei, obwohl sie noch so jung ist. Das Problem wäre nur gewesen, dass die Hexen irgendeinen Zauberspruch oder ähnliches ausgesprochen haben, welcher die Werwölfe lähmte und sie so zu leichten Zielen wurden. Danach seien sie gefesselt worden und durch ein Portal verschwunden.
"Alexandra?" Schüchtern wippt Lara auf und ab und holt mich damit aus meinen Gedanken. Verwundert stoppe ich, mein Sofa weiter betttauglich zumachen und warte darauf, dass sie weiter spricht.
"Könnte ich dich um noch einen Gefallen bitten?" Erschöpf sacken meine Schultern ab, trotzdem nicke. Während unserer Unterhaltung ist mir aufgefallen, dass sie eigentlich sehr gesprächig und lebensfroh ist. Doch auch an ihr nagen die Ereignisse. Sie hat fieberhaft überlegt, wie sie weitermachen können, aber ihr ist nichts eingefallen. Verzweifelt hat sie angefangen zu weinen, hielt mich aber mit einer Handbewegung davon ab, sie zu trösten. Nach wenigen Augenblicken versiegten ihre Tränen und sie redete genauso lebhaft weiter wie zuvor.
"Es geht darum, wie wir weiter machen könnten", äußert sie zögerlich. "Wir müssen die Hexen finden, die uns angegriffen haben. Das Problem ist, dass sie in einer anderen Welt sind, die man nur durch ein Portal betreten kann." Verwirrt nicke ich wieder. Was möchte sie mir damit sagen? Worauf will sie hinaus?
"Ich kann kein Portal beschwören und sogar, wenn ich es könnte, wären wir zu schwach, um irgendetwas zu erreichen." Bedröppelt scharrt sie mit ihren Füßen über den Boden und unsicher kaut sie auf ihrer Lippe herum. Anscheinend weiß sie nicht, wie sie ihre Bitte äußern soll.
"Wie kann ich euch helfen?", schlage ich ihr zuvorkommend vor. Wenn ich sie irgendwie unterstützen kann, werde ich es tun. Sie einfach im Stich zu lassen, steht für mich gar nicht zur Auswahl.
"Tristan... Er gehört auch zum Rudel, jedenfalls glaube ich das. Er ist aber so gut wie nie da und treibt sich meistens sonst wo herum, aber er ist stark genug, um uns helfen, uns beschützen zu können. Am Wochenende hockt er oft in derselben Bar... Könntest du ihn bitte aufsuchen und ihn überreden uns zu helfen? Wenn wir bis morgen warten würden, hätten wir überhaupt keinen Anhaltspunkt, wo wir ihn finden können." Kleinmütig zieht sie ihren Kopf ein, als würde sie jeden Augenblick mit einer Abfuhr rechen. Ihr Wunsch ist zwar wirklich nicht der Einfachste, aber er liegt in meinen Möglichkeiten. Zwar werden mich meine Füße dafür umbringen wollen, aber diesen Preis kann ich zahlen.
DU LIEST GERADE
Durch den Nebel - Jenseits aller Regeln
Fantasy"Gehe nicht mit Fremden mit!" Jeder kennt diese Warnung, aber niemand kann sich alle Konsequenzen bewusst machen, die bei einer Missachtung folgen. Es ist alles möglich und nichts ist sicher. So muss auch die Studentin Alexandra ins kalte Wasser spr...