Kapitel 54

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Erschrocken weiten sich meine Augen, als aus den erstarrten Hexen, die schon vor Minuten regungslos auf dem Boden zusammengebrochen sind, schleimige Schuppentiere herausschlüpfen. Ihre Augen leuchten in einem schimmeligen Grün oder einem pissgelben Senfton, wobei ihre roten beziehungsweise violetten Pupillen wie zwei Schluchten ihre Iris halbieren. Die Schuppen gleichen einem dreckigen Gemisch aus braunen, grauen und schwarzen Matsch.

Wenn ein Tropfen von ihrem Schleim in den Boden sickert, entsteht ein beißender Geruch, der einen die Tränen in die Augen treibt. Aus ihren Mäulern ragen spitze, nagelartige Zähne, die sich sogar durch ihre eigenen Lefzen stechen, welche wie Fetzen an ihrer aalglatten Schnauze herunterhängen. Die viel zu kleinen Fledermausflügel schaffen es kaum den schlangenartigen Körper in die Luft zu heben. Ihre schmierigen Vorderkrallen sind gebogen und dürr, wie ein abgestorbener Zweig.

Als wäre ihr Erscheinen das Zeichen für die Werwölfe gewesen, stürzen sie sich unaufhaltsam gegen Bajagas Barriere, die der immensen Kraft nicht standhalten kann und in tausende Lichtfunken zerspringt. Ein Meer aus messerscharfen Zähnen und Klauen begräbt die orientierungslosen Würmer unter sich und das Rauschen von Blut schallt zu mir herüber.

Mittlerweile muss auch die dritte Einheit angekommen sein, denn es sind unglaublich viele Werwölfe auf dem Platz. Trotzdem entweichen aus den Hexen ständig weitere Lindwürmer. Es werden immer mehr und auch wenn sie noch sehr geschwächt sind, sind sie nach wenigen Augenblicken in der Überzahl.

Ich weiß, dass der Zauber von Bajaga die Parasiten sowohl vertreiben, als auch schwächen müsste. Doch die Würmer können es locker mit den Werwölfen aufnehmen. Sie sind extrem schnell und durch ihre wendigen Körper auch erstaunlich flink. Mit ihren langen Schwänzen wickeln sie sich um ihre Angreifer und zerquetschen sie. Das ohrenbetäubende Winseln der Werwölfe, wenn ihnen die Knochen gebrochen werden, könnte ich vermutlich noch kilometerweit hören.

So plötzlich, wie der Kampf begonnen hat, geht er auch weiter. Ich kann nicht einmal alles erkennen, was auf diesem Schlachtfeld passiert. Überall spritzen Bluttropfen durch die Luft, das Knacken von Knochen, das Winseln der Wölfe und das Zischen der Würmer beschallt den Platz. Das Stöhnen der Hexen, auf denen rücksichtslos herumgetrampelt wird vervollständigt dieses schreckliche Konzert.

Mein Herz schlägt mir bis zum Hals und ich spüre die Panik, die in mir aufsteigt, trotzdem kann ich mich nicht bewegen. Meine Muskeln reagieren nicht und ich bin völlig von dem Anblick erstarrt. Ich fühle mich machtlos, weil es trotz allem in einem Massaker endet. Die Werwölfe werden von den Krallen aufgeschlitzt, die Hexen werden unter den Pfoten zerquetscht und die Lindwürmer bluten aus den unzähligen Bisswunden.

Ein schriller Schrei entweicht meiner Kehle und kopflos will ich nach vornestürmen, doch reißt mich eine kräftige Hand zurück, was ich aber kaum wahrnehme. Bajaga ist vor Erschöpfung zusammengebrochen und Lara versucht sie mit letzter Kraft aus dem Gemetzel herauszuschleppen. Das Wolfsmädchen ist an ihrer Flanke verletzt und Blut rinnt in unzähligen Bahnen an ihr herab. Einer dieser verfluchten Würmer muss sie erwischt haben!

Sie humpelt und ihre Zähne sind gefletscht, als würde ihr jeder Schritt unglaubliche Schmerzen verursachen. Ich muss ihr irgendwie helfen! Sie daraus holen, ohne dass sie noch einmal getroffen wird! Tränen fließen unaufhaltsam meine Wangen hinab und meine Sicht verschwimmt in einem trüben Nebel.

"Tristan!", winsele ich, weil ich sonst absolut nichts machen kann. Ich bin keine Kämpferin! Ich kann nicht einmal mich selbst richtig beschützen! Wenn ich in dieses Schlachtfeld stürme, dann werde ich auf der Stelle getötet. Wieso kann ich nicht stärker sein? Wieso kann ich nicht das beschützen und verteidigen, was mir wichtig ist? Ich hasse es so machtlos zu sein!

Durch den Nebel - Jenseits aller RegelnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt