Kapitel 2

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Meine verkrampfte Hand wird mit einem Schlag heruntergerissen, als Max zitternd zu Boden sackt. Totenfahl starrt er auf das Chaos. Regungslos und ungläubig.

"Max!" Verzweifelt und vollkommen überfordert knie ich mich neben ihn. Er soll mich angucken und nicht diese Zerstörung! Stürmisch packe ich ihn an seinen Schultern und schüttele ihn hysterisch durch.

"Max, jetzt sie mich endlich an!", kreische ich panisch. Er soll einfach nur reagieren! Wie ist mir vollkommen egal, doch er muss aus dieser Starre fallen! Tränen verschleiern meinen Blick und mein Hals schnürt sich gefährlich zu. Gewaltsam dränge ich die anschwellende Hilflosigkeit zurück. Ich darf mich nicht in meiner Verzweiflung verlieren!

"Max, bitte!"

Geschockt weiten sich seine verschleierten Augen und der glanzlose Blick füllt sich in Sekunden mit Angst, Entsetzen und Panik. Stille Tränenbäche fließen seine Wangen hinab, hinterlassen dicke Spuren auf seiner unnatürlich bleichen Haut. Hilfesuchend sieht er zu mir auf, bevor ein herzzerreißendes Schluchzen seine Kehle verlässt. Augenblicklich ziehe ich ihn in meine Arme und halte ihn einfach nur fest. Gewaltig erzittert der kalte Körper und verzweifelt suche ich nach Worten, die den Kleinen trösten könnten, doch mir will nichts einfallen, was nicht nach einer hohlen Lüge klingt.

Die offensichtliche Verwüstung des Dorfes spricht für sich. Die Häuser sind ausnahmslos beschädigt, wenn nicht gar zerstört. Brandspuren, zerbrochenes Glas, auf die Straßen geworfene Möbel und lange undefinierbare Risse in den Fassaden malen ein grausames und angsteinflößendes Bild der Zerstörung. Wer oder was konnte so etwas anrichten? Ein Schauer läuft mir über den Rücken hinab, als ich die groben, tiefen Furchen im Putz betrachte. Dabei versucht mein Verstand fieberhaft eine logische Erklärung zu finden, die nichts mit übernatürlichen Fantasiegebilden zu tun hat. Eine Waffe? Wohl kaum! Keiner verwendet mehr Schwerter und Klingen! Meine Gedanken überschlagen sich. Doch einer setzt sich in meinem Kopf fest. Was ist mit den Menschen passiert? Bitte, lass sie leben!

Der Kloß in meinem Hals erschwert mir zunehmend das Atmen und verräterisch fangen meine Augen zu brennen an, als ich beginne, Max behutsam hin und her zuwiegen und dabei wortlose, beruhigende Laute von mir zugeben. Ich muss mich zusammenreißen. Der Junge hat vermutlich seine Familie verloren. Aber meine Nähe und Zuwendung sind der einzige Trost, den ich ihm spenden kann.

Plötzlich durchbricht ein Knacken die Stille, was mein Herz zum Rasen bringt und Bilder von Bestien in meinen Geist drängt. Diese unerklärliche Zerstörung treibt mich noch in den Wahnsinn! Aufgewühlt fegt mein Blick über das Chaos, aber viel zu oft verfängt er sich in den gespenstischen Schatten der Gebäude. Warum ist es denn auf einmal dunkel? Ängstlich bemühe ich mich, meine stockende Atmung zu beruhigen. Es ist nur die Dämmerung, kein Grund gleich auszuflippen.

Wimmernd kriecht Max näher an mich und presst mir damit die Luft aus den Lungen, denn durch den Druck, schaffe ich es kaum, meinen Brustkorb zu heben. Wie kann er bloß so stark sein? Das ist doch nicht normal. Ein lauteres, näheres Knacken lässt mich zusammenfahren. Ich habe mir das Geräusch eben nicht eingebildet. Hektisch hetzt mein Kopf in alle Richtungen, doch kann ich nichts erkennen. Jedes Haus, jeder Baum und jedes Möbelstück bietet eine perfekte Möglichkeit sich hinterhältig zu verstecken.

"Max, wir sollten besser gehen", wispere ich ihm zu. Adrenalin rauscht in meinen Adern und ein gewaltiges Fluchtgefühlt übertönt meine anderen Gedanken. Max schüttelt nur mit seinem Kopf und winselt undeutliche Worte vor sich her.

"Lass uns verschwinden!", zische ich aufgebracht. Dieses Mal ist es meine Stimme, welche die Stille zerbricht und kein weiteres Knacken. Mühselig richte ich mich auf und ziehe Max einfach mit hoch, da er mich ununterbrochen umschlingt. Eilig hetze ich wenige Schritte nach vorne, taumele aber durch Max' windenden Befreiungsversuche wieder zurück. Doch sobald er den Boden berührt, klammert er sich an meinen Beinen fest. Das kann doch nicht sein ernst sein!

Durch den Nebel - Jenseits aller RegelnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt