Kapitel 28

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"Fräulein Alexandra, warum haben Sie sich für mein Wohlbefinden eingesetzt?", fragt mich die Hexe, während ich ihre Handschellen öffne. Ihre Finger sind angeschwollen, jedoch verfärben sie sich augenblicklich, sobald das Blut ungestört in sie zurücklaufen kann.

"Sie mussten viel aushalten, deswegen sollen Sie sich wenigstens jetzt etwas besser fühlen", erkläre ich ihr und lasse das warme Wasser in die Wanne fließen. Dass ich ihr dabei meinen Rücken zuwende, ist mir sogar relativ egal. "Was ist passiert, bevor ich gekommen bin?"

Es bleibt eine lange Zeit still und nur das Rauschen ist zu hören. Ich blicke sie abwartend über meine Schulter hinweg an. Sie starrt mit leeren Augen auf den Boden und ihre Haltung fällt schleichend in sich zusammen. Ihr abgemagerter Brustkorb bebt und tonlos murmelt sie vor sich hin.

"Es ist jetzt alles in Ordnung." Beruhigend lege ich ihr meine Hand auf den Rücken und schiebe sie sachte zu der Badewanne. "Sie müssen mir nicht antworten. Könnten Sie bitte Ihre Arme heben?"

Die Rothaarige kommt meiner Aufforderung emotionslos nach und ich ziehe ihr das dreckige Hemd über den Kopf. Ihre ledrige Haut schimmert im Licht und ihr von Narben übersäter Körper wirkt, als könnte er jede Sekunde zerbrechen.

"Ich... sie...", brabbelt sie los, aber bricht ab und senkt ihren Blick. Sie zittert am ganzen Leib und ihre Knochen stechen regelrecht hervor.

"Kommen Sie. Das Wasser wird Ihnen gut tun", rede ich auf sie ein. Ihr plötzlicher Stimmungswechseln macht mir Angst. Meine Frage ist doch gar nicht so schlimm gewesen, oder?

Behutsam helfe ich ihr, in die Wanne zu steigen. Der duftende Dampf hat sich im Raum verteilt und hüllt uns in einen dichten Schleier. Mit einem Becher gieße ich ihr das Wasser über die verfilzten Haare und massiere das Shampoo ein, wodurch sie sich endlich ein bisschen entspannt.

Ein wohliges Seufzen entweicht ihr und genießerisch lehnt sie sich nach hinten. "Sie verstehen es nicht...", flüstert sie und verwundert runzele ich meine Stirn, "Sie haben es nicht gesehen..."

Das meint sie. Deswegen ist sie bei den Anderen wahrscheinlich so anders. Sie waren nicht bei den Verließen. Sie haben nicht die Verstümmelten gesehen und haben nicht die Angst gespürt, von Parasiten befallen zu werden.

Diese Frau ist eine der stärksten Personen, die ich kenne und ich bewundere sie für ihr Durchhaltevermögen. Ich bin nach nicht einmal einer Stunde am Ende meine Nerven gewesen und die Verzweiflung hat mich übermannt. Kaum vorstellbar, dass sie es vermutlich über Jahre ausgehalten hat.

"Wie haben Sie eigentlich die Parasiten verscheucht?" Die Worte kommen über meine Lippen, ohne dass ich großartig über sie nachdenke und schuldbewusst zucke ich zusammen.

"Ein Schutzzauber hielt sie ab. Ich habe ihn vorsorglich ausgesprochen, weil ich schon Schlimmes ahnte, doch mit Ungeziefer habe ich nicht gerechnet." Ein Lächeln umspielt ihre Mundwinkel und geistesabwesend wischt sie sich den Dreck von der bleichen Haut.

Diese Frage hat ihr keine Schwierigkeiten bereitet, obwohl sie um einiges taktloser war. Ich sollte das Thema rund um ihre Gefangenschaft meiden, oder nicht? Nur leider liegen tausend Fragen auf meiner Zunge, die heraussprudeln, wenn ich sie nicht bewusst zurückhalte.

"Fragen Sie, was Sie möchten. Zweifelsfrei werde ich ohnehin alles erzählen müssen. Außerdem wirkt unser Vertrag, seitdem ich ihm zugestimmt habe." Mit ihren blassen Augen späht sie zu mir herüber und komischerweise gibt mir ihre Offenheit den nötigen Mut, um die nächste Frage zu stellen.

"Wieso wurden Sie eingesperrt?"

Die Hexe seufzt müde und zum Teil auch resigniert aus, als hätte sie genau damit gerechnet. "Um dies verständlich zu beantworten, bedarf es einer längeren Erklärung. Ich würde Sie bitten, mich nicht nach jedem Satz zu unterbrechen."

Durch den Nebel - Jenseits aller RegelnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt