Kapitel 22

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"Hey, wach auf."

Eine vertraute und gleichzeitig ungewöhnliche Stimme durchbricht die Finsternis. Sie wärmt mich auf und bringt mein Blut in Wallung, sodass mein Herz schneller schlägt. Ich kann wieder etwas fühlen! Ich könnte vor Erleichterung Luftsprünge machen, aber als ich versuche mich zu bewegen, scheitere ich kläglich. Mein Körper ist immer noch bleischwer, während mein Geist so leicht wie eine Feder ist.

Ich entspanne mich und genieße das unbeschreibliche Gefühl, welches sich in mir ausbreitet. Leider kann ich es nicht lange auskosten, denn die Schmerzen, die zusammen mit meinen Sinnen auf mich niederprasseln, zerquetschen das spärliche Glück, welches in mir aufglimmt. Frustriert wimmere ich auf. Ich will endlich hier weg! Noch einmal halte ich das nicht aus!

In meinen Augen bahnen sich die unumgänglichen Tränen an und die qualvollen Stiche lassen mich immer mehr verzweifeln. Es tut so verdammt weh. Der Druck schmettert auf meine Knochen und ihr Knacken jagt mir einen eiskalten Schauer über den Rücken. Werden sie zerbersten und zu Staub zerfallen? Ein grausames Stöhnen verlässt meine Lippen, als meine Haut von etwas Brennendem getroffen wird.

"Kommt sie zu sich?", aufgeregt quietscht eine schrille Stimme in meinen Ohren, weshalb ich zischend die Luft einziehe, "Sie kommt tatsächlich zu sich! Zum Glück! Sie hat über zehn Stunden nicht reagiert und jetzt wacht sie endlich auf! Ich war schon verrückt vor Sorge!"

"Lara, sei ruhig! Du bist zu laut!" Der dunkle Klang beschert mir eine Gänsehaut und wohlig wispere ich.

"Lara, wir gehen am besten raus", drängt eine weitere, deutlich jüngere Stimme und schleppend begreife ich, wer sich gerade überhaupt unterhält.

"Was?! Nein! Ich werde jetzt nicht gehen!", sträubt sie sich.

"Du bist so laut wie ein Trampeltier und sie zuckt bei deinem Gezeter zusammen! Wir gehen jetzt raus. Sie braucht Ruhe!", befehlt der Kleine knurrend und ich hätte nie gedacht, dass er jemals so einschüchternd sein kann.

Lara schimpft leise vor sich her, aber ich höre, wie die Beiden aus der Tür gehen und sie hinter sich schließen. Augenblicklich werde ich unruhiger und mein Herz macht einen Sprung. Tristans Wärme kann ich deutlich spüren und der Wunsch, mich einfach in seine Arme zu werfen, wird immer größer. Was ist nur los mit mir?

Plötzlich fange ich an zu zittern und die Schmerzen ertränken meine anderen Emotionen. Die Finsternis zieht wieder ihre Fäden um meinen Verstand und die Leere betäubt meine Gegenwehr. Ich will das nicht! Ich will nicht wieder die Kontrolle verlieren. Schluchzer zersprengen meinen Brustkorb und schnüren meine Kehle zu.

Eine raue Hand legt sich auf meine Stirn und streicht mir die schweißnassen Haare aus den Augen. "Ganz ruhig", flüstert er mir zu, "Der Zauber verliert seine Wirkung."

Zauber? Was für ein Zauber? Ich runzele verwirrt meine Stirn und versuche die dröhnenden Kopfschmerzen zu verdrängen. So kann ich einfach nicht nachdenken! Ich atme tief den rauchigen Duft ein und beruhige mich, als er die Qualen lindert. Es ist ein angenehmer Geruch, kein ekliger Gestank, wie der von Zigaretten oder von angekohltem Plastik. Tristans Rauch ist einmalig. Er vermittelt mir ein Gefühl von Geborgenheit, Schutz und Wärme.

Ich versuche meine verklebten Lider zu heben und winsele enttäuscht auf, weil es einfach nicht funktioniert. Jetzt würde ich gerne über meine Augen reiben, um die Körner aus ihnen zu wischen, aber mehr als ein Zucken in den Fingerspitzen bringe ich nicht zustande. Verdammt! Das ist einfach nur erniedrigend! Wann bin ich so hilflos geworden?

Wütend über mich selbst presse ich meine Lippen zusammen. Das darf doch nicht wahr sein! Jetzt, wo ich endlich meinen Verstand einschalten kann, sollte ich nicht so wehleidig sein! Ich hole noch einmal tief Luft und stoße sie schrittweise aus.

Durch den Nebel - Jenseits aller RegelnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt