„Wieso?", ist das Erste, was mir rausrutscht. Er will mich begleiten? Versucht er nicht eigentlich immer mir aus dem Weg zu gehen, wenn er schon meine Nähe ertragen muss? Und jetzt will er freiwillig Zeit mit mir verbringen? Zwar haben wir vorhin schon ein einigermaßen zivilisiertes Gespräch führen können, doch ich habe nicht zu hoffen gewagt, dass sich das wiederholt. Der Alkohol hat seinen Organismus anscheinend noch nicht verlassen.
„Wieso?", wiederholt er perplex meine Frage. „Willst du alleine zurücklauf-"
„Nein!", unterbreche ich ihn etwas zu hektisch. Nein, ich möchte natürlich nicht alleine zurücklaufen. Aber trotzdem beantwortet das nicht meine Frage.
„Na also!", sagt Harry dann, als wir am Aufzug angekommen sind und ich beobachte wie er auf den Knopf drückt.
„Ähh...", stammele ich vor mich hin und ich spanne mich augenblicklich wieder an, als ich daran denke in diesem Glaskasten nach unten zu fahren. „Ich denke ich nehme die Treppe!", informiere ich ihn und schiebe mich an ihm vorbei um mich auf die Suche nach der Treppe zu machen.
„Was?", höre ich ihn hinter mir entgeistert von sich geben, bevor ich schon eine Hand an meinem Arm spüre, die mich aufhält.
„Wir sind im 36. Stock, du wirst nicht die Treppe nehmen!"
„Harry! Ich muss doch nur runter laufen, was ist denn schon dabei?", versuche ich ihn zu beruhigen, doch er zieht mich an meinem Arm zurück zum Aufzug, bei dem gerade die Türen aufgehen.
„Du wirst nicht 36 Stockwerke nach unten laufen!", befiehlt er mir, als er mich auch schon vor sich in den leeren Aufzug schiebt. „Du tickst ja nicht richtig, Luna!"
„Aber der Aufzug ist aus Glas!", protestiere ich kleinlaut.
„Na und? Wen interessiert das?", fragt er mich verwirrt und drückt auf die Taste für das Erdgeschoss.
„Mich?!", mache ich ihm klar, doch höre ich nur ein verächtliches Schnauben von ihm.
„Du hast auch echt vor allem Schiss, oder? Akrophobie, Klaustrophobie, Achluophobie und wenn ich mich recht erinnere auch noch Arachnophobie. Wie kommst du nur mit deinem Leben klar?"
„Wieso bist du nur so geworden?"
Verletzt drehe ich mich von ihm weg, auch wenn ich dadurch genau nach draußen und damit nach unten sehen muss. Ich halte den Atem an und spüre, wie sich mein Körper verkrampft. Wie sehr ich mir in diesem Moment doch nur eine beruhigende Umarmung von dem alten Harry wünsche. Ich hasse diese ängstliche Seite selber an mir, doch habe ich gelernt, dass es nicht unbedingt hilfreich ist, meine Ängste zu ignorieren, sie auszublenden oder zu unterdrücken. Harry war immer der einzige, der mir geholfen hat, meine Ängste zu akzeptieren und mit ihnen umzugehen. In der Scheibe sehe ich sein Spiegelbild und wie er sich zerstreut durch die Haare fährt bevor er genervt durchatmet.
„Hey", höre ich seine raue Stimme dann leise die Stille durchbrechen und ich spüre erneut seine Hand auf meinem Arm, die mich langsam zu ihm umdreht. „Sieh nicht nach unten!", befiehlt er mir ruhig. „Sieh mich an!" Überrascht blicke ich zu ihm auf und schaue in seine warmen, grünen Augen, die umgehend dafür sorgen, dass ich mich entspanne. „Gut so! Und jetzt versuche ganz ruhig zu atmen!"
Ich tue sofort was er sagt und mein Körper beruhigt sich unverzüglich. Wieso hat er nur so eine beinahe Angst einflößend große Wirkung auf mich? Ich lächele ihn leicht an und bin ihm unendlich dankbar. Zwar weiß ich nicht, ob das wieder nur am Alkohol liegt, doch ist es trotzdem ein kleiner Beweis dafür, dass der alte Harry noch irgendwo tief in ihm ist.
Irgendwie wurde sein altes Ich von etwas anderem überschattet, aber ist dieser Schatten nicht so groß, dass davon nichts mehr übrig ist. Auch wenn es nicht viel war, was ich von dem wahren Harry habe sehen können, seit wir uns wieder getroffen haben, ist es dennoch genug, um noch Hoffnung zu haben. Ich muss herausfinden, was ihn so verändert hat und das werde ich auch.
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Die Sterne sind gegen Uns | H. S.
Fanfiction"Ich würde alles tun, um bei dir bleiben zu können!" "Für immer?" "Für immer!" Ein Versprechen, nur in Sand geschrieben. Ein Versprechen, was zu halten sie nicht fähig waren, denn es war nicht nur irgendeine Welle, die dieses Versprechen nichtig m...