Kapitel 46

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Es fühlt sich an, als würde meine ganze Welt zusammenbrechen. Als würden die Wolken über mir vom Himmel fallen. Alles, woran ich geglaubt habe, woran ich so sehr glauben wollte... Alles, woran ich immer festgehalten habe, basiert auf einer Lüge. Ich habe mir diese Lüge immer wieder wie ein Mantra vorgesagt. Harry steht immer noch so nah vor mir, dass es sich anfühlt, als wäre ich gefangen, als könnte ich nicht atmen. Als könnte ich nicht denken. Ohne ein weiteres Wort stürme ich aus dem Badezimmer und raus aus seiner Wohnungstür. Ich muss hier weg. Ich brauche Luft. Wieso endet jeder schöne Moment mit Harry immer in einem Albtraum? Und wie sehr ich hoffe, dass das hier gerade auch nur ein Traum ist. Ich taumele mit tränenverschleiertem Blick den Flur entlang auf der Suche nach den Aufzügen, doch auf halber Strecke können mich meine Beine nicht mehr tragen. Außer Stande stehen zu bleiben suche ich nach Halt an der Wand, an welcher ich kraftlos zu Boden sinke. Ich weiß nicht genau wie lange ich in dieser Position verharre, wie viele Tränen ich vergieße, wie häufig ich mir wünsche, gleich aufzuwachen, als ich plötzlich Schritte vernehme. Es fühlt sich an, als wären Stunden vergangen.

Ein überraschtes „Luna?", dringt durch das Rauschen in meinen Ohren und ich folge Js Stimme, welcher direkt über mir steht. Mein grausiger Anblick scheint in ihm kurz Mitleid zu erwecken, doch sofort wird sein Blick eigenartig wütend.

„Dieser verfluchte Idiot!" Ich verschwende keinen Gedanken an seine eigenartige Reaktion. Ich will nur eins.

„Sag mir, dass das nicht wahr ist, J!" Meine Stimme klingt immer noch gebrochen.

„Was hat er dir erzählt?"

„Bitte sag mir, dass er ihn nicht getötet hat!"
Alles woran ich je geglaubt habe, würde sich in Luft auflösen. Doch obwohl ich ihn voller Hoffnung bitte, mir das zu erzählen, was ich hören möchte, weiß ich doch ganz genau, was Harry gerade gesagt hat. Ich weiß ganz genau, dass das hier kein Albtraum ist. Und so überraschen mich die kommenden Worte, bei denen ich eigentlich das genaue Gegenteil erwartet habe.

„Hat er auch nicht!"

Ich versuche das Gesagte zu realisieren, als ich unterbewusst den Atem anhalte und versuche meine Tränen wegzublinzeln, um in Js Gesicht zu erkennen ob er die Wahrheit sagt. Ich verstehe die Welt nicht mehr.

„Wieso hat er dann...", beginne ich, doch werde von meinem Gegenüber unterbrochen.

„Das ist etwas komplizierter!"

Ich verfolge mit meinen Augen, wie er sich rechts neben mir auf dem schwarz-weiß gemusterten Teppichboden niederlässt.

„Bitte, versuch es einfach!"

„Eigentlich habe ich gehofft, er würde es dir irgendwann selber erzählen, aber ich hätte es wissen müssen!" Als würde er auf irgendwas einschlagen wollen, ballt er kurz die Fäuste doch beruhigt sich wenige Sekunden später wieder. „Am Anfang hat ihm keiner ein Wort geglaubt!", beginnt er, doch zögert daraufhin, als würde er nicht so recht wissen, wie er anfangen soll. „Ich hatte selber am Anfang meine Zweifel gehabt, als er angefangen hat, diesen Schwachsinn zu erzählen, aber ich habe sie nie laut ausgesprochen. Ich konnte meinem kleinen Bruder doch nicht in den Rücken fallen, wenn schon alle anderen ihn für verrückt hielten und ihm kein einziges Wort glaubten. Und obwohl ich nicht wusste, von was er da redete, wusste ich doch, dass er kein Mörder war. Und schon gar nicht ein Lügner. Erst recht kein so schlechter." Ich bin verwirrt. Mit nichts von dem, was J von sich gibt, kann ich auch nur das geringste anfangen.

„Jacob!", stoppe ich deshalb seinen Wortfluss. „Was ist passiert?"

Er seufzt und fährt sich gestresst mit einer Hand durch seine blonden Haare. „Also gut. Harry, Sean und Jonas hatten sich an diesem Tag verabredet. Keine Ahnung, was sie vorhatten, aber darum ging es nicht. Ich wusste davon, habe die drei bei uns irgendwann darüber sprechen hören, aber an diesem Tag, habe ich Harry vorher nicht mehr gesehen. Niemand hat die drei zusammen gesehen. Genau das ist das Problem. Wie dem auch sei, als dann..."

Die Sterne sind gegen Uns | H. S.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt