Kapitel 61

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Mit einem unwohlen Gefühl in der Magengegend betrachte ich das rote Kleid auf meinem Bett. Schon bei meinem Abschlussball hatte ich mich für die Farbe schwarz entschieden, um möglichst ohne große Aufmerksamkeit zu erregen diesen Abend zu überstehen. Ich habe mich ohnehin noch nie in solcher Art von Kleidern wohlgefühlt, aber jetzt das ganze Spiel nochmal in Rot?

„Es gab keine große Auswahl!", hat Jacob sich vorhin mit erhobenen Händen verteidigen wollen. Er habe angeblich nur darauf geachtet, ein Kleid mit langen Ärmeln zu finden, damit ich die unschönen Schürfwunden verstecken kann.

„Du hast wohl keine andere Wahl!", hat Harry nur dazu gesagt.

Meinen bösen Blick haben die beiden Brüder ignoriert. Stattdessen kam Jacob mit einer weiteren Überraschung um die Ecke, als er zusätzlich dazu auch noch zwei Masken aus seinem Rucksack zog.

„Glaubst du wirklich ich hätte diesen schwachsinnigen Ball vorgeschlagen, wenn Allington dich schon auf der Türschwelle erkennen und rauswerfen würde, Harry?", schnitt J Harry schon das Wort ab, bevor dieser auch nur protestieren konnte. Also ein Maskenball.

„Ich habe diesen Daniel noch nie in meinem Leben gesehen, wieso sollte er mich nach all den Jahren erkennen?"

„Nach all den Jahren? Du warst 13! Glaubst du wirklich er weiß nicht wie du aussiehst, wenn er geholfen hat dein Leben zu zerstören?"

Harry hat darauf nichts mehr gesagt. Mich hat die Vorstellung, mich hinter einer Maske verstecken zu können allerdings wieder beruhigt. Ich wurde noch nie gerne von Menschen angesehen. Und Daniel Allington wollte anscheinend ebenso wenig von so vielen Menschen gesehen werden.

Vorsichtig streiche ich mit den Fingern über den Stoff. Das Oberteil des Kleides ist komplett aus undurchsichtiger, feiner Spitze gearbeitet. Von dem Saum des viel zu großen Ausschnittes gehen kaum erkennbare Strahlen aus winzigen roten, funkelnden Steinchen aus. Ich öffne den seitlichen Reisverschluss, der seidige Stoff des Rockes fühlt sich weich an meinen Beinen an, als ich mir das Kleid vorsichtig überziehe. Es sitzt absolut perfekt, bemerke ich als ich den kleinen Reisverschluss ohne Probleme schließen kann und mich in meinem Standspiegel betrachte. Der tiefe Ausschnitt umschmeichelt meinem Dekolleté, lässt meine Oberweite voller aussehen, als sie eigentlich ist. Auch der hoch angesetzte Beinschlitz und zusätzlich dazu die hohen, silbernen Schuhe lassen meine Beine unnatürlich lang aussehen. Wow, ich fühle mich beinahe schön. Gerade, als ich überlegen möchte, was ich mit meinen lieblos hochgesteckten blonden Haaren machen soll, klopft es an der Tür.

„Herein!"

Die Tür öffnet sich leise, knarzend und ich drehe mich zu Harry um. Dieser jedoch bleibt nur stumm im Türrahmen stehen, sieht mich genau an und sagt kein einziges Wort. Als ich anfange mich unwohl zu fühlen ob dieses intensiven Blicks, schaue ich zu Boden.

„Jetzt sag schon!", bitte ich ihn unsicher. Das Kleid gefällt ihm nicht.

Doch stattdessen höre ich seine raue Stimme sagen: „Du siehst wunderschön aus!"

Ich schaue wieder zu ihm auf und eine wohlige Wärme bereitet sich in mir aus, als ich sehe wie er mich mit strahlenden Augen anlächelt.

Harry selber steht in einem wie maßgeschneiderten, perfekt sitzenden schwarzen Smoking vor mir, seine Fliege hängt aber noch offen um seinen Hals, sein Hemd ist gerade so weit aufgeknöpft, dass man den Ansatz seiner Tattoos sehen kann. Seine Haare sind an den Seiten ein wenig zurück gegelt, gerade so viel wie nötig, um gesellschaftsfähig zu wirken, aber nur so wenig wie möglich, um seine eigentlich so wilde Lockenmähne noch erkennen zu können. Sein Anblick raubt mir den Atem. Gerade als ich mich darüber ärgere, dass ich ihn wieder nur sprachlos anstarre, holt er mit seiner Hand etwas aus seiner Anzughose. Das Sonnenlicht wird von den kleinen Steinchen meiner Mondkette in seiner Hand gespiegelt und bringt die Kette damit zum Funkeln.

Die Sterne sind gegen Uns | H. S.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt