Doch als wäre der sonst so ernste und schnell zu reizende Harry heute durch nichts aus der Ruhe zu bringen, setzt er wieder sein belustigtes Grinsen auf.
„Was gibt es denn da zu lachen? Harry, wir sind eingesperrt!", versuche ich ihm den Ernst der Lage klar zu machen. Doch er zuckt nur kurz mit den Schultern.
„Naja, wenigstens hast du heute Nacht noch dein Foto zurückbekommen!" Mir entweicht ein verzweifelter Laut.
„Du bist keine große Hilfe, Harold Styles! Überleg dir lieber wie wir hier verdammt noch mal rauskommen!"
„Ist doch logisch!", behauptet er.
„Was?"
Doch anstatt einer Antwort nickt er nur in eine Richtung. Ich folge seinem Blick und eine unangenehme Vorahnung findet einen Weg in meine Gedanken, als ich das Fenster am oberen Ende des Hörsaals erblicke.
„Oh nein! Nie. Im. Leben!" Ich fuchtele wild mit meinen Händen in der Luft rum und laufe einen Schritt rückwärts von ihm weg, um ihm möglichst deutlich zu machen, dass ich auf keinen Fall aus diesem Fenster springen werde. Doch manchmal verfluche ich Harry dafür, dass er mich so gut kennt.
„Na schön, dann sehen wir uns wohl morgen!", sagt er völlig gleichgültig, bevor er an mir vorbei in den Gang, der nach oben führt, zum Fenster geht. Er würde mich doch nicht wirklich hier alleine lassen, oder?
„Ich hätte dich aufgefangen!", versichert er mir noch, als er das Fenster öffnet. Verdammt!
„Harry, warte!", halte ich ihn auf, bevor er rausklettern kann. Es muss doch einen anderen Weg hier raus geben.
„Ach, willst du doch mitkommen?"
„Nein!", antworte ich viel zu schnell, ohne darüber nachzudenken. Und so kann ich nur dabei zusehen, wie Harry sich aus dem Fenster schwingt und mal wieder in der Dunkelheit verschwindet. So ein Mistkerl!, denke ich noch, als ich jetzt ebenfalls zu dem Fenster eile. Das ist auch eine Methode, die er immer angewendet hat, damit ich mich meinen Ängsten stelle: Mir einfach keine Wahl lassen.
„Harry!", rufe ich der sich bereits entfernenden Gestalt hinterher.
„Luna?" Seine Stimme klingt positiv überrascht. Natürlich wusste er, dass ich nachgeben würde. „Hast du dich doch dazu entschieden aus dem Fenster zu springen?" Ich muss seufzen. Ich hasse ihn.
„Ja...", murmele ich.
„Wie bitte? Ich habe dich nicht richtig verstanden!" Mittlerweile steht Harry wieder unterhalb des Fensters aus dem ich ihn hoffnungslos anstarre.
„Mein Gott, ja, ich werde aus diesem verfluchten Fenster springen!", versichere ich ihm etwas zu laut.
„Wow, du bist mutig geworden, in den letzten Jahren. So etwas hättest du früher nie so laut durch ganz London geschrien!", scherzt er, aber wie ich hier so stehe und zu ihm runtergucke ist mir ganz und gar nicht nach scherzen zumute. Das ist definitiv zu hoch für einen Raum, der genau genommen im Erdgeschoss liegt.
Doch Harry scheint mein Unbehagen wieder zu bemerken und garantiert mir: „Ich bin hier, Luna, dir kann nichts passieren." Ich atme tief ein und aus, bevor ich damit beginne auf die schmale Fensterbank zu klettern, sodass meine Beine in den Abgrund baumeln.
„Dreh dich um und häng dich mit den Händen an den Fensterrahmen, dann ist der Sprung nicht mehr so hoch!" Ängstlich stecke ich zuerst mein Portemonnaie in die große Tasche meines Mantels und versuche dann das umzusetzen, was er mir versucht zu erklären, doch bevor ich mich mit der anderen Hand festhalten kann rutsche ich ab. Auch wenn der Sturz genau genommen nicht wirklich tief war, denke ich jedes Mal bei diesem Gefühl des freien Falls, dass ich einen Herzinfarkt erleide. Doch Harrys Hände an meinen Seiten haben verhindert, dass ich zusätzlich auf dem dreckigen Boden gelandet bin. Und so stehe ich nun, wie schon so häufig, nachdem er mich aufgefangen hat, in seinen Armen und dennoch ist es anders als früher, wenn ich ihm jetzt so nahe bin. Als ich diese komischen Reaktionen meines Körpers auf ihn das erste Mal bemerkt habe, habe ich mich gefragt, was sich so plötzlich geändert hat, warum ich plötzlich so verändert fühle. Heute frage ich mich, wie ich früher nicht auch schon so gefühlt haben kann. Viel zu schnell lässt er mich wieder los, doch bevor ich protestieren kann, nimmt er unerwartet meine Hand in seine.
„Lass uns gehen!", fordert er mich auf und ich kann nur ein Nicken zustande bringen, während wir zurück zu meinem Auto laufen. Bei dem angenehmen Flattern in meiner Magengegend, die sich in mir ausbreitet, kann ich den ziehenden Schmerz in meinem Knöchel gut ignorieren, den der Sturz vom Fensterrahmen verursacht haben muss.
~~~~~
„Also, was ist das jetzt für ein mysteriöses Foto, für das du dein Leben aufs Spiel setzen würdest?", fragt Harry nun amüsiert, als ich mit dem Wagen auf die Hauptstraße abbiege, die zurück in die Innenstadt führt.
„Ja, ja, lach mich nur aus!"
„Ich lache dich nicht aus!", entgegnet er entrüstest.
„Doch machst du!"
„Nein, tue ich nicht. Es interessiert mich wirklich!" Mit einem Seufzer gebe ich mich geschlagen, da es doch sowieso mein Plan gewesen war, Harry dieses Foto zu geben. Ich hole also mit meiner freien Hand das Portemonnaie aus meiner Jackentasche und halte es ihm hin.
„Mach es auf!", befehle ich ihm und ohne Widerrede tut er es. Ich weiß, dass er das kleine Foto gefunden hat, als ich ihn kurz auflachen höre. Aber kein Lachen, mit welchem er sich über mich lustig macht, sondern ein Lachen an welchem ich erkenne, dass er an eben diese Erinnerung zurückdenkt.
„An diesen Tag habe ich schon lange nicht mehr gedacht!", sagt er mehr zu sich selbst als zu mir, als er wie in Gedanken versunken auf das kleine Bildchen schaut.
„Ich glaube Mr. Und Mrs. Fitzgerald fanden es mindestens genauso witzig wie wir!" Ich muss schmunzeln. „Ich hätte auch ohne zu zögern ein paar Farbeimer investiert um den empörten Ausdruck deiner Mum zu sehen. Das war unbezahlbar!"
„Unbezahlbar angsteinflößend, ja! Sie sah aus wie ein feuerspeiender Drache als sie uns angeschrien hat, auch wenn ich nicht aufgepasst hat, was sie gesagt hat!" Harry steckt das Foto zurück in meine offen stehende Handtasche.
„Meine Mum war nicht viel besser. Ich wäre auch viel lieber einmal angeschrien worden, aber nein, meine Mutter war die ganze Woche von mir enttäuscht.", entgegne ich.
Harry lacht kurz auf.
„Ja, das können Mütter ganz gut! Aber es geschah meinen Eltern recht, dass diese Farbe nicht so einfach abging und natürlich konnten sie auch nicht ihren Lieblingsbaum fällen!" Nach einer kurzen Pause fügt er gedankenverloren hinzu: „Ich dachte sie würde uns beide umbringen." Ja, das dachtest du.
„Harry", beginne ich zögernd, „worum es mir eigentlich dabei ging, war-", doch weiter komme ich nicht. Mit einem lauten, plötzlichen „Pass auf!" unterbricht er meine Worte und ich richte geschockt meinen Blick zurück auf die Straße. Und bevor ich darüber nachdenken kann, was man in so einer Situation am besten tun sollte, um sein Leben zu retten, reiße ich reflexartig das Lenkrad zur Seite. Der Wagen kommt von der Fahrbahn ab.
DU LIEST GERADE
Die Sterne sind gegen Uns | H. S.
Fanfiction"Ich würde alles tun, um bei dir bleiben zu können!" "Für immer?" "Für immer!" Ein Versprechen, nur in Sand geschrieben. Ein Versprechen, was zu halten sie nicht fähig waren, denn es war nicht nur irgendeine Welle, die dieses Versprechen nichtig m...