Ich spüre kaltes Metall über meine Wangen streicheln und weiß instinktiv, wessen silbernen Ringe das sind. Doch bevor ich mich diesen angenehmen Berührungen voll und ganz hingebe, schrecke ich auf.
„Harry!", realisiere ich erleichtert, dass er wieder da ist. Draußen ist es bereits hell, ich habe die ganze Nacht wohl auf dem Sofa geschlafen. Ich drehe meinen Kopf nach links und sehe, dass ich durch meinen Aufschrei auch J geweckt haben muss, der anscheinend auf dem schräg gegenüberliegenden blauen Sessel die Nacht verbracht hat. Müde reibt er sich die Augen, doch ich sehe wieder zu Harry, der über mir vor dem Sofa steht.
„Wo bist du so lange gewesen, wieso hast du dich nicht gemeldet?"
„Ich war bis jetzt unterwegs!", erklärt er. „Nachdem ich das Geld abgeholt habe und ich die Papiere übergeben bekommen habe, bin ich sofort hergefahren." Verdutzt schaue ich ihn an.
„Du hast keine Minute geschlafen?"
Er scheint dies auch erst mit meiner Frage zu realisieren, aber zuckt nur uninteressiert mit den Schultern. Man sieht es ihm kein Stück an. Ich hätte zu diesem Zeitpunkt bereits Augenringe des Todes.
„Mach dir mal keine Sorgen um mich!", versichert er mir schmunzelnd, als er mir die Hand hinhält und mir von der Couch aufhilft.
„Was werden wir jetzt machen?"
„Na was schon, wir werden Louis umbringen. Ich dachte, du würdest vielleicht gerne mitkommen und dich verabschieden!"
Ich nicke schnell und eile ins Badezimmer. Als ich wieder das Wohnzimmer betrete, sehe ich aber nur noch einen der beiden Brüder dort stehen, der mich abwartend ansieht. „Können wir?"
„Bist du mit dem Auto hier?", stelle ich hoffnungsvoll eine Gegenfrage, doch Harry schüttelt nur entspannt den Kopf. Schade.
„Dann lass uns aber wenigstens U-Bahn fahren, ich möchte nicht laufen!"
Fragend sieht er mich an und ich kann den Ansatz eines verschmitzten Grinsens in seinem Gesicht erkennen. Verwirrt schaue ich auf Reinhards baumelnden Autoschlüssel in seiner Hand, die er gerade demonstrativ hochhält.
„Wieso nehmen wir denn nicht deinen Wagen?"
~~~~~
Louis starrt auf seinen neuen, gefälschten Pass, den Harry ihm gerade überreicht hat. Ein ungläubiges Lachen entweicht ihm.
„Was ist das denn für ein bescheuerter Name?"
„Wowowow, sprich ihn bloß nicht aus!", unterbricht Harry ihn schnell. „Ich will ihn gar nicht hören. Je weniger ich weiß, desto besser!"
Louis nickt kurz, während er ihn wieder zuklappt und neben sich auf seinen Schreibtisch legt. Die Traurigkeit kehrt jetzt zurück in seine Augen. Er tut mir so furchtbar leid, er hat das alles nicht verdient. Er wollte nur seiner kranken Tochter helfen, wurde reingelegt und jetzt muss er sein ganzes Leben zurücklassen. Harry kramt in der Innentasche seiner Jacke und holt einen dicken Briefumschlag hervor.
„Da... sind fünfzehn Riesen drin...", beginnt Harry erneut mit gerunzelter Stirn. Den Blick auf den Umschlag gerichtet, während er diesen Louis in die Hand drückt.
„Es ist nicht viel, aber damit solltest du so schnell es geht von hier verschwinden können."
„Und wo soll ich hin?"
„Völlig egal. Am besten so weit weg wie nur irgend möglich. Und wehe du sagst mir wohin!"
Louis muss schlucken. „Woher hast du das Geld?", stellt er die Frage, über die auch ich in diesem Moment das erste Mal nachdenke. Ich hoffe, er hat sich deshalb nicht schon wieder in Schwierigkeiten gebracht.
„Wenn ich nicht verraten werde, merkt Zach diese kleine Summe bestimmt nicht mal!" Wenn er nicht verraten wird? Besorgt schauen Louis und ich ihn an.
„Leute, hört verdammt nochmal auf mich so anzusehen!", protestiert er. „Ich habe noch was bei einem Scheißkerl von Zach gut, der bei ihm auch für mich als Zeuge deines Tods aussagen wird!"
Diese ganze Situation ist so wahnsinnig riskant, so verflucht heikel. Wie sind wir nur an diesen Punkt gelangt? Wie sind Harry und Louis nur in so etwas reingerutscht? Ich möchte mir gar nicht vorstellen, was passieren wird, wenn dieser Zeuge doch den Mund aufmacht.
„Du setzt damit dein Leben aufs Spiel, das ist dir schon bewusst, oder?", fragt Louis besorgt und spricht damit meine Ängste aus, die ich zwar schon seit dem Besuch von Zach bei Harry nicht mehr loswerde, aber die mir jetzt umso deutlicher werden. Ich habe es vorher nicht ausgesprochen gehört. Doch Harry lässt das nicht an sich ran.
„Anders würde ich dein Leben riskieren. Es kommt doch aufs Gleiche raus. Das ist die einzige beschissene Möglichkeit, die mir einfällt, mit der wir es vielleicht schaffen könnten."
Er klingt genervt, er scheint nicht damit umgehen zu können, dass zwei ihm nahestehenden Menschen sich Sorgen um ihn machen. Aber natürlich, er ist es auch nicht mehr gewohnt, dass so viele Menschen sich um sein Wohlergehen kümmern. Seine Vergangenheit hat ihm das genaue Gegenteil gezeigt.
„Okay, dann können wir wohl nur noch hoffen!", reißt mich Louis' niedergeschlagene Stimme wieder aus meinen nicht weniger trübseligen Gedanken.
„Ich weiß gar nicht, wie ich dir jemals danken soll, Eustachius!", seine Stimme klingt emotional, aber Harry und ich können uns nur verwirrt ansehen. Ich hatte ganz vergessen, dass er immer noch denkt, Harry würde wirklich so heißen. Ein kleines Schmunzeln kann ich mir nicht verkneifen und auch Harry muss kurz auflachen.
„Ja, weißt du...", beginnt er langgezogen, während er sich mit einer Hand am Hinterkopf kratzt. „Jetzt, wo wir uns eh nie wiedersehen werden, kann ich es auch endlich sagen."
Ein verwirrtes blaugraues Augenpaar sieht zwischen uns beiden hin und her.
„Was kannst du mir endlich sagen?"
„Ähm... ich heiße eigentlich gar nicht Eustachius, mein richtiger Name ist Harry!"
Louis bricht in schallendes Gelächter aus und ich muss ein wenig mit einstimmen.
„Du Bastard!", sagt er mit ungläubiger Stimme und schüttelt den Kopf. „Ich habe mir schon gedacht, dass das nicht dein richtiger Name sein kann. Deine Eltern müssten dich auch wirklich furchtbar verabscheut haben, um dir so etwas anzutun!"
Harry presst die Lippen aufeinander und wir wechseln kurz stumme Blick, bis unser Gegenüber sich wieder beruhigt hat.
„Nein, wirklich. Wie kann ich dir dafür danken, wenn wir uns niemals wiedersehen? Harry, du weißt was du alles damit riskierst, dieser Zach ist vollkommen geisteskrank!"
Wenn er nur wüsste...
„Er wird nicht mehr lange die Möglichkeit dazu haben, seine psychopathischen Fantasien in die Tat umzusetzen. Mein Bruder und ich sind schon dabei ihn ein für alle Mal hinter Gittern zu bringen!"
„Du hast einen Bruder?"
„Okay, genug geplaudert. Du solltest jetzt wirklich gehen!"
Louis nickt verständnisvoll und verstaut seine neuen Papiere und den Briefumschlag in seiner Reisetasche. Harry hat ihm geraten nicht zu viel mitzunehmen, er müsse stets in Bewegung bleiben, bis er sich in Sicherheit wusste.
„Also dann!"
Louis schenkt Harry eine freundschaftliche Umarmung und klopft ihm dann leicht auf die Schulter.
„Ich glaube übrigens nicht daran, dass wir uns niemals wiedersehen!"
Doch bevor Harry etwas antworten kann, wendet Louis sich auch mir zu. Ich erwidere seine Umarmung liebevoll.
„Pass auf dich auf, ja?"
Doch anstatt mir zu antworten, sagt er: „Pass du lieber auf ihnauf, okay?"
Nachdem wir uns voneinander lösen, greift er nach seiner Tasche und sieht sich noch einmal in seinem Büro im Restaurant um. Er hat sich diesen kleinen Traum selber verwirklicht und muss nun alles zurücklassen. Das letzte, was er sagt, bevor er sich zur Tür wendet, ist: „Und hey, ruiniert mir bitte nicht das Geschäft, solange ich weg bin!"
Heute mal 2 Kapitel auf einmal, weil beide recht kurz sind:)
xoxo
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Die Sterne sind gegen Uns | H. S.
Fiksi Penggemar"Ich würde alles tun, um bei dir bleiben zu können!" "Für immer?" "Für immer!" Ein Versprechen, nur in Sand geschrieben. Ein Versprechen, was zu halten sie nicht fähig waren, denn es war nicht nur irgendeine Welle, die dieses Versprechen nichtig m...