Kapitel 69

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„Was will er von ihr?", flüstere ich Jacob zu, während wir gebannt auf die beiden wild gestikulierenden Gestalten vor uns blicken.

Susan Styles und Daniel Allington scheinen einen viel zu vertrauten Umgang miteinander zu haben. Hinter der einseitig verspiegelten Glasscheibe in dem Vernehmungsraum der Polizeiwache von London greift Allington so sanft nach der Hand von Susan Styles, als müsste er sich nicht dafür schämen, vor kurzem noch versucht zu haben, ihren Sohn zu ermorden. Aber sie scheint sich nicht daran zu stören, ein Ärgernis weniger im Weg zu haben.

„Er will, dass sie ihn vor Gericht vertritt!"

Entgeistert schaue ich ihn von der Seite an.
„Wie bitte?"

Doch meine Empörung wird sofort wieder gedämpft, als mir bewusst wird, über wen wir hier sprechen. Nur diese Schlange würde so etwas in Betracht ziehen. „Ich dachte, Allington hat einen Deal angeboten bekommen?" Ich sehe über seine Schulter hinweg Jacobs Vater in der hintersten Ecke des kleinen Raumes an, die beiden Polizisten vor der Tür zum Vernehmungsraum, sowie den Staatsanwalt Lindsay, der uns beide viel zu kurz nach Harrys Beerdigung hier her eingeladen hat.

Jacob schüttelt den Kopf. „Er hat einen Deal angeboten bekommen, aber er wird nicht darauf eingehen, wenn sie ihn rausboxen kann."

Entgeistert starre ich auf die zärtlich verschränkten Hände der beiden hinter der Glasscheibe. Es würde mich nicht überraschen, denke ich. Doch genau in dem Moment löst sich Susan aus seinem Griff und schüttelt langsam den Kopf. Vielleicht konnte die Schlange so etwas dann doch nicht über sich bringen. Ich verfolge sie mit bohrenden Blicken, als sie aus der Tür tritt und sich ohne ein weiteres Wort zu ihrem Mann gesellt.

Stattdessen nimmt Lindsay nun ihren Platz ein und setzt sich mit dem Rücken zu uns gegenüber von Allington, als einer der beiden Polizisten einen roten Knopf betätigt und wir nun das Gesagte in dem verschlossenen Raum über die Lautsprecher verfolgen können.

„Haben sie es sich noch einmal überlegt, Mr. Allington?", höre ich Lindsay fragen.

Mit einem höflichen Nicken stimmt der Angesprochene dem Staatsanwalt zu. „In der Tat, ich bin an dem Deal interessiert."

Lindsay fängt an, eine Videokamera auf einem kleinen Archiv vor Allingtons Gesicht aufzubauen. „Gut. Ich will, dass sie nichts auslassen. Damit dieser Deal funktioniert, müssen sie sich kooperativ zeigen. Sie müssen ihr gesamtes Geständnis noch einmal wiederholen."

„Oh, das ist nicht möglich!", räumt Allington plötzlich unschuldig ein. Sofort sehe ich verwirrt zu Jacob, sein Kiefermuskel unter dem langen, noch nicht vollständig verheilten Schnitt spannt sich unwillkürlich an.

„Wie bitte?", hakt Lindsay verwirrt nach.

„Das ist nicht möglich, weil es eine Lüge war."

Bei diesen Worten scheinen Allingtons Augen sich auf einmal genau auf mich zu richten, obwohl er von der anderen verspiegelten Seite überhaupt nicht wissen kann, wo ich stehe. Die Härchen in meinem Nacken stellen sich auf. Mein Herzschlag erhöht sich. Die Schwärze will sich wieder einen Weg zurück in mein Blickfeld kämpfen, doch ich halte sie zurück.

Sein Geständnis soll eine Lüge gewesen sein? Wir hatten ihn soweit, seine Geschichte ergab Sinn, sie erzählte alles, was ich schon immer unterbewusst geglaubt hatte. Dass Harry kein Mörder war, dass er dieses Leben nicht verdient hat, dass andere für all dieses Leiden verantwortlich waren. Und jetzt soll all das eine Lüge gewesen sein? Noch nicht mal im Tod soll es uns gestattet sein, ihn zu rächen, all diese furchtbaren Menschen zur Verantwortung zu ziehen und ihm endlich Frieden zu schenken?

Die Sterne sind gegen Uns | H. S.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt