Kapitel 37

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Ich öffne langsam meine Augen und verstehe die ersten Sekunden nicht, wo ich bin und was gerade passiert ist, bis mich der penetrante Kopfschmerz daran erinnert, dass das alles doch nicht nur ein Traum gewesen ist. Ich fasse mir an die Schläfe und fühle an der Stelle, wo ich eigentlich eine offene Wunde erwartet habe, nur ein Pflaster.

„Es war nur eine kleine Platzwunde, ich konnte sie mit zwei Stichen nähen!", erschreckt Harrys Stimme mich und ich setze mich ruckartig auf der weißen Ledercouch auf der ich gelegen habe auf. Harry sitzt mir gegenüber auf einer identischen Couch und sieht mich lediglich an. Da ich das Gefühl habe, er erwartet von mir, dass ich irgendetwas sage, murmele ich ein leises Danke, doch kommt nur ein ungläubiges Lachen von ihm zurück.

Ich lasse meinen Blick durch den Raum schweifen und fühle mich augenblicklich wohl, obwohl ich noch nie zuvor hier gewesen bin. Wahrscheinlich liegt es an dem Lavendelgeruch, der auch bei mir zuhause... Moment mal! Ich hätte mir eigentlich denken können, warum ich plötzlich gerade den Geruch von Lavendel so gerne mochte. Bei Harry zuhause hat es früher immer danach gerochen. Der ganze riesige Raum ist modern mit schwarzen und weißen Designermöbeln ausgestattet und so sauber und aufgeräumt, dass man augenblicklich ein Foto für eine Möbelzeitschrift hätte machen können, als würde hier keine Menschenseele tatsächlich leben. Erneut frage ich mich, wo Harry bloß das Geld herhat um sich so eine große Wohnung mit solch einer teuren Innenausstattung zu leisten. Oder einen nagelneuen Range Rover.

„Harry...", setze ich zögerlich an, „ich glaube es wird Zeit für ein paar Antworten!"

Auch wenn ich das häufig schon von ihm verlangt habe, nach dem was heute passiert ist, hat er nicht das Recht dazu noch länger zu schweigen. Er sieht mich lange Zeit nur an, bevor er schließlich seufzt und von der Couch aufsteht, um um mich herum zu gehen. Ich folge ihm mit meinen Blicken, bis er hinter mir an einer riesengroßen Fensterfront stehen bleibt, aus der man einen Atem beraubenden Blick über das nächtliche London hat. Ist das hier so eine Art Penthouse Wohnung?

„Ich weiß!"

Er atmet hörbar aus und hat seinen Blick stets nach draußen gerichtet, als er anfängt zu reden, sodass ich nur seine Spiegelung in der Fensterscheibe betrachten kann.

„Als ich vor zwei Jahren von meinen Eltern abgehauen bin, hatte ich gar nichts."

„Wieso bist du abgehauen?", unterbreche ich ihn.

„Unwichtig!" Da ich ihn nicht verärgern möchte, hake ich nicht weiter nach. „Ich hatte nichts und kannte niemanden, zu dem ich hätte gehen können. Also bin ich zunächst nach Liverpool. Ich wollte in die nächstgelegene Großstadt, in der kleine Ladendiebstähle nicht so viel Aufsehen erregten, schließlich musste ich irgendwie durchkommen." Er atmet hörbar aus. „Doch schon nach kurzer Zeit bin ich immer tiefer in die Kriminelle Szene gerutscht und ich hatte keine Ahnung wie ich aus dieser ganzen Scheiße wieder rauskommen sollte. Bis Zach mich fand..."

Er zögert und fährt sich kurz durch die Haare. „Zuerst erschien es mir wie ein Segen, dass er mich in sein Unternehmen so herzlich aufgenommen hatte. Schließlich gab er einem alles, was man sich hätte wünschen können. Er gab einem nicht nur ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen - was alles war, was ich verlangt hatte – nein, er gab einem ein sehr teures Dach." Ungläubig lacht er in sich hinein, bevor er weiterspricht: „Ich wollte lächeln. Am ersten Tag habe ich das auch."

Er dreht sich zu mir um und sieht mich an, als wolle er irgendeine Emotion in meinem Gesicht lesen. „Luna, er gab mir alles, das musst du verstehen. Er gab mir eine neue Identität, ein neues Leben, durch das ich hoffte, die vergangenen Jahre endlich vergessen zu können. Verurteile mich nicht. Natürlich bin ich sofort darauf angesprungen!"

Die Sterne sind gegen Uns | H. S.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt