Die Zeiten ändern sich

280 15 6
                                    

Die vom Regen benässte Straße zog an meinem Autofenster vorbei, jede einzelne dieser Straßen waren mir vertraut und doch so fremd.

Es fühlte sich komisch an wieder hier zu sein, dabei sollte sich nach Hause kommen doch gut anfühlen?

Man sollte sich wohl und geborgen fühlen, sich freuen wieder dort zu sein wo alles begann, wo seine Freunde auf einen warteten und man sich mit Freudentränen in die Arme schließen konnte.

Ich jedoch fürchtete mich vor so ziemlich allem was mich hier erwarten würde, zu viel war geschehen in der Zeit, seit dem ich diesen Ort das letzte mal verlassen hatte, ich hatte mich verändert, mein Leben hatte sich verändert und dieser Ort fühlte sich einfach nicht mehr richtig an nach all der Zeit.

Wie sollte man also einen Neuanfang schaffen und mit der Vergangenheit abschließen können, wenn man gezwungen wurde seine Zukunft genau dort zu verbringen?

In der Vergangenheit..

Ich wand meinen Blick von den vorbeiziehenden Steinhäusern und begegnete dem meines Vaters im Rückspiegel, welcher sich an einem aufmunternden Lächeln versuchte.

Ich wusste genau wie schwer es ihm viel mich hier bei meiner Grams zurück zu lassen, aber nach all der Zeit wollte ich ihm nicht auch noch zur Last fallen und gönnte ihm seine Beförderung als Kapitän auf einem Shrimps-Kutter.

Noch war ich siebzehn und nicht volljährig, weshalb ich bei einem nahe gelegenen Verwanden leben musste, da mein Vater zu lange beruflich unterwegs seien würde um sich parallel noch um eine siebzehnjährige kümmern zu können.

Also waren unsere Optionen beschränkt und wir hatten gemeinsam beschlossen, dass ich bei meiner Großmutter leben würde.

Früher hatte ich mein halbes Leben mit meiner Grams verbracht, ich liebte ihren großen Hof und am meisten liebte ich die Tiere, doch wie gesagt.

Die Zeiten ändern sich.

Der Hof meiner Grams erstreckte sich im Nebel mitten auf einem von saftig, grünem Gras bewachsenem Feld direkt an den Klippen des kleinen Küstenortes Lizard.

Die Reifen unseres Autos knirschten auf dem groben Schotter als sie zum stehen kamen und mit Abschalten des Motors begann mein Herz wilder zu pochen.

Ich dachte noch nicht einmal daran den Sicherheitsgurt zu schließen, er war das einzige woran ich mich klammern konnte.

Mein Atem beschlug die Fensterscheibe und versperrte mir die Sicht auf das kleine Steinhäuschen, es hatte sich nichts wirklich verändert in den vier Jahren, seit ich das letzte mal dieses Haus und das damalige Leben hinter mir gelassen hatte.

Wie auch damals zierten bunte Sträucher den gepflasterten Weg zur weißen Haustüre mit den kleinen süßen Fensterscheiben darin.

Sofort erinnerte ich mich daran, wie es war, wenn es damals klingelte und Besuch kam, meine Grams hatte mir beigebracht immer erst durch die kleinen Scheiben der Türe zu schauen und sicher zu gehen, dass wir unsere Besucher auch kannten.

Sofort kribbelte es in meiner Magengrube, bei der Erinnerung wie sehr ich mich jedes Mal freute wenn Caleb der Jenige war, der vor der großen Türe auf mich gewartet hatte.

Ich riss die Türe auf und sprang aus dem Auto, nur um vom Sicherheitsgurt wieder zurück auf meinen Sitz gezogen zu werden.

Hastig schnallte ich mich ab und versuchte erneut einen Sprung aus dem Wagen.

Ich rannte zur Haustüre und klopfte Sturm aber egal wie sehr ich auch dagegen schlug, sie blieb dennoch geschlossen, dabei hatte ich so sehr damit gerechnet das er mich bei meiner Rückkehr empfangen würde immerhin war er seit dem Kindergarten mein bester Freund und ich hatte ihn in all der Zeit nie vergessen, doch vor vier Jahren, als sich mein komplettes Leben ändern sollte war mir nicht bewusst dass ich somit auch ihn zurück lassen musste.

Jeden Tag hatte ich mindestens einmal an ihn gedacht, quälte mich anfangs durch schlaflose Nächte und in manchen Situationen malte ich mir aus was er gesagt oder wie er reagiert hätte.

Am meisten hatte ich mich nach seiner Gegenwart gesehnt, er hätte nicht einmal etwas sagen oder tun müssen sondern einfach nur neben mir sitzen und meinen Kopf auf seiner Schulter ablegen lassen, wie er es immer schon getan hatte wenn wir uns an unserem Lieblingsplatz aufhielten, welcher aus einer selbstgebauten Bank bestand in die wir mit acht und neun Jahren unsere Namen mit dem stebiztem Taschenmesser seines Vaters eingeritzt hatten.

Aber klar doch!

Wieso bin ich da nicht gleich drauf gekommen?

Ich rannte los, er musste einfach dort sein.

Genau wie früher.

Ich hatte alles schlechte mit diesem Ort verbunden und garnicht mehr daran gedacht, was er auch gutes mit sich brachte.

„Alles okay bei dir?"

Fragend sah mein Vater mir nach als ich an ihm vorbei in die einzig und allein mir richtig erscheinenden Richtung rannte.

Es war ganze vier Jahre her seit ich das letzte mal den schmalen Pfad die Klippen entlang gerannt war, doch gerade in diesem Moment fühlte es sich an, als wäre ich nie fort gewesen.

Ich erkannte jeden Fels in der unter mir kauernden Bucht wieder, der Klang der Möwen, welcher vom Wind mit sich getragen wurde, klang wie eine alte Melodie in meinen Ohren und sogar die frische Luft fühlte sich vertraut an auf meiner feuchten Haut.

Der einzige Unterschied war, dass meine Muskeln mehr brannten als ich endlich am höchsten Punkt der Weide angelangt war und somit auch die mittlerweile vom Wetter gezierte Bank erreichte.

Meine Schritte verlangsamten sich als ich wieder meiner Erwartungen die Bank leer vor fand.

Mein Herz brach bei dem Anblick des morschen Holzes und auch das kniehohe Gras rings herum verriet, dass schon seit langem keiner mehr hier her kam.

Erschöpft von meinem unvorhergesehenem Sprint ließ ich mich auf dem feuchten Holz nieder.

Ein Wunder, dass die Bank unter meinem Gewicht nicht nach gab, automatisch fanden meine Finger die Gravur wo sich unsere Namen befanden.

Ich starrte auf das in sich zerfallende Holz und versuchte den Schwall der Enttäuschung zu unterdrücken.

Was genau hatte ich mir eigentlich erhofft?

Dass er nach vier Jahren noch immer hier abhing und nichts besseres zu tun hatte, als darauf zu warten, dass ich irgendwann wieder zurück kommen würde?

Wie dumm von mir so etwas zu glauben, damals als wir von hier fort gezogen waren gab es keinen Hoffnungsschimmer je wieder hierher zurück zu kommen.

Aber wie das Leben nun mal ist, kam es anders als erwartet und hier stand ich.

Mein Blick richtete sich in die Ferne und ich redete mir ein, dass die Tränen in meinen Augen vom kalten Wind kamen.

Es fühlte sich nicht richtig an alleine an diesem Platz zu sitzen, wo vor einiger Zeit das Lachen zweier Freunde auf das Meer getragen wurde.

Aber alles was geblieben war, ist ein morscher Haufen Treibholz und Stille.

SPIRITWo Geschichten leben. Entdecke jetzt