Mit jeder Kiste die ich ausräumte und jedem Kleidungsstück das ich in meinen alten Kleiderschrank hängte, verging die Zeit schneller und mein altes Leben gehörte immer mehr der Vergangenheit oder geriet ich immer tiefer in die Vergangenheit zurück?
Als ich den zweiten Koffer fertig ausgeräumt hatte klopfte es an der Zimmertüre, mein Vater kam herein, sah sich um und als er realisierte dass ich angefangen hatte mich einzurichten erhellte ein glückliches Grinsen sein Gesicht.
„Was?"
Sein Grinsen jagte mir beinahe schon Angst ein und es machte nicht den Anschein so bald wieder aus seinem Gesicht zu verschwinden.
„Nichts."
„Und warum grinst du dann so?"
„Darf man jetzt nicht einmal noch stolz auf seine Tochter sein?"
Als ich die Augen verdrehte und mir ebenfalls ein Grinsen nicht unterdrücken konnte, senkte er den Blick und als er wieder aufsah, war das bis eben lästige Grinsen verschwunden und ich wünschte es mir wieder zurück.
Ich wusste genau, was jetzt kommen würde.
„Ist es so weit?"
Mit trüben Blick nickte er und bestätigte meine Vermutungen.
„Leider ja. Deine Grams wartet unten, möchtest du auch runter kommen?"
Nun war ich es, die bedrückt drein guckte.„Gib mir noch eine Minute ja?"
„Sicher dass alles in Ordnung ist?"
Ich versuchte mich an einem überzeugten Lächeln.
„Ja, ich bin mir sicher."Offensichtlich funktionierte es, denn mein Dad drehte sich um und ich konnte nur noch die alten Treppenstufen unter seinem Gewicht knarzen hören.
Nun gab es kein Zurück mehr, jetzt wo auch mein Vater von hier weg gehen würde, war ich nun wirklich mehr oder weniger auf mich selbst gestellt.
Wiedereinmal würde sich mein Leben ändern und ich wusste nicht, wie oft ich das noch durchmachen konnte.
Wieder einmal würde alles anders sein, wenn ich diese Türe beim nächsten mal öffnen würde.
Wie kann es sein, dass sich ein zwölf Quadratmeter großes Zimmer anfühlt als wäre es ein Ballsaal, der sich in zahlreiche weitere Räume verlief?
Oder eher wie ein gigantisches Loch, dass drohte einfach alles in sich auf zu saugen was ihm zu nahe kam.________________*_______________
Mein Vater war gerade einmal seit zwanzig Minuten aufgebrochen und schon empfand ich diesen Raum als zu klein, die Luft zu stickig und die Wände zu kahl.
Einsamkeit war nichts neues für mich, die Stille und ich hatten uns in den letzten vier Jahren immer gut verstanden, doch zu wissen wie voll dieser Ort vor ein paar Jahren noch mit Gelächter und Freude war, machte die Stille unerträglich.Dieser Ort war nicht für die Einsamkeit geschaffen.
Vielleicht hatte mein Vater doch recht gehabt und es würde mir gut tun, wenn ich etwas unter Leute komme.
Ohne lange darüber nachzudenken, griff ich nach meiner Regenjacke und ging die Stufen hinab in die Küche meiner Grams. Sie stand mal wieder vor dem Herd und rührte de Inhalt des riesen großen Topfes um, dessen Geruch mir köstlich in die Nase stieg.
„Was ist das?"
Ich schielte über den Topfrand und beäugte skeptisch die darin schwimmende, grüne Masse.„Bohnen-Hackfleisch Eintopf."
Stolz lächelte sie mich an und bemerkte die Stiefeletten in meiner Hand.„Na, hast du noch was vor?"
Ich muss mal an die frische Luft ehe mir die Decke auf den Kopf fällt.Noch immer lächelnd nickte Grams und stierte zurück in den Kochtopf.
„Okay, dann viel Spaß! Wenn du wieder zurück kommst kannst du dir gerne etwas von dem Eintopf warm machen. Ich lasse den Topf einfach auf dem Herd stehen in Ordnung?"
„In Ordnung."
Dankbar lächelte ich ihr ein letztes mal zu und verschwand durch die Haustüre raus.Ich zog die Türe mit einem lauten Knall in das Schloss, drehte mich um und wäre beinahe über Bosse gefallen der bereits hinter mir stand und mich mit ganz großen Augen ansah.
„Hey mein Großer!"
Egal in welcher Stimmung ich mich gerade befand, über die Anwesenheit von Bosse würde ich mich immer freuen, wie konnte man einem so süßen, flauschigen Wesen mit diesen wunderschönen Knopfaugen auch nur irgendetwas übel nehmen?
„Na hat da etwa jemand Lust mich zu begleiten?"
Ich sah mich um und checkte die Lage, nicht das noch jemand mitbekommen würde, dass ich mit dem Hund rede wie mit einem Menschen.
Aber als hätte Bosse mich verstanden, tribbelte er aufgeregt mit den Pfoten auf der Stelle, drehte sich im Kreis und bellte als wolle er sagen:
„Von mir aus kann es los gehen!"Als wäre kein Tag vergangen, tapste er an meiner Seite durch die schmalen, nassen Straßen Lizards wie er es auch tat als ich noch ein kleines Kind war und er mich als seine Herde betrachtet hatte, die er mit seinem Leben verteidigen würde wenn es hart auf hart kommen sollte.
Als hätte sich zwischen uns nichts verändert.
Es war Anfang September und trotz dass heute der letzte Ferientag war, sahen die Straßen aus als gehörten sie zu einer kleinen Geisterstadt. Ganz unschuldig an diesem Erscheinungsbild war der andauernde Nieselregen aber auch nicht, denn er verlieh den Steinhäusern einen dunklen, düsteren Charme.
Vereinzelt fuhren ein paar Autos an uns vorbei und die Kinder darin starrten mich an, als wäre auch ich ein Geist der durch die Straßen zog und sein Unwesen trieb.
Oder es lag an meinem auffällig rotem Haar, welches ich den Genen meiner Mutter zu verdanken hatte. Genau wie bei meiner Grams zierten unzählige Sommersprossen unsere Wangen und die Tannen-Grünen Augen bildeten einen krassen Kontrast zu dem Bordeaux farbernem Haar.
Im Versuch mich vor weiteren, neugierigen Blicken zu schützen zog ich die Kapuze meiner Regenjacke über den Kopf und folgte Bosse mit gesenktem Kopf durch die Straßen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit sah ich mich in der Gegend um, ich war dem Hund einfach gefolgt und ziellos durch die Straßen geschlendert. Als ich mir die Häuser genauer betrachtete, viel mir auf wo genau ich mich eigentlich befand und fragte mich, ob ich nicht doch unbewusst ein Ziel vor Augen gehabt hatte.
Das große, moderne Haus im Bauhausstil war mir so bekannt, wie meine eigene Westentasche. Es gab keinen Winkel im Inneren des Haus an dem ich noch nicht war.
Schlagartig liefen Erinnerungen vor meinem Inneren Auge ab wie Bosse und ich quasi jeden Nachmittag nach der Schule hierher gelaufen kamen um unseren Kumpel Caleb zu besuchen und mit ihm in seinem riesigen mit Buchsbäumen gezierten Garten zu spielen, oder ihn abzuholen um am Strand spazieren zu gehen. Womöglich war es einfach aus alter Gewohnheit das unser Weg ausgerechnet vor seine Haustüre geführt hatte.
Sollte ich einfach klingeln?
Aber was sollte ich dann sagen?:Hey Caleb, hier bin ich! Ich weis ich war vier Jahre weg aber jetzt bin ich ja wieder da. Lass uns wieder beste Freunde sein!
Ich glaube kaum dass das die richtigen Worte wären, aber wie soll ich ihm nach so langer Zeit gegenüber treten?
Andererseits war er schon seit ich denken kann mein bester Freund und wenn es jemand verstehen würde dann doch er?
Ohne weiter darüber nachzudenken trugen meine Beine mich die schmalen Treppenstufen bis vor die Haustüre und ehe ich mich versah hatten meine Finger das Touchfeld der hochmodernen Sprechanlage betätigt.
Es dauerte eine Weile und beinahe wäre ich wieder umgekehrt, doch dann hörte ich wie die Klinke auf der anderen Seite der dicken Türe gedrückt wurde und blieb wie angewurzelt stehen.
DU LIEST GERADE
SPIRIT
Teen FictionMit der leidenschaftlichen Liebe ist es wie mit Gespenstern: Alle reden davon, aber keiner hat sie gesehen. (François VI. Herzog de La Rochefoucauld Zitat) ___________________________________________ Einen „Neuanfang" haben sie es genannt, doch wora...