Der Sensenmann

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„Was kreischt ihr so rum?"
Völlig gleichgültig lehnte er an dem Pfosten auf der Veranda und sah uns mit seinem arroganten Lächeln von oben herab an.

„Was willst du hier?"
Entgegnete ich ihm.
Schließlich hatte er nicht einen einzigen Grund hier mitten in der Nacht aufzutauchen.

„Schaut ihr euch Horrorfilme an?"

„Geht dich ein Scheiss an was wir machen!"
Ich wollte die Türe bereits zu schlagen, als er seinen Fuß in den Rahmen stellte und es verhinderte.

„Hey,hey, hey, ist da jemand beleidigt?"
Er richtete sich vor mit auf und ich wünschte mir tatsächlich dass es der Sensenmann gewesen wäre, der geklingelt hatte.

„Halt die Klappe und hau ab."
Fauchte ich zurück und drängte ihn zurück auf die Veranda.

„Wer ist da?"
Frieda kam ebenfalls nach draußen und als sie sah wer vor mir stand blieb ihr der Mund offen stehen.
Sie wusste offensichtlich genau so wenig wie ich was er hier zu suchen hatte aber im Gegensatz zu mir grinste sie verschmitzt und wackelte mir den Augenbrauen.

„Caleb ich sag's dir nur das eine mal."
bedrohlich sah ich ihm in die Augen und versuchte seinem Blick stand zu halten.
„Geh einfach wieder!"

Erst dachte ich dass er nachgeben würde, aber dann wand er sich nur ab und übergab sich über das Geländer hinweg in Gram's Rosenbeet vor der Veranda.
„Was zum..?"

Nach kurzem Zögern ging ich auf ihn zu, total jenseits von gut und böse sah er mich an und erst jetzt erkannte ich wie breit seine Pupillen waren.
Er sah mich an und lehnte sich erneut über das Treppengeländer um seinen Mageninhalt in das Rosenbeet zu entleeren.

Im Augenwinkel entdeckte ich seinen Truck, rannte auf ihn zu, riss die Türe auf und staunte nicht schlecht, als ich mehrere Bierdosen und eine fast komplett geleerte Vodka Flasche im Fußraum des Beifahrers entdeckte.
Mit einem lauten Wumms schlug ich die Türe wieder zu und kam mit großen Schritten auf ihn zu gestapft.

„Sag mal bist du besoffen?"
Es schien als würde ich meine Selbstbeherrschung verlieren und dennoch tat er mir irgendwie aus einem unerfindlichen Grund leid.

Wie kam es dazu, dass man sich so derart ins Jenseits befördern musste?

Mit einem typisch besoffenen Grinsen sah er mich an und taumelte etwas zurück.
„Das fragst du noch?"

„Wie bist du her gekommen?"
Auch wenn ich die Antwort schon wusste, war es das erste was mir gerade eingefallen war.

„Ähm.."
Er schielte in Richtung Truck, ich folgte seinem Blick und das was in mir aufloderte war nicht nur Wut sondern auch Panik und Angst.
Angst ihm hätte etwas passieren können, Angst davor, was er hätte jemand anderem antun können in seinem Zustand.

„Das ist jetzt nicht dein Ernst."
Ich versuchte ruhig zu bleiben, Frieda hingegen stand einfach nur da und beobachtete das Schauspiel.

Fassungslos ging ich an ihm vorbei ins Haus um bei ihm zu Hause anzurufen, aber zu meinem Bedauern sprang nur der Anrufbeantworter an.
Wütend knallte ich den Hörer auf die Station zurück, lief wieder raus auf die Veranda und bohrte ihm meinen Finger auf die Brust.
„Hast du eigentlich eine Ahnung was hätte passieren können?"

Frieda zog sich zurück ins Haus, ich wusste selbst nicht wie skurril das alles hier auf sie wirken musste. Aber ich selbst hatte keine Ahnung was gerade geschah und vor allem nicht was Caleb hier wollte.

Und das in dem Zustand!

„Du hättest jemanden verletzten können!"

Wütend fuchtelte ich mit dem armen in der Luft herum und fühlte mich wie eine Mutter die ihrem Teenager Sohn einen Vortrag hielt.
„Du hättest selbst verletzt werden können!"

„Heißt das du machst dir Sorgen um mich?"
Unverschämt grinsend und unverschämt gut aussehend dabei kam er auf mich zu, doch ich wich zurück.

„Du hättest auch andere Menschen und oder Tiere verletzen können! Wie dumm kannst du nur sein und dich besoffen hinters Steuer setzen?!"

Ziemlich unbeeindruckt von meiner Predigt fasste er nach meinem Gesicht und machte erneut einen Schritt auf mich zu.
„Du hast gesagt du machst dir Sorgen um mich."

Meine Knie begannen zu zittern, ob vor Wut oder Unsicherheit konnte ich nicht genau beschreiben.
„Ja verdammt! Ich hab mir Sorgen gemacht."

„Gut."
Er kam mir so nah, nur wenige Zentimeter trennten uns von einander und seine Lippen bebten genau so sehr wie meine.

Wo kam plötzlich diese Zärtlichkeit her?

Dieser Typ macht mich einfach fertig.

Seine Augen waren trotz der Trunkenheit mehr als klar und ich hatte das Gefühl bis in seine Seele blicken zu können.
Alles was ich erkennen konnte war nicht der eiskalte, emotionslose Typ den er zu mimen schien, er war ein verletzter kleiner Junge der nichts sehnlicher bräuchte als etwas halt in seinem Leben.
Ohne zu wissen was ich tat, näherte ich mich seinen Lippen und hatte das Gefühl ihn einfach ganz fest in die Arme nehmen zu müssen.

Das knarzen der Veranda ließ uns zurück Schrecken.
Ich sah zu Frieda die mit einem Glas Wasser in der Hand auf die Veranda getreten war und uns entgeistert anstarrte.
„Ääh.. Sorry ich wollte - nicht - stören."

Zwang sie sich als Caleb bereits den Rückzug ansteuerte, zum Glück rannte er an seinem Auto vorbei und lief zur Ausfahrt.
„Caleb!"

Ich rannte die Stufen der Veranda runter und quer über die Auffahrt bis zu dem großen Tor, aber Caleb war schneller und ich verlor seine Statur in der Dunkelheit.

Was war dass denn für ein Auftritt?

Noch schlimmer war der Gedanke, dass ich Frieda eine Erklärung schuldig wär aber das aller schlimmste war, dass ich selbst keine Erklärung für all das hier hatte.

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