Scherben

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Ich muss hier raus.

Der Flur war viel zu klein und das Gewusel meiner Mitschüler war wie ein sich zu schnell drehendes Karussell.

Wie von alleine trugen meine Beine mich auf die Schwingtüre zu, an Caleb vorbei an die frische Luft.
„Hey!"

Ohne auf ihn zu reagieren lief ich weiter bis er mich am Arm packte und zurück hielt.
„Wow, wow, wow was ist denn los?"

Mit Tränen in den Augen war ich gezwungen ihn anzusehen.
„Das fragst du?"

„Klar, woher soll ich es denn wissen wenn du einfach an mir vorbei rennst."
Caleb versuchte mir beschwichtigend über die Wange zu streicheln, aber ich wand mein Gesicht ab.
Jede seiner Berührungen fühlte sich wie eine Lüge an.

Als wäre alles was wir hatten nur eine Lüge gewesen!

Was es ja irgendwie auch war.
„Du solltest doch am besten wissen wie man man mich um den Finger wickelt!"

„Von was redest du da eigentlich?"

„Von was ich rede?! Das solltest du am besten wissen!"

„Hast du deine Tage oder warum bist du so?"
Er versuchte es auf die lustige Schiene zu schieben, was mich nur noch wütender machte.

„Du bist so ein Arsch!"
Ich drehte mich um und lies ihn stehen.

„Smilla was soll das?"

„Was soll was?"
Fauchte ich ihn an.

Er fuchtelte wild mit den Händen vor uns herum.
Das?!"

„Jetzt tu doch nicht so als wüsstest du von nichts!"

„Lag es an Zac? Was hat er zu dir gesagt?"
Sofort spannte sich Caleb's Körper an und die Kiefermuskulatur mahlte wütend auf einander.

„Es ist völlig egal was Zac gesagt hat!"

„Ja offensichtlich ja nicht!"
Auch er wurde langsam laut und mein Herz brach bei jedem Wort das über seine Lippen kam.

Warum hat er nicht wenigstens die Wahrheit sagen können?

„Das schlimmste ist, ich dachte wirklich du würdest mich lieben! Zu wissen das alles nur eine Lüge war ist schlimmer, als wenn wir uns einfach weiterhin gehasst hätten! Aber nur ein Mittel zum Zweck für eine Kindische Wette zu sein ist viel demütigender als alles andere!"
Es gab kein halten mehr, die Tränen rannten ohne Kontrolle über mein Gesicht und Caleb verschwand vollends hinter meinem Schleier aus Salzwasser.

„Wow, wow, wow! Wette?"
Irritiert machte er einen Schritt zurück.

„Ich hoffe es hat sich für dich gelohnt!"
Ich wusste nicht was schlimmer war, in der Öffentlichkeit so derart sie Fassung zu verlieren, oder erneut das Herz gebrochen zu bekommen?

Ganz klar zweitens!

„Wenn du wirklich glaubst, ich hätte das alles nur für eine Wette gemacht, dann bist du nicht nur extrem naiv sondern auch dumm!"

Das reichte, ich konnte ihn nicht länger ertragen, meine Beine begannen von ganz alleine das Tempo zu erhöhen, doch leider nicht schnell genug.

„Das soll's jetzt gewesen sein? Du glaubst eher irgend so einem Bastard als deinem eigenen Freund?"
Caleb's stimme brach und wenn er nur so tat als wäre er verletzt, dann sollte er einen Oskar für sein schauspielerisches Talent bekommen.

„Smilla!"

Verzweifelt rief er meinen Namen, aber selbst wenn ich gewollt hätte, ich musste einfach irgendwie von hier verschwinden!
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Vier Tage war es bereits her, dass Caleb und ich uns gestritten hatten.

Kein einziges Lebenszeichen kam von ihm, was mich allerdings nicht wunderte, denn ich hatte mich ungefähr genau so oft bei ihm gemeldet.

Und zwar garnicht.

Auch wenn es besser gewesen wäre einfach darüber zu reden, wusste ich nicht wie ich meine Gefühle unter Kontrolle bringen sollte.

Sobald ich daran dachte was Zac gesagt hatte, brach ich in Tränen aus.

Was auch der Grund dafür war, dass ich seit vier Tagen nicht mehr in der Schule war.

Seit zwei Tagen hatte ich nichts mehr gegessen und seit einem Tag nicht mehr aus dem Bett gekommen.

Wie ein Zombie lag ich zusammen gekauert in meinem Bett und starrte einfach auf die Zimmertüre.

Keine Ahnung worauf ich wartete, vielleicht einfach darauf, das der Schmerz wie aus dem nichts verschwinden würde und ich wieder normal atmen konnte?

Zwar wusste ich, dass es nicht so war, aber die Hoffnung Starb zuletzt, wenn man in mir überhaupt noch einen Funken Hoffnung finden sollte.

Ganz dumpf nahm ich die Klingel der Haustür war und ebenso die Worte:

„Ich muss mit ihr reden."

Und:

„Richte ihr aus, dass ich hier war."

Ehe die Tür wieder zu knallte und ich zusammen zuckte, auch wenn das Geräusch für mich klang, als käme es aus einem anderen Leben.

Sekunden nach dem Knall erreichten die Gesprächsfetzen mein Gehirn.

Wie sehr ich diese Stimme liebte, und wie gerne auch ich mit ihm reden würde, aber die Wut und Enttäuschung saß einfach zu tief.

Zum ersten Mal seit langem bewegte ich mich, indem ich die Bettdecke zurück schlug und meine müden Knochen aus dem Bett erhob.

Vorsichtig, als würde ich auf Scherben laufen, was ja irgendwie poetisch gesehen auch der Fall war, Schlich ich an das Treppengeländer und spickte nach unten.

Grams lief durch den Hausflur und bemerkte mich am Ende der Treppe stehen, als sie fürsorglich lächelte und mir zu nickte.
„Lange kannst du ihn nicht mehr vor dich hin schieben ehe er Dir die Zimmertür Eintritt, das weißt du sicher oder?"

Sofort verirrte sich eine Träne auf meine Wange und ich nickte.
„Oh Smilla Schätzchen, spring über deinen Schatten und rede mit ihm!"

Sie Stütze sich am Treppengeländer ab und ging mit einem letzten vielsagendem Blick weiter in Richtung Küche.

Sie hatte ja echt, aber was wenn das Gespräch mit Caleb das letzte bisschen zerstörte, was von meinem Herzen übrig war?

Reiß dich jetzt mal zusammen Hastings!

Sonst hast du doch auch immer so eine große Klappe!

Also geh da raus und stell Caleb zur Rede!

Immerhin ist er es der etwas falsch gemacht hat.
Nicht du!

Räuspernd nickte ich meinen Gedanken zustimmend zu, lief in mein Zimmer und tauschte das lange Shirt gegen einen Dicken Strickpulli, schlüpfte in meine Schuhe und zog die Haustür hinter mir zu.

Der Groll des Donners untermalte meine Stimmung und Schoß das Adrenalin durch meine Venen wie der Blitz die Erde berührte.

So lange es nicht regnete war alles gut.

Ich lief über den Hof bis zur Ausfahrt ehe ich stehen blieb und überlegte, wo ich ihn am besten ausfindig machen würde.

Um die eigene Achse gedreht stellte ich fest, dass sein Truck noch immer am Tor stand weshalb er nur an einem Ort sein konnte.

Warum war ich da nicht früher drauf gekommen?

Zielstrebig drehte ich mich um und lief die Weiden entlang bis ich den Punkt erreichte, an dem schon immer alles begonnen und geendet hatte.

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