53 | Ein Schuss

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Violet

„C4.
D2.
B12.
A6.
A5.", brüllte einer der Wicked-Soldaten streng und fuhr mit einem piependen Gerät über unsere Nacken.

„Ich wusste nicht, dass wir Objekte auch Nummern haben.", lachte Minho höhnisch und verdrehte die Augen.

Wie konnte man nur in dieser Situation lachen?!
Wicked war gerade dabei uns zu entführen und diesmal würde es auch klappen, das war jedem von uns bewusst.

Während die anderen irgendwas vor sich hin murmelten, beteten, war ich damit beschäftigt zu hoffen, dass mein Vater mich nicht bemerkte.

„Violet!"

Seufzend verdrehte ich die Augen, während meine Hoffnung wie eine Seifenblase zerplatzte.

Ich erhob mich langsam und erhaschte einen kurzen Blick nach hinten.

Newt sah mich nicht an.

Er hatte die Augen zusammengekniffen und hustete stark.

Klonk. Ihm geht es immer schlechter..

Thomas und Teresa waren nicht da, genauso wie Brenda oder Jorge.

„Na, Töchterchen?", unsanft zog Janson mich zu sich, auf seine andere Seite.

„Lass mich los!", zischte ich wütend und riss mich von dem starken Griff meines Vaters los, sodass mein Shirt etwas am Ärmel zerriss.

„Du hast nicht das Recht... nicht das...", stammelte ich immer noch genauso geschockt, wie zuvor und verschränkte die Arme vor der Brust.

Zum Glück half mir meine Schwester dabei, auszudrücken, was ich sagen wollte.

„Du hast nicht das Recht, uns anders zu behandeln, als die anderen.
Lieber sterben wir, wie unsere Familie, als an deiner Seite zu Mördern zu werden."

Beinahe synchron trennten wir uns von unserem biologischem Vater, um wieder bei unseren Freunden zu sein, allerdings wurden wir wieder unterbrochen.

„Soley.
Violet."

Die Stimme kam mir bekannt vor.
Aus einem Traum.
Es war die Frau von vorhin, die Frau, die alle anscheinend kannten, außer mir.

Sie hatte blondes Haar und trug einen weißen Kittel.

„Was wollen Sie?", fragte meine Schwester bissig und stellte sich vor mich.

„Nur die Welt retten.", antwortete die fremde Frau und lächelte leicht.

Sie hörte sich so ruhig an, so freundlich und friedlich.
Ganz anders als unser Vater.
So einer Frau zu trauen war nicht schwer.

„Bitte lassen Sie uns gehen. Wir wollen nur leben.", bat ich dementsprechend auch noch relativ freundlich.

„Wenn wie zuhause sind, wird euch alles erklärt und ihr werdet verstehen.", lächelnd nickte die Frau mir zu, doch ich schüttelte nur den Kopf.

„Thomas!"

Gemeinsam mit meiner Schwester drehte ich mich in die Richtung um, in die die Frau geschaut hatte.

Einer ihrer Soldaten hielt Thomas am Nacken fest und schubste ihn regelrecht in unsere Richtung.

„Lassen Sie uns in Ruhe.
Wir kommen nicht mit."
Kopfschüttelnd weigerte ich Thomas, auch nur von der blondhaarigen Frau berührt zu werden.

„Du hast es einmal verstanden.
Und du wirst es wieder verstehen.", widersprach die Frau und nickte uns drein einmal zu.

„Ava. Das muss doch nicht sein."

Zwischen einigen Soldaten trat unsere Mutter hervor und blickte die Frau, mir nun bekannt als Ava, direkt an.

Die beiden schienen sich schon lange zu kennen.
Zumindest deuteten ihre gegenseitigen Blicke darauf hin.

„Mary.
Wie lang ist es her?
Du weißt doch, dass wir einen Eid geleistet haben.
Wir wollten die Menschheit rechnen.
Du vor allem. Wieso jetzt nicht mehr?", fragte Ava unsere Mutter und schien uns dabei komplett vergessen zu haben.

„Ich rette die Menschheit.
Aber nicht so, wie du dir das vorstellst.
Wieso, Ava? Wieso bist du bereit so viele Kinder zu opfern, nur um ein Heilmittel herzustellen, was nicht funktioniert.
Alle unsere Tests sind fehlgeschlagen.", erzählte unsere Mutter seufzend und kam auf uns zugelaufen.

„Es gibt noch Hoffnung.
Und wo wollt ihr hin?!  Es gibt keinen sicheren Platz mehr. Nichts ist sicherer als unsere Quartiere.
Euer Plan ist zwecklos und unsicher.", argumentierte Ava und warf einen kurzen Blick auf unser Scheusal von Vater.

„Das mag sein.
Aber ich habe wenigstens ein reines Gewissen.", meinte Mary ruhig und sah dann zuerst Sol und dann mich an.

„Das habe ich auch."

Erschrocken schrie ich auf, unmittelbar einen Bruchteil einer Sekunde, nachdem hinter mir ein Schuss gefallen war.

„Violet!", konnte ich schwach Newt wahrnehmen, doch ich war vielmehr damit beschäftigt, meine Mutter anzustarren.

Ich war mir nicht ganz sicher, ob der Schuss sie verfehlt oder getroffen hatte.

Sie starrte mit einem undefinierbaren Blick zu Boden und hielt sich die Hände flach  auf den Bauch.

„Mum..?", flüsterte ich wimmernd.

Meine Sicht auf sie verschwamm mit den Tränen, die in meinen Augen aufstiegen.

Ich kannte diese Frau nicht.
Dazu waren meine Erinnerungen noch nicht vollständig genug.
Ich wusste nicht, wie sie war, ob gut oder schlecht.

Aber es zerriss mich der Gedanke, dass ich nichtmal die Chance bekommen würde, sie kennenzulernen.

Als ich die Tränen weg geblinzelt hatte, konnte ich das Blut sehen, was das weiße Hemd meiner Mutter tränkte, ehe diese dann mit einem letzten Atemzug zu Boden fiel.

„Nein! Mary! Nein!", brüllte Vince wiederholend, riss sich los und kniete sich zu ihr.

Um nicht aufzuschreien oder zu heulen, legte ich mir eine Hand auf den Mund, ehe ich mich dann reflexhaften umdrehte, um festzustellen, wer für diese grausame Tat verantwortlich war.

Ich hatte es bereits geahnt, doch ich wollte es nicht wahrhaben.

Mein eigener Vater.
Mein Fleisch und Blut, getötet vom anderen Teil meines Fleischs und Blutes.

Er hielt die Waffe immer noch in die Richtung, in der meine Mutter stand.

Innerlich wollte ich auf ihn losgehen, ihn anbrüllen und irgendwas in mir verlangte auch danach, ihm selbst mit seiner eigenen Waffe dasselbe anzutun.

Das schlimmste an der ganzen Sache wach, dass er nicht mal traurig guckte.
Er schaute nicht mal kalt, oder neutral, nein.
Sein Gesicht zierte ein Lächeln der Befreiung.

Nichts hat mich in meinem Leben derart angewidert wie das Lächeln dieses Mannes.

Sogar meine Schwester hatte der Tod unserer Mutter zu Tränen gebracht.

Ich bekam nicht mal die Chance, zu realisieren, was die ganze Zeit um mich herum geschah, denn Ava leitete schon das nächste Grauen ein.

„Macht sie Abflugbereit. Das erste Schiff kann schon beladen werden."

Sie nickte einer Gruppe von Soldaten zu, die dann zu Newt und den anderen aus unserer Gruppe hinüber gingen.

„Nein."

Violet 2 - The Scorch TrialsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt