1. Kapitel

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3 Jahre später

Reece★

Als es an meine Zimmertür klopft, schiebe ich schnell meinen Zeichenblock unter mein Kopfkissen, bevor mein Vater auch schon eintrifft und ich so tue, als habe ich auf meinem Handy etwas gelesen.

„Pass auf, dass du nicht vollkommen verblödest bei dem Gestarre in dieses Teil", knurrt er.
Ich unterdrücke es, genervt die Augen zu verdrehen.
Keine Lust auf Stress mit ihm. Er gewinnt doch ohnehin.

„Was ist los, Dad?", frage ich.
Wenn er zu mir kommt, dann tut er das nicht, um nett mit mir zu plauschen, sondern, weil er etwas will. Meistens nichts Gutes.

„Wir haben einen von den Caves unten sitzen, der in unserer Straße unterwegs war. Ich will, dass du ihn dir vornimmst"
Ich lege mein Handy beiseite und sehe zu meinem Dad auf.

„Wozu denn? Vielleicht hat er sich nur verirrt oder so"
Mein Dad lacht, aber es ist höhnisch. „Sei nicht so dumm, mein Kind. Geh nach unten und mach einfach deinen Job"

Seufzend erhebe ich mich aus dem Bett, binde meine Haare zusammen, ehe ich mit meinem Dad runter gehe.

Ich finde es absolut scheiße, dass wir unser Haus auch zum Foltern und Gefangenenhalten nutzen, aber ändern kann ich daran nichts, bis die Familie mir gehört.

Eigentlich ist unser Haus schon groß genug, um das zu machen, aber ich finde, es nimmt so das Gefühl von zu Hause, an einem Ort zu leben, wo andere leiden und umgebracht werden.

Mein Dad folgt mir in den Keller und zeigt mir den Raum, in den ich gehen soll.
Hier unten ist es ziemlich heiß, damit unsere Gefangen bei den Verhören ins Schwitzen geraten.

Als mein Dad die Tür öffnet, in die soll, laufe ich an Marco vorbei, der wohl grade Wachschicht hat.
Er nickt mir kurz zu, belässt es aber dabei, weil mein Dad nichts von unserer Freundschaft erfahren soll.

Marco und Ben sind so quasi zu meinem Schutz angestellt und mein Dad findet es unprofessionell, dass ich auch mit ihnen befreundet bin.
Selbst, wenn Ben mein Cousin ist.

Als ich in den Raum gehe, sehe ich eine Gestalt auf einem Stuhl gefesselt.
Es ist ein Typ, pitschnass, sodass ihm die Haare ins Gesicht hängen.
Er scheint wohl bewusstlos zu sein.

Mein Dad macht kurzen Prozess, nimmt einen Eimer mit eiskaltem Wasser und schüttet ihn auf den Typen, während ich mich umdrehe, um mir ein paar Messer auszusuchen.

„Hallo Dornröschen" Die Stimme meines Vaters klingt spöttisch.
Ich höre ein tiefes Knurren. „Mein Bruder wird ihnen dafür die Haut abziehen, während die noch am Leben sind"

Lässig.
Die meisten winseln um Gnade, aber er droht noch.
Ich mag es, dass er nicht rumheult.
Ich hasse es, wenn sie weinen und nach ihrer Mami schreien. Dann bekomme ich Mitleid und das kann ich echt nicht gebrauchen.

„Das wirst du dann aber nicht mehr erleben", meint mein Dad nur gelangweilt. Dann wird seine Stimme lauter. „Also, mein Sohn, er soll uns sagen, wo sein Bruder die nächste Lieferung hinbekommt. Und sorg dafür, dass er nicht stirbt, er kann uns noch so viele Informationen geben"
Mit diesen Worten klopft mein Dad mir auf die Schulter und geht dann.

Indes drehe ich mich um und sehe den Typen mit wütendem Gesichtsausdruck auf mich starren.

Doch irgendetwas in seinem Blick verändert sich.

„Reece?", fragt er ungläubig.
Das macht mich tatsächlich unsicher, denn er kommt mir echt bekannt vor, aber das darf ich mir nicht anmerken lassen.

Schon viele haben behautet mich zu kennen, damit ich ihnen helfe zu fliehen, aber ich war nie dumm genug, mein Leben für ihres aufs Spiel zu setzen.

„Sollte ich dich kennen?", frage ich, während ich mit meinem Messer auf in zugehe.
Er lacht leicht, es klingt bitter. „Nein, vergiss es. Tu einfach, was du tun musst, aber ich werde dir kein Wort sagen"

Ich lege den Kopf leicht schief und knie mich vor ihn, um ihm die nassen Haare aus der Stirn zu streichen.

Er kommt mir echt bekannt vor, aber ich habe keine Ahnung mehr, woher denn wohl.

Irgendetwas an seinem Gesicht stört mich. Vielleicht der Bart, vielleicht das blaue Auge oder die aufgeplatzte Lippe.
Ich weiß es nicht.
Aber abgesehen davon, dass er von Wunden entstellt ist, ist er wunderschön. Eine Schande, was wir hier tun.

„Wenn du mir einfach sagst, was ich rausfinden soll, dann ersparst du mir Zeit und dir viel Schmerz. Am Ende reden sie nämlich alle" Das sage ich immer, bevor ich anfange.
Ich will das nämlich echt nicht tun.
Ich weiß selber, wie es sich anfühlt, auf diesem Stuhl zu sitzen, nur dass ich damals keine Infos zu geben hatte. Ich bin dort gesessen, um bestraft zu werden...

„Glaub mir, ich werde die Ausnahme sein" Fest, fast schon herausfordernd sieht er mich an.
Ich mag ihn irgendwie. Jetzt muss sich nur noch schauen, ob er auch was hinter seiner großen Fresse hat.

Als ich das Messer hebe und es an seine Brust ansetze, presst er die Lippen zusammen, sagt aber kein Wort. Er macht sich auf den Scherz gefasst, das sieht man ihm an.
Und ich weiß, dass er nicht reden wird.
Das spüre ich irgendwie.
Aber ich muss tun, was mein Dad sagt, sonst kann ich mir gleich einen Stuhl nehmen und mich neben ihn setzen.

Also drücke ich die Klinge langsam in seine Haut, sehe ihm dabei in die Augen.
Das mache ich immer so. Würde ich irgendwo anders hinsehen, würde ich mich nur noch schlechter fühlen, aber wenn ich einem Menschen in die Augen blicke und durch den Schmerz, den ich verursache, hindurch sehe, erkenne ich so viel darin. Erfahrung, Erlebnisse, das Wesen der Person.
Und das schlimme ist, bei ihm hier kommt sogar das mir bekannt vor.

Als das Messer weit genug drin ist, um ihn nicht ernsthaft zu verletzen, ziehe ich es über seine Brust.
Er hat Muskeln, daher geht es um einiges schwerer als bei welchen, die von Fett umlagert sind.
Er gibt keinen Ton von sich, obwohl es sehr schmerzhaft ist.

Und egal, wie oft ich ihn nach dem Treffpunkt für die Lieferung frage und wie oft ich in seine Haut ritze, er gibt keinen Ton von sich. Nicht einmal einen Schmerzensschrei.
Aber irgendwann muss ich aufhören, weil er Blutverlust zu groß bist, sonst verreckt er noch und Dad meinte, ich soll ihn nicht sterben lassen.

Also kümmere ich mich um seine Wunden.

Dann höre ich doch einen Ton. Er lacht.
Verwirrt sehe ich ihn an. „Was ist so lustig?"
Er schüttelt den Kopf. „Ach weißt du, ich hab es mir immer anders vorgestellt, dich wieder zu treffen. Irgendwie romantischer, mit weniger Blut und Waffen"

Sein Blutverlust muss schon ziemlich hoch sein, wenn er so einen Schwachsinn redet.
Ich kümmere mich um seine Wunden, ehe ich aus der Tür gehe und dann erstmal durchatme.

Dieser Typ da drin...
Irgendetwas ist an ihm anders...

Die Liebe und der Feind (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt