31. Kapitel

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Reece

Jax findet mich gar nicht abstoßend.

Ehrlich gesagt wundert mich das, denn ich finde mich selbst hässlich, wenn ich in den Spiegel sehe.
Ich meine, ich weiß, dass ich attraktiv bin, aber was sich auf meiner Brust abzeichnet und auch auf Teilen des Bauches und des Rückens ist einfach nur schrecklich.

Irgendwie war klar, dass er wahrscheinlich irgendwann wissen will, woher ich die Narben habe und ich vertraue ihm auch genug, um es ihm zu erzählen.
Nur zeigen wollte ich es ihm nicht unbedingt.
Aber irgendwann hätte es ja eh dazu kommen müssen...

„Weißt du, ich hatte schon immer so eine Ahnung, dass es nicht gut ankommen würde, wenn mein Vater rausbekommt, dass ich auf Männer stehe"
Jax zieht nach diesem Satz scharf die Luft ein. Tja, Schatz, du wolltest die Wahrheit, hier hast du sie.
„Ich hab's lange vor ihm versteckt halten könne, weil ich mich mit Frauen bei mir getroffen habe, und mit Männern immer woanders, sodass er es nicht mitbekommen hat. Er hat mich auch nie direkt mit einem erwischt oder so. Es ist eher meiner Dummheit verschuldet, dass es so weit gekommen ist.... Ich fälsche für meinen Dad Bilder von berühmten Künstlern, damit er sie verkaufen kann und öfters dafür abkassieren kann. Er war in meinem Atelier und hat sich ein paar Bilder angesehen. Und dann hat er auch welche entdeckt, die nie für seinen Augen bestimmt waren"

Vorsichtig hebe ich den Blick und sehe Jax an. „Ich hab dich gemalt, Jax. Uns, zusammen. So oft. In so vielen verschiedenen Varianten. Kuschelnd, küssend, händchenhaltend, lachend. Mein Dad hat die Bilder alle gefunden."

In der Erinnerung gefangen schüttele ich leicht den Kopf. „Er ist so wütend geworden."

Jax greift nach meiner Hand, aber ich kann ihn nicht mehr ansehen.

„Er hat mir Vorwürfe gemacht, wie ich ihm das antun kann. Dass ich die Verpflichtung hätte, unseren Familiennamen weiter zu tragen und mich um das Geschäft zu kümmern. Dass ich als Schwuchtel keine Chance im Leben hätte. Aber so richtig schlimm wurde es erst, als er dich auf den Bildern erkannt hat. Er hat geglaubt, ich sei einfach nur verrückt und krank im Kopf und er würde mir das schon austreiben können. Also hat er es versucht. Durch Schläge, durch Klingen, durch Zigarren, die er auf mir ausgedrückt hat. So lange, bis ich so gebrochen war, dass ich einfach nicht mehr konnte. Und von da an hatte er mich komplett im Griff."

Ich muss bitter lachen. „Er hat mir dreimal die Woche eine Nutte ins Zimmer geschickt und sie durfte erst wieder gehen, wenn ich mit ihr geschlafen hatte. Meistens hab ich sie einfach erpresst und bedroht, damit sie behauptet hat, ich hätte es mit ihr getan. Rein, um mir selbst zu beweisen, dass mein Dad nicht die Macht über mich hat, bin ich nachts immer abgehauen und habs mit fremden Typen getrieben. Aber eigentlich war es einfach nur feige, dass ich das heimlich gemacht hab. Ich hätte einfach meinen Mann stehen und ihm zeigen sollen, dass er mir nicht austreiben kann, was ich fühle. Aber jetzt ist es eh schon zu spät. Er denkt seine Behandlung..." Ich setze das Wort in Anführungszeichen. „...hätte gefruchtet. Und er weiß ganz genau, dass ich so wie ich jetzt aussehe ohnehin nur noch abschreckend statt anziehend bin"

Als ich fertig bin, zucke ich mit den Schultern und sehe ihn an.
Er sieht geschockt aus, aber auch leidend.
Langsam streckt er eine Hand nach mir aus, um über meine Wange zu streichen.
Erst dann bemerke ich, dass es dort feucht geworden ist.

Ich schmiege meine Wange in seine Hand.
Wenn er mich berührt, tut er es so zärtlich, so sanft wie niemand vor ihm. Das zeigt mir, dass ich wertvoll bin. Dass ich es nicht verdient habe, verletzt zu werden. Und dem ist so. Ich habe das nicht verdient. Keiner hat sowas.

„Für mich bist du perfekt" Jax' grüne Augen tauchen vor meinen auf, als er seine Stirn an meine lehnt. „Ich will nicht, dass du denkst, du könntest es irgendwie nicht sein. Du bist wunderschön, du bist bewundernswert und du bist alles, was ich jemals wollte"

Ich muss leicht lächeln. Selbst in so einer Lage können ein paar von seinen Worten mich unglaublich glücklich machen.
„Danke für einfach alles", murmele ich ihm zu und küsse ihn sanft. Er steigt mit ein und schafft es selbst im Kuss mir zu zeigen, wie wichtig ich ihm bin.

„Woher ist die?", murmelt Jax an meine Lippen, während er mit dem Daumen über die Narbe an meinem Kinn streicht.
Ich seufze. „Vom Kampftraining. Ich war noch ein Kind und wollte den anderen, vor allem Marco und Ben nicht wehtun. Obwohl sie älter sind als ich, war ich schneller und hätte es können, aber sie waren meine Freunde... Mein Vater meinte, ich darf keine Bindungen haben und hat mir beweisen, dass nicht mal er als Vater mich liebt, indem er mich an den Haaren gepackt und meinen Kopf auf den Boden geschlagen hat"

Jax stößt erstickt die Luft aus und sieht mich mit offenem Mund an.

„Er hat mir dadurch auch den Kiefer gebrochen", beende ich die Erzählung.
Jax schüttelt ungläubig den Kopf. „Ich kann nicht verstehen, wie er dir das antun konnte. Du bist so ein wundervoller Mensch und er..." Er unterbricht sich selbst und sieht mich leidend an. „Ich würde alles tun, um das irgendwie ungeschehen zu machen, Reece"

Leicht lächelnd nicke ich. „Ich glaube dir das, Schatz, und ich weiß das auch sehr zu schätzen, aber wir können an der Vergangenheit nichts mehr ändern. Wir können nur das Beste daraus machen, was wir jetzt haben. Und ich für meinen Teil will jetzt schlafen, damit ich morgen zum ersten Mal als eines von vielen weiteren mit dir gemeinsam aufwachen kann"

Die Liebe und der Feind (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt