16. Kapitel

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Jax


„Ich wusste gar nicht, dass du so eine Beobachtungsgabe hast", grinse ich, während ich mit Reece über den Schulhof laufe.
Er hat Frau Christ heute ganz schön eingeheizt.

Reece zuckt mit den Schultern. Er tut so, als sei es kein großes Ding, aber ich muss mir eingestehen, dass ich die Rede von ihm niemals erwartet hätte.
Ich glaube, er ist schlauer als er es selbst weiß, allein wie er sie analysiert hat, obwohl er sie grade mal eine Minute kannte. Ich hoffe nur, er macht das bei mir nicht.

„Mein Dad hat mich darauf trainiert, auf Kleinigkeiten zu achten. Ist wichtig bei Verhandlungen. Wenn du erkennst, dass dein Kunde ein Frauenhasser ist, dann mach ein paar abfällige Bemerkungen und schon findet er sich sympathisch und zahlt mehr. Es geht nicht darum, die Menschen zu analysieren, um sie kennen zu lernen. Es geht immer nur um Geld und Macht." Er klingt ziemlich neutral, während er das ausspricht, aber leider hat er Recht.
Nur ich hatte solch ein Training noch nie. Kampftraining ja, aber sowas? Nein.

„Bist du mit dem Auto da?", fragt Reece mich, als wir auf dem Parkplatz ankommen.
Ich schüttele den Kopf. „Tysan hat mich gebracht"
Kritisch zieht Reece die Augenbrauen hoch. „Ist er dein Chauffeur oder was?"
Ich muss lachen. „Nein, aber ich verticke ein paar Tütchen für ihn, wenn er mich in die Schule bringt. Mein Dad will mir kein Auto geben, solange ich Patrica nicht heirate und Bus fahren will ich nicht"

Er nickt verstehend. „Ich kann dich mit in die Schule nehmen und nachhause fahren. Liegt zwar nicht grade auf dem Weg, aber ist ja egal", meint er.
Lachend schüttele ich den Kopf. „Wenn jemand aus meiner Familie sieht, wie ich in dein Auto steige, sind wir so gut wie tot. Aber danke für das Angebot"

Der Parkplatz ist viel zu voll, als dass wir uns zum Abschied küssen könnten, weshalb er nur eine sehnsüchtigen Blick auf meine Lippen wirft, als wir bei seinem Auto ankommen.

„Wir sind viel zu friedlich für die Öffentlichkeit", meint er dann.
Ich lache leicht und gehe einen Schritt zurück. „Ja, los verpiss dich, du Hurensohn!"
Zuerst ist er überrascht, aber er versteht ziemlich schnell, was ich bezwecken will und spielt mit. „Verreck doch mit deiner ganzen Sippschaft!", schreit er mir ins Gesicht, ehe er ein Grinsen verbergen muss und ins Auto steigt, um davon zu düsen.
Ich sehe ihm hinterher, erkenne all die glotzenden Blicke.

Ach, dass es die Lieb so übel mit mir meint, dass ich lieben muss den verhassten Feind.
Dieser Satz geht mir einfach nicht mehr aus dem Kopf.
Ich konnte ihn heute gar nicht mehr darauf ansprechen, was er damit wohl gemeint hat.

Ich laufe nachhause, als es in meiner Hose vibriert.
Uch was ist denn das? Ach nur ein Handy, okay.

Ich nehme das Teil heraus und muss lächeln.
Du nennst mich einen Hurensohn?!" Ich kann mir Reece gespielt empörte Stimme so gut vorstellen.
Du wolltest doch weniger friedlich sein"
Er schickt einen traurigen Smiley und ich muss lachen, antworte mit einem Herz.
Er schickt ungefähr 100 zurück.
Soll mir das irgendetwas sagen?", schreibe ich ihm, während ich grinse.
Auf die Antwort bin ich dann erstmal schockiert.
I love you not"
Ich blinzele ein paar Mal, um mir anzusehen, ob ich richtig gelesen habe.
Dann kommt die nächste Nachricht. „Du bist nur Schrott"
Okay, das läuft irgendwie in die falsche Richtung. Grenzt das schon an Cybermobbing? Nein? Aber es tut weh.
War nur ein Scherz, du bist mein Herz" Auf diese Nachricht hin muss ich lachen, weil ich so verdammt erleichtert bin.

Mein Herz klopft schnell, als ich mir sein Grinsen in diesem Moment vorstelle. Ich sollte ihm nicht die Macht geben, meine Gefühle durch einzelne Sätze so sehr zu beeinflussen.
Er spielt mit mir, das habe ich natürlich schon bemerkt, aber ich weiß, dass er mich niemals verletzen würde.
Er hat nur Spaß daran, mich aufzuregen und er ist sehr gut darin. Er bringt mich echt noch um den Verstand, aber ganz ehrlich, wer braucht schon Verstand, wenn er Reece haben kann?Ich

Ich schreibe den Tag über mit Reece, wobei er mich aber daraufhin weißt, dass wir nicht übertreiben sollten, weil das Prepaidhandy nicht unendlich Guthaben hat. Und er hat ja Recht.
Aber ich will einfach alles vergessen und in ein Gespräch mit ihm flüchten, wenn ich ihn schon nicht ansehen kann.

Am Abend nach dem Essen, als ich in meinem Bett liege und auf meinem normalen Handy zocke, klopft es an meine Zimmertür.
Meine Mum kommt rein.

„Hei Mum", begrüße ich sie.
Wir sehen uns nur selten, weil sie viel zu tun hat.
Lächelnd setzt sie sich auf meine Bettkante und streicht mir die Haare nach hinten. Naja, das bewirkt eher, dass sie nach oben abstehen, aber was solls.

„Wie war es in der Schule?", fragt sie. Sofort merke ich, dass etwas faul ist. Sie ist so nett und interessiert.
„Normal", gebe ich vorsichtig zurück.
Meine Mutter zieht die Augenbrauen zusammen. „Ach ja? Keine Neuigkeiten?"

Soll das ein Test sein oder was? Es hätte mir klar sein müssen, das ihr zu Ohren kommen wird, dass Reece jetzt auf meine Schule geht.

„Naja, einer von den Masters geht jetzt auf meine Schule, aber ich hab nicht wirklich viel mit dem zu tun" Möglichst beiläufig gebe ich dies zu.
Meine Mum nickt verstehend. „Vielleicht solltest du das ändern", meint sie.
Verwirrt blicke ich sie an. „Soll ich mich nicht von ihnen fernhalten?" Ich checke gar nichts mehr.
„Das sollst du, ja, aber als sein Klassenkamerad kannst du es bestimmt schaffen, dich mit ihm anzufreunden und dann kannst du Infos aus ihm rausbekommen".

Bitte sag, ich habe mich verhört und du forderst nicht gerade von mir, dass ich meinen Freund aushorche. Bitte!

Meine Mutter erkennt wohl an meinem Blick, dass mir das nicht gefällt. Sie seufzt, aber ich erkenne, dass sie eigentlich wütend ist. Doch wir beide erhalten das Spiel aufrecht. „Jeder muss seinen Teil für die Familie beitragen, Jaxsen, auch du. Du willst nicht für uns Arbeiten, du willst nicht heiraten, um uns zu helfen, du willst uns nicht mal ein paar kleine Infos besorgen. Aber du lebst hier auf unsere Kosten, lässt dich mit dem Geld durchfüttern, das durch solche Aktivitäten verdient ist, die du von dir weißt. Du nimmst immer nur. Aber langsam bist du alt genug, um auch mal etwas du geben. Das ist deine Pflicht"

Ich würde ihr so gerne ins Gesicht brüllen, dass es meine Pflicht ist, von ihr versorgt zu werden, weil sie meine Mutter ist und es nicht anderes sein sollte, aber das kann ich nicht.
Ich nicke also nur stumm.

„Ich werde mich ändern, Mum", verspreche ich ihr.
Das scheint sie zufrieden zu stimmen, denn sie nickt und geht dann wieder.
Als sie die Tür hinter sich zuzieht, merke ich wie erleichtert ich bin, dass sie weg ist.

So sollte es nicht sein. Ich sollte es nicht hassen zu sein, wer ich bin, wer meine Familie ist. Ich sollte mich bei ihnen wohlfühlen, geborgen und nicht wie ein Fremder.
Aber genau das tue ich und das schlimmste dabei ist, trotz allem liebe ich sie zu sehr, um einfach abzuhauen.

Denn letzten Endes sind sie immer noch meine Familie und das werden sie auch immer bleiben, ob ich das will oder nicht.

Die Liebe und der Feind (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt