XLIX. Große Gefühle

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Gerade als der grauäugige einen kurzen Moment durchatmen musste, kam diese kleine kratzige Begrüßung von Shay aus der Dunkelheit. Sein Herz hatte einen Satz gemacht und er hatte sich von der Tür, an die er gelehnt war, abgestoßen, um zu ihr zu gelangen. Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit im Raum gewöhnt. Nach vier langen Schritten, kam er direkt neben ihr zum stehen.
„Hey." flüsterte er leise zurück.
Shay hatte die Augen noch halb geschlossen. Wahrscheinlich, fiel es ihr noch relativ schwer sie offen zu halten. Er nahm vorsichtig ihre Hand. In erster Linie weil er froh war, dass sie zu sich gekommen war, desweiteren konnte er so ihren Puls kontrollieren. Er war ruhig und ging gleichmäßig. Zaghaft drückte sie seine Hand. Er ließ sich auf den Stuhl neben dem Bett sinken, ohne ihre Hand dabei loszulassen.
„Wo ist Grey?" erkundigte sich die Brünette leise. Sie wollte sich scheinbar aufrichten, verzog dabei vor Schmerzen leicht das Gesicht, und fand sich wohl oder übel damit ab, liegen bleiben zu müssen.
„Es ist 22Uhr. Ich habe ihn ins Bett gebracht." gab Law monoton zur Antwort.
Shay presste kurz ihre Lippen aufeinander, dann schloss sie die Augen und ließ langsam den Atem entweichen.
„Law. Ich.. ich muss dir etwas sagen."
Sie hatte die Augen wieder geöffnet und sah Law dann eindringlich an.
„Bevor du das tust, muss ich dir noch etwas sagen." antwortete er schnell.
„Wegen Kei."
Shay sah Law irritiert an. Er atmete nocheinmal ein, bevor er weiter sprach.
„Wir hatten das ganze inszeniert. Er ist die Gefahr für dich eingegangen, dass ihm etwas passieren könnte. Er wollte uns nicht verraten, aber wir waren uns nicht sicher, wie gut du es vor den Wachen schauspielern könntest. Du hast zum Glück so reagiert wie Kei, wenn ich erhlich sein soll auch wie ich, es von dir erwartet hatte. Das einzige womit wir nicht gerechnet hatten war, dass dieser Kaito so knallhart durchgreift und Kei's Männer hinrichten würde."
Law sah auf die Hand von Shay, augenscheinlich fühlte er sich.. schuldig.
„Ich dachte, du solltest wissen, dass Kei das nicht böse gemeint hat. Ich kann ihn zwar nicht ausstehen,... aber er hat alles dafür getan, dir und deinem Sohn helfen zu können, und dafür respektiere ich ihn." Shay schluckte schwer. Sie war erleichtert, dass Kei sie nicht so hintergangen hatte. Sie war unendlich froh, dass er überlebt hatte.
„Danke das ihr beide, mir geholfen habt. Aber ihr hättet mich in eure Pläne einweihen sollen. Vielleicht hätte es weniger Tote, beziehungsweise Verletzte gegeben." flüsterte Shay in die Dunkelheit und dachte dabei an den Preis, den Kenshi und Yoshio mit dem Leben für sie bezahlen mussten.

Ein Moment der Stille verging und Law drückte kurz Shays Hand. „Was wolltest du mir sagen?"
Shay schluckte erneut schwer. Nachdem Law ihr das nun erzählt hatte, hatte sie ihren Mut irgendwie verloren.
Sie rutsche unbeholfen hin und her, zu mehr war sie nicht imstande. Law's Gesichtszüge waren weich und entspannt. Von ihm war spürbar eine Last abgefallen, als er Shay von Kei erzählt hatte. Nun sah er sie ruhig und wartend an, gespannt auf das was sie ihm zu sagen hatte.
Shay verweilte ein paar Sekunden in seinen Augen, huschte über seine Lippen hinweg und sammelte erneut jeden Mut ,den sie nun aufbringen musste.
„Du.. also." sie holte noch einmal tief Luft und sah ihn dann vorsichtig an.
„Grey.. er ist..dein.. Er ist dein Sohn, Law." brachte sie schließlich heraus und hielt die Luft an. Die Sekunden verstrichen, in denen Law immer noch mit dem gleichen ruhigen Ausdruck da saß und nichts sagte.
Shay blinzelte ihn vorsichtig an, doch weiterhin kam keine Reaktion.
Ganz langsam, und wenn Shay Laws Gesicht und Mimik nicht genau beobachtet hätte, wäre es wohl nicht sichtbar gewesen, fiel sein Blick in die Leere. Seine Kiefermuskeln arbeiteten einen Moment, dann sah er aus wie eine Statue.
Shay war sich nicht sicher, wie lange sie die Luft wohl angehalten hatte, doch als sie sie endlich wieder entweichen ließ, kam es ihr vor als wären Stunden vergangen. Mit rasendem Puls traute sie sich nicht, den Blick von Law zu nehmen.
Weitere Augenblicke vergingen, in denen Shay nur ihren eigenen Puls in ihren Ohren rauschen hörte.

Law's Hand lag einfach nur auf der von Shay. Sie zog sie vorsichtig unter seiner hervor, nur um sie auf seine zu legen.
„Law?"
Versuchte die Brünette leise dem Piratenkapitän eine Antwort, eine Reaktion zu entlocken.
Doch da kam nichts. Er starrte einfach vor sich hin. Die Tatsache, das er nicht blinzelte, machte die ganze Situiation echt unheimlich.
Shay versuchte sich nocheinmal aufzurichten. Sämtliches Brennen und Stechen in ihrem Körper, schob sie hinter sich und biss die Zähne fest aufeinander.
Als sie nun etwas wackelig auf dem Bett saß, beugte sie sich zu Law, um in seine Augen zu sehen.
„Law?"
Wieder nichts. Er zeigte keinerlei Reaktion.
Sie wollte mit ihren Händen sein Gesicht umfassen, um ihn aus dieser Starre zu lösen, doch sie verlor das Gleichgewicht, hatte keine Chance sich abzustüzen, und plumpste vor Law auf den Boden. Shay rechnete fast fest damit, das er ihr aufhelfen würde, doch Fehlanzeige.
Sofern sie es in der Dunkelheit beurteilen konnte, würde sie sagen, dass Law kreidebleich war.

Verdammt!
Was hatte sie sich dabei denn gedacht? Hätte sie auf einen besseren Moment warten sollen? Ein Brennen machte sich in ihren Augen breit. Sie schluckte die Tränen hinunter und zwang sich dazu, jetzt nicht die Beherschung zu verlieren.
Sie hatte nicht erwartet, dass er ihr um den Hals fallen würde, aber diese Reaktion bescherte ihr ein schmerzhaften Stich in ihr Herz.
Mit aller Kraft, zog sich Shay an dem Bett nach oben. Sie kniete nun direkt neben Law. Sie umgriff seine Unterarme und schüttelte leicht daran.
„Law, sag doch was!" flehte sie ihn leise an.
Doch auch jetzt kam keine Antwort.
Sie biss sich auf die Lippe und konnte die brennende Näse in ihren Augen nun doch nicht mehr zurückhalten. Ganz vorsichtig, lehnte sie mit dem Kopf an seinem Bein und schluchzte leise.
Sie fühlte sich schlecht und schuldig. Hätte sie doch nur nichts gesagt. Es war doch gut, so wie es war.

***
Law fühlte sich nun besser, als er Shay sagte, dass Kei nicht der Verräter war, für den sie ihn gehalten hatte.
Er sah wie sich auf ihrem Gesicht Erleichterung ausbreitete. Sie war froh, dass sie sich nicht komplett in dem Mann, der sie in allem unterstüzen wollte, geirrt hatte.
Als Shay wieder tief Luft holte und erneut ansetzte, das sie Law etwas erzählen musste, wurde der grauäugige überraschend nervös.
Sie stotterte kurz und rang mit sich, dann beendete sie ihren Satz mit Worten, die Law aus der Bahn schleudern solten:
Er ist dein Sohn, Law.
Dein Sohn.
Sohn.

Law driftete mit all seinen Sinnen ab. Es traf ihn wie ein Blitz, aber eigentlich auch nicht. Wie offensichtlich war die Ähnlichkeit zwischen ihm und dem kleinen Jungen gewesen? Er hatte es irgendwo, ganz, ganz tief im Inneren gewusst, oder? War da nicht dieses seltsame Gefühl in seine Magengegend gewesen, als er den Jungen zu Bett gebracht hatte? Er wusste nicht, was es für ein Gefühl war, so völlig fremd war es ihm.
Und jetzt.
Jetzt zog es sein komplettes Inneres nach draußen. Es fühlte sich an, als hätte eine Macht, ihn aus seinem Körper gezogen und mitgerissen.
Wegkatapultiert.
Er raste durch die Dunkelheit und flog auf etwas weit Entferntes zu. Er konnte es sich nicht erklären, und wusste auch nicht, ob er sich an das hier irgendwann erinnern würde, aber immer mehr leuchtende Punkte rasten an seiner herauskatapultierten Seele vorbei. Waren das Sterne? Wo befand er sich gerade? Die Lichter vermehrten sich rasant und mit einem WUMMS! kam er zum stehen.
Sein Unterbewusstsein befand sich nun in einer schwarzen Weite. Doch war es nicht stockduster wie am Anfang. Um ihn herum waren unendlich viele bunte Lichter. Sterne die so sehr funkelten, dass es ihm den Atem raubte.
Das Universum, welches sich in Law befand, war nun nicht mehr dunkel, sondern hatte eine lichterartige Explosion hinter sich.
Ausgelöst durch die Worte:
Er ist dein Sohn, Law.
Sohn.

Er war Vater. Er konnte es noch nicht ganz begreifen, aber diese Erkenntnis, hatte in ihm gerade eine heftige Reaktion ausgelöst.
Law sammelte sich und fasste sich langsam wieder. Er nahm wieder seine Umgebung wahr. Erst fühlte er, wie etwas oder jemand an seinem Bein lehnte. Wärme breitete sich von dieser Stelle aus aus. Dann hörte er ein unregelmäsigen Atem und ein Geräuch, dass er bei Frauen nicht ertragen konnte - ein Weinen.
Zuletzt nahm er seine Umgebung auch durch das Sehen wieder wahr.
Er saß noch immer vor dem Bett, in dem er Shay zurückgelassen hatte, doch jetzt war das Bett leer.
Panik wollte sich gerade breitmachen, als er die anderen Sinne, mit dem Sehen, kombinierte.
Die Wärme an seinem Bein, und das leise Schluchzen, kam von Shay.
Sie saß kraftlos auf dem Boden. ‚Was zum Teufel tat sie denn da unten?', war alles, was Law sich dabei dachte.

Er ließ sich vom Stuhl gleiten, und kniete dann neben der Brünette auf dem Boden.
Erschrocken sah sie den Piraten an.
Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und wischte ihr sanft die Tränen weg. Er wusste, dass er dabei wohl seine Stirn in Falten gelegt hatte. Er sah Shay tief in die Augen und fragte sich, warum sie ihn so ängstlich und doch abwartend ansah.
„Ich hätte es nicht sagen sollen." brachte Shay leise über die Lippen.
Law zog die Brauen noch mehr zusammen.
Was sagte sie denn da?
Shay biss sich zögernd auf die Lippe, als Law immer noch keine Antwort von sich gab.
Sie wandte den Blick ab und schüttelte leicht den Kopf. Sie schien so verzweifelt und hoffnungslos.

Ein anderes Gefühl, machte sich in Laws Brust breit. Angst, Sorge. Was sagte sie denn da?
Law legte den Kopf schief, um ihren Blick einzufangen. „Ich kann nicht glauben, dass du mir nicht früher von Grey erzählt hast."
Shay schien geschockt.
„Ich.. ich.. wusste nicht.."
„Ich bin Vater?" flüstert Law leise.
Shay spürte erneut die Tränen aufsteigen.
„Ja." hauchte sie.
Law legte seine Stirn gegen ihre und streichte ihr sachte die Haare zurück. Der grauäugige bemerkte sein Lächeln. Er wanderte mit seinen Lippen zu dem Haaransatz von Shay, drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und atmete tief ihren lieblichen Duft ein.
„Ich bin Vater." wiederholte er noch einmal, nur dieses Mal, als Aussage.

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