- V E R G A N G E N H E I T -
Es war bereits hell draußen, als Emma die Augen aufschlug. Sie drehte sich nach links und blickte geradewegs auf Louisas blonden Lockenkopf. Ihre Locken lagen durcheinander, miteinander verknotet, wirr in alle Richtungen abstehend auf dem Kopfkissen und die blonde Farbe hob sich leuchtend hell von den schwarzen Kissen ab.
Instinktiv wusste Emma, dass Louisa wach war, genauso wie sie wusste, warum ihre Freundin in ihrem Bett lag und nicht bei Matteo.
Emma war früher als die anderen zum Haus zurückgekehrt und hatte nicht mitbekommen, wie Louisa sich neben sie gelegt hatte, auch wenn sie noch sehr lange wach gelegen und über Leandro nachgedacht hatte. Sie war zu dem Entschluss gekommen, dass sie ihm vielleicht doch von Ben erzählen könnte. Es würde ihr vermutlich gut tun mit ihm darüber zu reden. Sie musste mit irgendwem darüber reden. Es zerstörte sie langsam innerlich, das war ihr klargeworden. Was machte es schon aus, fragte sie sich, wenn sie es Leandro erzählen würde. Vielleicht würde er sie verurteilen, nie wieder ein Wort mit ihr wechseln wollen, aber es waren sowieso nur noch zwei Wochen, danach würde sie ihn vermutlich nie wiedersehen. Das größere Problem stellten ihre Panikattacken und die Angst, dass Louisa es durch diese eventuell erfahren könnte dar. Was wäre, fragte sie sich, wenn sie es Louisa während einer dieser Attacken ausversehen verraten würde? Emma seufzte und spürte in dem Moment wie Louisa sich neben ihr bewegte. Vorsichtig legte sie Louisa eine Hand auf die Schulter und drückte durch die einfache Berührung mehr aus, als sie mit Worten hätte sagen können. Jetzt ging es um Louisa, ihre beste Freundin, die den ersten Todestag ihres Verlobten überstehen musste und nicht mehr um sie selbst, dachte Emma und strich Louisa beruhigend über den Rücken.
Louisa schluchzte.
„Ich vermisse ihn so sehr...", sagte sie leise schluchzend.
„Ich auch", antwortete Emma. Auf den Tag genau, war Ben nun seit einem Jahr tot. Einfach nicht mehr da.
Und Emma konnte es immer noch nicht wirklich verstehen.
„Ich konnte nicht bei Matteo schlafen", weinte Louisa. „Es hat sich falsch angefühlt heute mit ihm in einem Bett zu liegen, wo doch eigentlich Ben neben mir liegen sollte..."
Sie drehte sich auf den Rücken und griff nach Emmas Hand. „Er hätte gewollt, dass wir den Tag zusammen verbringen. Ben wollte immer, dass wir zusammen sind."
Emma nickte. Das stimmte, Ben hatte besonders als er krank wurde ein Auge darauf gehabt, dass Louisa und Emma viel Zeit miteinander verbrachten, damit keine von ihnen allein sein würde.
Hätte er nur Louisa keinen Heiratsantrag gemacht und mit Emma geschlafen. Der Gedanke daran ließ Emma übel werden. Sie hatte vorgehabt es Louisa zu sagen, ihr zu sagen was sie getan hatte und was danach passiert war, doch sie konnte nicht. Auch ein Jahr später war sie einfach zu feige dazu, ihrer besten Freundin in die Augen zu sehen und ihr zu sagen, dass Ben sie mit ihr betrogen hatte. Wie sollte man so etwas auch sagen, fragte Emma sich. Besonders nun, da Ben gestorben war und sich nicht mehr dazu äußern konnte. Irgendwann hatte Emma einfach beschlossen, dass niemand einen Nutzen davon hatte, dass Louisa es wusste. Und doch, die Panikattacken hatten sich vermehrt und Emma wusste genau wieso. Louisa war solange sie sich zurück erinnern konnte immer ihre beste Freundin gewesen und Emma konnte sich nicht vorstellen, wie es sein würde, wenn Louisa nicht mehr mit ihr reden würde. Aber es war die einzige Reaktion von Louisa, die Emma sich vorstellen konnte. Louisa würde nicht mit den Schultern zucken und sagen, dass es jetzt egal war, da Ben sowieso schon tot war. Nein, sie würde sich verletzt und hintergangen fühlen und zwar nicht nur von Emma. Und dies war das Schlimmste daran, dachte Emma. Das sie Bens Andenken schädigen würde und Louisa erfahren würde, dass ihr Verlobter sie wochenlang hintergangen und angelogen hatte.
„Lou?", sagte sie leise. „Du bist meine beste Freundin und ich liebe dich."
Louisa drehte sich zu ihr um, Tränen liefen über ihre Wangen und sie sah aus, als hätte sie diese Nacht kein Auge zugemacht.
„Ich liebe dich auch, Emma", antwortete sie seufzend. „Kannst du dir vorstellen, dass Ben und ich jetzt verheiratet wären?"
Emma schwieg. Nein, sie konnte es sich nicht vorstellen, denn Ben und Louisa hätten niemals geheiratet, wenn Louisa gewusst hätte, was sie und Ben getan hatten. Was Ben getan hatte. Mit ihrer besten Freundin.
„Absurd, oder?", fragte Louisa. „Ich wusste von dem Moment an, an dem er mich gefragt hat, dass wir nie heiraten würden und dennoch habe ich damals ‚Ja' gesagt. Einfach weil ich ihm diesen Wunsch erfüllen wollte. Er war so verzweifelt, weil er krank war und dachte nur an die Dinge, die er nie erleben können würde. Wie hätte ich 'nein' sagen können? Er wollte studieren, heiraten und Kinder... Und er war doch mein bester Freund. Wenigstens eine Sache wollte ich ihm erfüllen."
„Nur dein bester Freund?", fragte Emma leise. Es machte sie wütend, dass Louisa so über Ben sprach. Ihren Ben. Ben, der ihr gesagt hatte, dass er sie liebte und sich für die falsche Frau entschieden hatte.
Empört sah Louisa ihre beste Freundin an.
„Ich habe ihn geliebt, das weißt du Emma! Sonst hätte ich doch nie zugestimmt ihn zu heiraten."
Emma nickte. Natürlich hatte Louisa Recht. Sie hatten ihn beide geliebt. Ben hatte nur die falsche Frau gefragt. Aber da konnte Louisa genauso wenig etwas für wie Emma selbst. Es war Bens Entscheidung gewesen und er hatte die falsche getroffen.
Sogleich bereute sie den Gedanken und rollte sich vom Bett.
„Natürlich, Lou. Tut mir leid", sagte sie, während sie aufstand.
„Schon okay...", antwortete Louisa und beobachtete Emma fragend.
„Ich gehe mich duschen", erklärte Emma und nahm sich frische Sachen aus ihrem Koffer.
Sie lief über den Flur ins Bad, gerade als Leandro aus seinem Zimmer kam. Als er sie sah lächelte er.
Emma lächelte zurück, ging jedoch wortlos an ihm vorbei und schloss die Badezimmertür hinter sich. Gerade war sie wirklich nicht in der Stimmung mit ihm zu reden. Sie musste sich überlegen, wann und wie sie ihm von Ben erzählen wollte, bevor sie ihre Affäre fortsetzten.
Leandro sollte wissen, was für ein Mensch sie war. Und besonders jetzt, heute an Bens Todestag fühlte sie sich schlechter denn je.
Sie sah ihr Spiegelbild im Spiegel und seufzte.
Sie war eine verdammt schlechte Freundin für Louisa. Wirklich eine verdammt schlechte.
Sie schälte sich langsam aus ihrem Top und ihrer kurzen Hose, die sie zum Schlafen trug und stellte die Dusche an.
Heißes Wasser ran über ihre Hände. Sie drehte die Temperatur kälter und wartete einen Moment bevor sie ihren gesamten Körper unter den Strahl schob.
Das kalte Wasser wirkte beruhigend, kühlte ihre Haut ließ sie ihre Gedanken ordnen.
Es war unfair von ihr, Louisa vorzuwerfen, sie hätte Ben nicht geliebt, dass wusste Emma. Louisa hatte Ben geliebt, auch wenn er sie nicht geliebt hatte, schließlich hatte er Emma oft genug gesagt, dass er sie und nicht Louisa liebte und die falsche Frau gefragt hatte, ob sie ihn heiraten würde.
Emma hielt ihr Gesicht in das kalte Wasser und versuchte den Gedanken an Ben zu verdrängen.
Er war fort, würde nie wiederkommen und sie musste es Louisa niemals erzählen und so ihre Freundschaft gefährden.
DU LIEST GERADE
Summer Affair
RomanceIhr Studium läuft schlecht, im Nebenjob wird sie gekündigt. Emma kann kaum das Haus verlassen, ohne eine Panikattacke zu bekommen seit ihr bester Freund Ben vor einem Jahr an Krebs gestorben ist. Die Einzige, die ihr Halt gibt ist ihre beste Freund...