S I E B E N U N D Z W A N Z I G

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- V E R G A N G E N H E I T -

Was zählte es schon, dachte Emma. Was zählte es noch wen Ben geliebt hatte, welche Frau die Richtige für ihn gewesen wäre? Er war fort und dass Loch, das sein Tod in ihrem Herzen hinterlassen hatte, würde nie wieder etwas füllen können.

Als sein Herz aufgehört hatte zu schlagen hatte er alle anderen gerissen, die mit ihm verbunden gewesen waren. Einschließlich Emma. Es brauchte viel Zeit und noch viel mehr Kraft, um ihr Herz wiederaufzubauen, stets in dem Wissen, dass es nie wieder dasselbe sein würde, weil für immer ein Teil davon fehlen würde.

Wie ein niedergebranntes Haus, dass mühsam wiederaufgebaut werden musste. Und doch, wenn es wiederaufgebaut sein würde, würden viele Dinge fehlen, die nach dem Feuer unwiederbringlich verloren waren. Es würde einem fremd vorkommen, obwohl es dasselbe Haus sein würde. Denn auch wenn alles gleich aussehen möge, es fehlten die Erinnerungen, die stets in der Luft gehangen hatten und mit dem Feuer verbrannt waren wie ein paar alter, verstaubter Fotos, die man sich von nun an nie mehr ansehen konnte.

Auch wenn das Feuer gelöscht war, der Geruch nach eiskaltem Rauch und ausgebrannter Asche würde bleiben.

Ihre Freunde saßen bereits beim Frühstück, als Emma die Treppe herunter ging und das Esszimmer betrat.

Louisa saß neben Matteo, nippte stumm an ihrem Kaffee und der fehlende Schlaf war ihr deutlich anzusehen.

Emma begrüßte alle und setzte sich auf den freien Platz neben Leandro, gegenüber von Louisa hin und griff nach der Kanne mit den wunderbar duftenden Kaffee.

„Alles okay?", fragte Leandro sie.

Sie nickte stumm und trank einen Schluck.

Ja, dachte sie, natürlich war alles okay. Was hätte sie sonst sagen sollen? Das nichts in Ordnung war, dass sie das Gefühl hatte jeden Moment zusammen zu brechen?

Sie konnte nicht mehr. Sie konnte nicht mehr lügen und sie konnte nicht mehr so tun, als hätte Bens Tod sie nicht zerrissen.

Seit einem Jahr versuchte sie so zu tun, als hätte sie nicht die Liebe ihres Lebens verloren. Sie konnte einfach nicht mehr.

Sie fühlte Leandros Hand auf ihrem Bein, doch sie fühlte sich einfach taub, jegliche Emotionen, die sie in den letzten Tagen überschwemmt hatten schienen verschwunden zu sein.

Konfrontiert mit Louisas Trauer schienen alle Gefühle, die sie verdrängt hatte, wieder aufgestiegen zu sein und sie einzunehmen.

Nach dem Frühstück löste die Gruppe sich auf, jeder wollte etwas anderes unternehmen. Nicolás und Johanna machten es sich am Pool bequem, während Julia und Alicia an den Strand liefen. Louisa sagte, sie würde sich noch etwas hinlegen und Matteo folgte ihr ins obere Stockwerk.

Leandro und Emma blieben allein am Frühstückstisch zurück.

„Komm", sagte er schließlich, um die Stille zu unterbrechen. „Wir fahren ein Stück."

♥ ♥ ♥

Sie fuhren bestimmt schon eine Stunde dachte Emma, während sie mit dem Kopf an der Fensterscheibe lehnte und der Musik lauschte, die aus Leandros Autoradio drang.

Bisher hatten sie kaum miteinander gesprochen, doch plötzlich drehte Leandro die Musik leiser und seufzte.

„Willst du darüber reden?", fragte er.

„Worüber?"

„Was dich bedrückt."

Emma hob den Kopf und sah ihn an.

„Eigentlich nicht...", murmelte sie.

„Na gut", antwortete er. „Aber ich will reden."

„Worüber?", fragte sie erneut.

„Janine...", sagte er leise. „Ich finde du solltest meine Geschichte kennen. Und vielleicht erzählst du mir dann deine."

Emma schwieg.

Leandro lenkte den Wagen an den Wegrand und hielt an. Emma sah sich überrascht um. Sie waren auf einer Anhöhe von der aus sie auf das Meer sehen konnten, jedoch war der Platz bedeckt von Gras und wild wachsenden Bäumen und Blumen.

Leandro stieg aus, joggte um das Auto herum und öffnete die Beifahrertür.

„Das ist mein Lieblingsplatz", sagte er und hielt Emma die Hand hin um ihr beim Aussteigen zu helfen.

Sie ergriff seine Hand und blieb neben den Wagen stehen.

Leandro schloss die Türe und öffnete schließlich den Kofferraum, aus dem er eine Decke und einen Picknickkorb hervor zauberte.

Er lief ein paar Meter und breitete die Decke auf dem Boden aus, so dass sie perfekte Sicht über den Rand der Anhöhe und damit auf das Meer hatten.

„Setz dich", sagte er und Emma tat, was er sagte.

Er holte zwei Flaschen Cola aus dem Korb hervor und reichte Emma eine.

„Eigentlich könnte ich was Starkes gebrauchen", sagte er und lachte. „Aber ich muss uns ja noch zurück fahren."

Emma kicherte leise. „Lass uns einfach hier bleiben", antwortete sie. „Es ist wirklich wunderschön hier."

„Ich war hier oft...", sagte er und schüttelte dann den Kopf. Er holte tief Luft. „Also ich war hier oft mit Janine."

Emma nickte und lehnte sich an seine Schulter, als er begann zu erzählen.

„Als ich Janine kennenlernte war ich sieben. Sie wohnte in unserer Straße und ich hatte damals wirklich nicht viele Freunde. Es war schwer für mich, als wir nach Deutschland gezogen sind. Ich konnte nicht gut Deutsch sprechen, was vermutlich daran lag, dass ich mich weigerte, sobald wir Spanien verlassen hatten. Also ich habe nur Spanisch gesprochen, obwohl ich wusste, dass dies der Grund dafür war, dass die Kinder in meiner Klasse mich seltsam fanden. Dann ist Janine mit ihrer Familie in unserer Straße eingezogen. Wir verstanden uns, ohne Worte und bei ihr war es egal, welche Sprache ich sprach."

Leandro seufzte und ließ sich nach hinten sinken, sodass er nun auf seine Arme gestützt mit ausgestreckten Beinen da saß. Emma rutschte mit ihrem Kopf in seinen Schoß.

„Wir sind zusammen zur Schule gegangen, sie hat meine Hausaufgaben sogar gemacht, wenn ich die deutschen Wörter nicht kannte und ich weiß nicht wie, aber irgendwann begann ich mit ihr zu sprechen. Deutsch. Und so würden wir einfach beste Freunde. Wir waren jahrelang beste Freunde. In der siebten Klasse kam Matteo neu auf die Schule und von da an waren wir drei unzertrennlich. Dann hab ich ein Mädchen kennen gelernt."

Er seufzte und fuhr sich durch die Haare.

„Leonie. Sie war auf einer anderen Schule und ich hab sie im Eiscafé getroffen und angesprochen. Wir haben ein Date ausgemacht, ich war fünfzehn und sie zwei Jahre älter. Wir sind relativ bald ein Paar geworden. Janine und Leonie mochten sich nicht und irgendwann hab es einen riesigen Streit zwischen den beiden und Janine stellte mich vor die Wahl. Leonie oder sie. Und dann hat sie mich einfach geküsst. Ich weiß noch, es hat mich einfach getroffen wie ein Blitz, ich kann es gar nicht beschreiben. Nach den Kuss hat Janine sich umgedreht und ist gegangen. Ich war völlig verzweifelt und wusste einfach nicht was ich tun sollte. Einerseits wollte ich Leonie nicht verletzten, aber Janine bekam ich nicht aus dem Kopf. Dann kam Matteos Geburtstag, sein sechzehnter, und es gab eine Menge Alkohol und an diesem Abend hab ich mit Janine geschlafen. Ich weiß nicht wie es dazu kam, ich war wirklich total betrunken, aber am nächsten Morgen lag sie in meinem Bett und strahlte über beide Ohren. Ich hab mich einfach in sie verliebt, sie war meine beste Freundin und kannte sie schon so lange."

Leandro unterbrach die Geschichte um einen Schluck aus seiner Cola zu trinken und strich Emma, deren Kopf immer noch in seinem Schoß lag, kurz und behutsam durch die Haare.

„Tut mir leid, ich hoffe das stört dich nicht, das ich über meine Gefühle für sie rede...", sagte er dann.

„Nein", antwortete Emma lächelnd. „Ganz und gar nicht."

Vielleicht, dachte sie, würde er verstehen wie es dazu gekommen war, dass sie mit Ben geschlafen hatte. Schließlich war er ebenfalls vergeben gewesen, als er mit Janine fremdgegangen war.

Summer AffairWo Geschichten leben. Entdecke jetzt