Taehyung
Die Ankunft in Italien war zum Glück ziemlich reibungslos verlaufen. Wir hatten am Flugzeug keine Probleme, hatten ein Taxi rufen können und trotz meiner absolut nicht perfekten Englischkünste uns bis zum Hotel durchschlagen können. Notiz an mich selbst: Bis zum nächsten Urlaub unbedingt besser Englisch lernen. Aber das war leider nicht das einzige Problem, das sich hier auftat...
Kaum waren wir auch psychisch hier angekommen und hatten die ersten Besichtigungstouren gestartet, fing Jungkook an, ruhiger zu werden.
Besorgt beobachtete ich den Jüngeren. Das war gerade einmal der zweite Tag einer ganzen Woche hier und ich hatte viel Ruhe eingeplant - am Strand liegen, miteinander reden, durch die Stadt laufen, Sehenswürdigkeiten anschauen und in Restaurants essen gehen -, doch auf nichts davon schien er sich zu freuen. Er war müde, weil er offensichtlich nicht gut in der Nacht geschlafen hatte, falls er überhaupt geschlafen hatte, war demotiviert, deprimiert und ließ sich eher umherschleppen, als dass er freiwillig mitging. Zudem hatte ich ihn dabei erwischt, wie er immer wieder in dem Tagebuch seines Großvaters las, welches er mitgenommen hatte. Auf das Testament hatte er ebenfalls bestanden, es mitnehmen zu dürfen, doch das hatte ich ihm ausreden können.
Jedenfalls war Jungkooks Laune entgegen meinen Erwartungen wirklich am Ende und verdammt tief gesunken. Ich hatte ihn wohl eher in die Hölle gebracht, anstatt ihm richtigen Urlaub zu schenken und langsam verzweifelte ich selbst. War es ein Fehler gewesen, hierher zu kommen?
Nein, das konnte es nicht. Es konnte kein Fehler gewesen sein. Hier in Italien befand sich das Grab von Jungkooks Großvater und Jungkook hielt sehr stark an ihm fest. Das Tagebuch gehörte zu seinem wertvollsten Besitz und ich hatte das Gefühl, dass sein Großvater ihm viel bedeutet hatte. Aus diesem Grund entschied ich mich letztlich dazu, mit dem jungen Brünetten loszugehen und den Friedhof zu besuchen.
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"Was genau machen wir hier?", wollte Jungkook skeptisch wissen, als wir den Friedhof betraten und ich langsam wieder das große Tor hinter uns schloss. "Wir werden ein Grab besuchen", erklärte ich ihm. Welches Grab genau ließ ich unerwähnt, jedoch war ich mir sicher, dass er genau wusste, wovon ich sprach. Das konnte ich auch daran erkennen, dass sein Körper sich verspannte und er sichtlich nervös wurde. Wahrscheinlich wollte er am liebsten wieder umdrehen und gehen, aber ich hielt seine Hand fest umschlossen und leitete uns den Weg.
"Tae, ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist...", murmelte der Jüngere und klammerte sich mehr an meinen Arm. Kurz warf ich einen Blick auf ihn und strich ihm seine dunklen Haare aus dem Gesicht, bevor ich sanft anfing zu lächeln und ihn so versuchte aufzumuntern.
"Das werden wir gleich erfahren", meinte ich nur und bog auf einen Pfad ein, der zu einer Reihe von Grabsteinen führte. Mein Gefühl sagte mir, dass das der richtige Weg war und innerlich hoffte ich, dass mein Herz mich richtig führte. Ich vertraute ihm, denn mein Herz sagte mir immer die Wahrheit und hatte mich noch nie enttäuscht.
Auch nicht heute.
"Jeon Soojung", las ich leise vor, als wir vor einem Grab zum Stehen kamen und schaute zu Jungkook. Beinahe fassungslos starrte er das Grab an, schien offensichtlich nicht glauben zu können, dass er wirklich hier war. Dass wir wirklich hier waren. Dass es wirklich hier war. Wahrscheinlich wirkte diese Situation für ihn wie ein Traum, bizarr und unwirklich. Ein surreales Szenario, dass er sich niemals erträumt hätte.
"Großvater...", hauchte er leise und sank hinunter auf die Knie. Schnell setzte ich mich neben ihn, damit ich ihm Beistand leisten konnte und beobachtete, wie er seine Hand auf den Grabstein legte. Seine Augen huschten immer wieder über die Buchstaben, die auf den Stein geritzt waren und sein Gesichtsausdruck war gefallen, nur die pure Trauer war erkennbar. Seine Unterlippe begann zu beben und direkt biss er auf diese, um sie davon abzuhalten, allerdings war es längst zu spät. Langsam wurden seine Augen glasig, füllten sich mit Tränen und aus dem Nichts heraus ertönte auf einmal ein Schluchzen. Ein lautes Schluchzen. Überraschend laut. Jungkooks Schluchzen.
Das erste Schluchzen, das ich je von ihm gehört hatte.
Ich zögerte keinen Augenblick, sondern schlang meine Arme um ihn und drückte ihn an meine Brust. Sanft strich ich durch seine Haare und betrachtete ihn, beobachtete, wie er sich in mein Oberteil krallte und mit Mühe versuchte, etwas zu sagen. "I-Ich war so k-klein... als er v-verschwand... I-Ich... ich konnte mich n-nie verabsch-schieden...", wisperte er leise, mit zitternder und schwacher Stimme. Verstehend nickte ich und streichelte durch seine Haare, ehe ich meine Hand an seinem Hinterkopf verweilen ließ und sein Gesicht vorsichtig an meine Schulter drückte. Er sollte verstehen, dass es okay war zu weinen und er ruhig alles herauslassen durfte.
Ich würde hier an seiner Seite bleiben und für ihm da sein; seine rettende Schulter, die ihn vor den Fluten aus Erinnerungen bewahrte.
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Coffee ★ Taekook
FanfictionAngefangen hat alles mit einem Kaffee... Jeon Jungkook arbeitet in einem kleinen Café, Kim Taehyung ist ein erfolgreicher Geschäftsmann, der nebenbei den Geheimdienst Südkoreas unterstützt. Niemals sollten die beiden aufeinander treffen, niemals so...