Wiederaufbau

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Mit verzerrtem Gesicht öffne ich die Augen zu dem zu hellen Licht und brauche, bis sich meine Sicht bessert, bevor ich innehalte. Wo bin ich? Verwirrt in einem großen Raum zu sein und nicht in Hunters kleinem Wohnzimmer, richte ich mich auf.
Das Tippen auf einer Tastatur stoppt abrupt, doch meine Konzentration ist noch nicht wach, weshalb ich benommen um mich sehe. Ich bin in Brams Schlafzimmer?
"Guten Morgen. Wie geht es dir?" höre ich es weich zu meiner Seite und blicke darauf mit prickelnder Haut in Brams besorgtes Gesicht. Seelenruhig legt er den Laptop zur Seite, an dem er bis eben gearbeitet hat, und rutscht ein wenig näher.
Stockend suche ich in seinen Augen nach der Antwort, doch sie wirken so aufrichtig, dass ich mich wie im falschen Film fühle. Wieso sieht er mich so an?
Dann schlägt alles mit einem Mal auf mich ein und ich erstarre. Jegliches Blut sackt aus mir, doch ich atme tief durch, um nicht in mein altes Schema zurückzufallen. Deine Schuld, wirspert es in mir und gibt mir den Rest.

Ohne seine Frage zu beantworten schmeiße ich mich aus dem Bett, um schnell in das Bad auf derselben Etage zu gehen. Ich schließe sogar ab, um ungestört an das schwarze Becken zu gehen, obwohl mich Bram dafür bestimmt noch bestrafen wird.
Aber in diesem Moment interessiert es mich nicht. Nichts interessiert mich mehr.
Auch wenn ich tiefe, fast keuchende, Atemzüge mache, während ich mich an das Waschbecken kralle, kommt es mir dennoch vor, als würde ich nicht genug Luft bekommen.
Zitternd hebe ich den Blick und begegne darauf meinem grausamen Anblick. Kranke Blässe lässt die Schatten unter meinen Augen hervorstechen und der irre Blick der blutunterlaufenen Augen lässt mich scharf einatmen. Kein Wunder, dass mein Gesicht pocht und schmerzt. Es ist angeschwollen und meine Lippen wirken, als wären sie soeben einer Botoxfüllung unterzogen worden, die unheimlich schiefgelaufen ist.
Ungläubig streiche ich meine wirren Haare glatt, doch die zitternde magere Hand wirkt so zerbrechlich, dass ich sie schnell wieder senke, um sie nicht länger sehen zu müssen. Ich bin vollends zum Wrack geworden..


Bram pov.

Mit einem dumpfen Stechen sehe ich zu, wie Willow aus dem Zimmer flüchtet. Doch ich lasse sie, weil ich verstehen kann, dass sie ihre Zeit braucht. Sie sah so blass aus, wie ich sie bisher noch nie gesehen habe. Außer gestern. Hat sie jetzt Angst vor mir, weil ich jemanden vor ihren Augen ermordet hatte?
Verzweifelt lasse ich den Kopf hängen und gehe mir durch das Gesicht. Ich konnte wegen ihr kaum ein Auge zukriegen. Und wegen der Sicherheitsmaßnahmen, die ich noch machen wollte, sobald ich sie wieder bei mir hatte. Ich weiß nicht, wie ich jetzt weiter vorgehen sollte.
Seufzend sehe ich auf meinen Laptop, an dem ich für gute drei Stunden gearbeitet habe, bis sie wach wurde. Sie fürchtet mich. Gut so.
Die innere Stimme lässt mein Gesicht schmerzerfüllt verziehen. Es ist nicht gut. Aber sie ist hier. Und das ist alles, was zählt. Ich konnte mir nicht ausmalen, was mit ihr geschah, während ich nicht bei ihr sein konnte. Und obwohl ich selbst mit ihr noch einiges zu klären habe, will ich sie vorerst in Ruhe lassen. Ich muss die Wut der letzten Tage unterdrücken.

Da ein Service aus verschiedenen Gründen zu riskant wäre bin ich es, der in der Küche steht, bis Willow endlich aus dem Bad kommt. Ihre Haare sind nass, ihr Blick nach unten gerichtet und die Schritte sind eher ein Schleifen, was mich einen Moment besorgt innehalten lässt.
Nun fällt auch mehr denn je ihre schon magere Figur auf. Ihre schönen Kurven, über die ich so gerne die Hand einfach streichen ließ, sind abgeebbt, und ihre Wangen werden immer fahler.
Mit festerem Griff um den Pfannenwender starre ich sie gedankenverloren an und rutsche plötzlich in alte Erinnerungen, wo sie nicht so war. Wo sie meine Berührungen willkommen hieß und ich jede Sekunde genoss, als wäre es meine letzte.
Doch ich unterdrücke diesen Drang, unterdrücke ihr Stöhnen in meinem Kopf, und versuche mich mit der Wut auf den letzten Typen abzulenken, der sie in die Arme genommen hat. Er hat es verdient.
Sofort weicht die Wärme einer enormen Kälte und ich kann mit neu gefundener Ruhe Willow entgegenkommen. "Hast du Hunger?" lege ich die Hände um ihre Schultern und streichle sie bestärkend.

Einen Moment überlegt sie, bevor sie träge den Kopf schüttelt. Mit verzogenem Mund ignoriere ich die aufbauende Leere in meinem Inneren. "Willow, du musst etwas essen. Bitte, tue es für mich?" drücke ich ihren Kopf nähesuchend an meine Brust und streiche über ihre Wange und ihren Rücken. Kurz streubt sie sich gegen die Umarmung, bevor sie sich darauf einlässt und die Augen erschöpft schließt.
Ich habe sie so sehr vermisst. Alleine ihre Atmung nicht mehr an mir spüren zu können hat mich in tiefe Verzweiflung gestürzt. Ich würde sie am liebsten in mein Bett zerren und nie wieder rauslassen, doch sie wirkt so zerbrechlich, dass ich nichts überstürzen will. "Versuchst du es?" frage ich leise und hebe ihr Gesicht zu mir an. Nur kurz lässt sie mich das schöne Grün ihrer Augen sehen, bevor sie alles tut, um meinem Blick auszuweichen und es lässt mich anspannen.
Vor der ganzen Scheiße, die sich diese Hooligens erlaubt hatten, war sie nicht so. Sie suchte meine Nähe und ließ sich auf alles ein, auch wenn ich einigem davon nicht getraut hatte, dass sie es wirklich machte, weil sie es wollte, aber sie ging einen guten Weg. Und jetzt soll das weg sein?

Ihr nicken bringt mich zurück ins hier und jetzt, was mich entspannen lässt. Sie braucht jetzt viel Tee und bestenfalls Fett. Ich werde sie noch richten.


"Ist sie gerade hier?" kommt es plötzlich von meinem Dad. Die kühle in seiner Stimme sagt genug aus, während er die Dokumente sortiert, die wir bis eben durchgegangen sind.
Ich muss zwar arbeiten, aber ich will Willow keines Falls alleine lassen, weshalb ich meinen Vater irgendwie dazu gebracht hatte zu mir zu kommen, statt es in seinem Penthouse auszusprechen.
"Ja, aber ihr geht es nicht gut."
Ohne weiteres dazu zu sagen zückt er sein Arbeitshandy und stöpselt sich den Bluetoothhörer ins Ohr, um ein Telephonat zu tätigen. Erst dann kommt sein Verstand zurück zu uns, jedoch meidet er meinen Blick. "Rufus, starte den Range Rover." gibt er monoton von sich und kritzelt etwas in sein Notizbuch, bevor er es laut schließt und das Band dazu umwickelt.
Stumm geht Rufus - der die ganze Zeit mit in meinem Büro stand - seiner Aufgabe nach.
Dad weiß nichts von dem Vorfall vor einer Woche, wofür ich gesorgt habe. Rufus darauf umzustimmen war nicht leicht, vor allem, weil wir eine Erklärung finden mussten, dass er für einige Zeit nicht anwesend sein konnte, während er sich seine Schusswunde stechen ließ. Aber er tat alles, um die Geschehnisse vor seinem Chef geheim zu halten.
Niemals sollte Dad von meinen Untergrundgeschäften erfahren. Sonst enthauptet er mich des Familiennamens, da es mit illegalen Tätigkeiten in den Dreck gezogen werden würde. Und auf Risiken steht er gar nicht.

Wortlos richtet sich mein Vater auf, nachdem er die Akten in seine Tragetasche verstaut hat und geht zur Tür. Im Stuhl zurücklehnend dachte ich, dass es das war, doch er bleibt im Türrahmen stehen, ohne sich zu mir zu drehen. "Ich hoffe, du bist schon dabei das Mädchen abzuwimmeln?"
Mit stechendem Blick betrachte ich seinen Rücken, der nie etwas anderes als Hemd und Sakko über sich hat. Mit angespannten Armen kralle ich die Finger in die Armlehnen, um meinen Hass nicht über die Lippen dringen zu lassen. "Ja, sie soll erstmal wieder gesund werden."
Einen Moment ist er still und verstaut sein Smartphone in der Hosentasche. "Ich lasse dir Zeit zur Verabschiedung, aber ich hoffe doch, du hälst unser Versprechen. Du weißt, was passiert, wenn man es bricht."
Natürlich. Selbst bei seinem eigenen Blut würde er nicht zurückschrecken. Und der Fakt, dass ich ihn dazu gezwungen habe mehr Zeit in dem damaligen Wohnort seiner Seelenpartnerin zu verbringen, lässt in diesem Moment keine Zuneigung für mich übrig. "Ja." antworte ich gepresst und spüre, wie meine Muskeln bald vor Anspannung reißen werden.
"Spiele nicht mit meiner Geduld, mein Junge." gibt er noch emotionslos von sich bevor er vollkommen verschwindet.

Angepisst drehe ich mich im Stuhl zur Fensterwand und starre den gegenüberliegenden Wolkenkratzer hoch, bis ich den blauen Himmel erblicke. Niemals werde ich Willow nach all dem aus meinen Händen gehen lassen. Ich werde die Bedingungen meines Vater noch irgendwie nachgehen können, ohne sie zu verlieren, auch wenn es waghalsig ist und eine Aufgabe sein wird, um die ich mich mein gesamtes Leben kümmern werde müssen.
Ich werde seine Schnepfe heiraten, aber er muss nicht wissen, dass ich Willow währenddessen für immer versteckt halten werde.

I'll get youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt