Realität

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"Braaaam!" kommt uns Lennard grinsend im weißen Shirt entgegen und hat die breiten Arme weit zu den Seiten erhoben, während er die gigantische Treppe hinabsteigt, die zu einer riesigen weißen Villa führt. "Mein treuer Bruder ist wieder da."  Der Angestellte, der uns hergeführt hat verabschiedet sich somit stumm, um sich um unser Gepäck zu kümmern.
Eher mit steinernem Gesicht umarmt Bram seinen Kumpel nach einem festen Einschlag, weil er immer noch von Chloes Äußerung angepisst ist. Doch das leichte erheben seiner Mundwinkel beruhigt mich.
"Schon lange nicht gesehen. Wo warst du?" strahlen Lennards blaue Augen, bevor sie mich erblicken, "Ach, ich glaube ich habe da schon eine Vorahnung." grinst er schief und ich gebe ihm verhalten die Hand.
"Wo ist die Party? Ich dachte die wäre schon im vollen Gang, bis wir ankommen." fragt Bram, während sein Kumpel die anderen begrüßt, die mit uns angekommen sind.
Schon aus dem Jet konnte ich erkennen, wieviel diese Insel eigentlich bietet. Sie ist vielleicht nicht gigantisch und man kann die einzelnen Villen innerhalb eines kleines Spazierganges erreichen, aber neben dem kleinen Flugplatz gibt es genug exotische Bäume und Palmen, in denen man sich verlieren kann, als auch viele kleine nebenbeistehende Strandhäuser. Ganz geschweige denn von den riesigen Pools, die sich an die Villen anschließen.
"Ach, die wird erst Morgen richtig anfangen, aber die anderen sind drinnen und betrinken sich schon fleißig, solange wir auf den Rest warten. Kommt ruhig rein." winkt Lennard und steigt mit uns die Stufen zurück hinauf, um durch die weit geöffneten Türen zu gehen, die uns in einen Palast zu bringen scheinen.

Die Kühle drinnen unterscheidet sich gigantisch von der Hitze draußen und legt sich in einem angenehmen Hauch über meine Haut. Plötzlich ist mir in den hellblauen Shorts zu kalt und ich wünschte, eine dünne Strickjacke über die Schultern legen zu können, die in meinem Tanktop frei liegen.
Wir werden durch eine große Eingangshalle bestehend aus weißen Wänden geführt und direkt durch den offenen Durchgang weiter vorne, der auch hier weiße Fliesen weiterführen lässt.
Es erstrecken sich hohe Säulen aus dunkelroten Marmor vor uns, die angereiht zu einer weiteren Treppe hinten führen, die wohl zu den Schmachgemächen führt. Zur linken Seite geht es in einen Essenssaal, während auf der rechten Seite der Säulen ein offenes Wohnzimmer liegt, indem sich schon die ersten Menschen auffinden lassen.
Aber wir hätten sie auch ohne Lennards Hilfe gefunden, denn ihr Intus lässt sie laut durch die Gegend brüllen.

"Du Arsch!" ächzt eine Frauenstimme, während wir um die Ecke biegen und kommen in den Wohnbereich mit einem fetten Kamin am Ende. Deckenhohe Fenster im viktorianischen Stil bestücken die komplette Wand, und beleuchten die edlen dunkelblauen Sessel mit geknöpften Kissen, während der Ausblick auf Palmen rausgeht. Mittendrin steht ein Typ auf dem Kaffeetisch aus Mahagonie und wedelt vor der gesamten Truppe einen Spitzen-BH vor der Nase einer Braunhaarigen, die ihn wütend anfunkelt.
Es sind mindestens 15 Personen hier versammelt und betrachten das Schauspiel. Einige konzentrierter, als andere. "Gib mir den sofort zurück!" knurrt sie und hat ihren zierlichen Körper angespannt.
"Bringe mich doch dazu." gibt der trainierte Typ von sich und lächelt verschmitzt, bevor er einen Schluck seines Biers nimmt, dass er in der anderen Hand hält.
"Oookay. Ich glaube ihr seid schon genug angeheitert, um für die nächsten Tage durchzufeiern." lacht Lennard und alle sehen zu ihm, "Aber ich wäre euch wirklich dankbar, wenn ihr euch nicht gleich die Kehle aufschlitzt."
Ich an seiner Stelle hätte mir Sorgen um die dreckigen Chucks gemacht, die auf dem unbezahlbaren Möbelstück tanzen, doch solche Dinge interessiert wohl die Reichen nicht.

"Also, die anderen haben geschrieben, dass sie in 30 Minu-"  "Willow!!"
Erstarrend sehe ich von Lennard weg, der verwirrt ist, unterbrochen worden zu sein und bekomme einen Schock durch meinen Körper gejagt, als ich Maddy von einer der Couchen hochschießen und mit breiten Armen auf mich zurennen sehe. Mit großen Augen halte ich den Atem an und verspüre ein gewaltig eigenartiges Gefühl in mir, als ich sie zu mir flüchten sehe. Ihre grau-blonden Haare sind von der Sonne noch blasser geworden und ihre kastanienbraunen Augen scheinen mit der stark gebräunten Haut eins zu werden. Die Augen, die mich über die Monate in meinen Träumen verfolgt haben und ich so sehr herbeigewünscht habe.
So lange wollte ich sie sehen, dass ich es jetzt nicht einmal wahrhaben kann. Ich befürchte sogar, dass sich ihr Körper mit dem reinkommenden Licht auflösen würde, bevor sie mich überhaupt erreicht. Doch sobald ihr kurvenreicher Körper gegen meinen prallt und mich fest an sich zieht, ist es, als würde sie mich direkt in die Realität ziehen.
Meine Gedanken werden schärfer, sobald sie ihre Wärme auf mich ausbreitet und alleine der Druck ihrer Arme lässt alte Gefühle in mir aufwallen, die meine Augen aufbrennen lassen.
Sie ist wirklich hier.
Verspätet lege auch ich die Arme um sie und möchte sie so fest an mich drücken, wie nur möglich, während ich das Chaos in mir nicht verstehe. Etwas wallt in mir auf, doch ich kann es nicht identifizieren, solange ich Mühe habe, mein Kinn nicht kraus zu ziehen. Doch meine Sinne sind in diesem Moment scharf genug, dass sie plötzlich Brams Präsenz bemerken. Er hat etwas mit dieser Sache zu tun.

"Oh mein Gott, wie geht es dir?" bombadiert sie mich sofort, als sie mich von sich drückt und mir ein bezauberndes Lächeln offenbart.
Schwer schluckend hoffe ich, dass man mir die unterdrückten Tränen nicht ansieht. "Gut. Dir?" krächze ich, was sie die Brauen verwirrt zusammenziehen lässt.

"Was ist los?" Sofort merke ich, wie Bram sich neben mir anspannt und ein wenig mehr zu uns dreht, obwohl Lennard seine Rede weiterführt, ohne uns weiter zu beachten.
Schnell schüttle ich den Kopf. "Nichts. Ich bin nur ein wenig überrumpelt, dich endlich nach all der Zeit wiedersehen zu können." versuche ich besänftigend zu lächeln.
"Oh, aber wir haben doch ununterbrochen geschrieben." lacht sie bezaubernd, als wäre das die Antwort aller Antworten.
Betroffen schließe ich die Augen und nehme Bram mehr denn je war. Er hatte gelogen. Das wird mir sofort klar. Maddy hatte nicht angefangen mich von selbst zu ignorieren. Die ganze Zeit hatte er mit ihr in meinem Namen geschrieben und die Erkenntnis lässt ein Stechen in meiner Brust aufkommen. Es tut weh.
"Es ist dennoch etwas anderes persönlich miteinander zu reden." wirft er ein, während sich seine Hand zwischen meine Schulterblätter legt.

Ausgiebig begutachtet Maddy ihn, bis ich erkennen kann, dass sich ihre Mundwinkel kräuseln und auch ihr Blick vielsagend auf meinen trifft. "Stimmt. Wir haben uns einige Dinge noch nicht so detailliert genug erzählt, wie eigentlich nötig." zeigen sich ihre perfekten Zähne und sie nimmt im nächsten Moment meine Hand völlig aufgedreht in ihre und versucht ein glückliches Hüpfen zu unterdrücken. "Ich habe extra gewartet, bis wir uns sehen. Lass uns in mein Zimmer! Die anderen sind gerade eh zu beschäftigt mit trinken."

Sie zieht schon an meiner Hand und ist überzeugt zur Treppe hinten zu gehen, als Bram meinen Unterarm ergreift, den Maddy hält.
Überrascht dreht sie sich wieder zu uns und als sie sieht, dass nicht ich, sondern Bram uns aufgehalten hat, legt sie den Kopf schief. Ersichtlich verwirrt.
"Ich glaube, das kann warten. Willow und ich sind ein wenig fertig von dem Flug und würden erst einmal unser Zimmer sehen." erklärt er ruhig und lässt mich versteifen.
Ich selbst, weiß nicht, was ich tun soll. Ich weiß nicht einmal, welches von den Optionen ich befolgen wollen würde. Alleine mit Maddy zu sein oder alleine mit Bram. Jedoch hat er bei einer Sache recht. Ich bin ein wenig schläfrig, jedoch habe ich Angst, Maddy aus den Augen zu verlieren, sobald wir uns trennen. "Komme doch mit uns!" kommt es ein wenig überstürzt von mir und auch mein Lächeln muss ein wenig zu angestrengt wirken. Doch sie merkt nichts davon.

Mit Schmollmund lässt sie nicht von meiner Hand ab, die Bram immer noch zurückzuhalten versucht. Es ist merkwürdig die Wärme der bedeutensten Menschen in meinem Leben gleichzeitig an mir zu spüren.
Auch Bram sieht mich darauf streng über die Schulter an. Jeder andere hätte seinen Blick als gleichgültig gegolten, doch ich kenne ihn inzwischen gut genug, um den irritierten Funken darin zu erkennen.

I'll get youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt