Einsamkeit

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Erst, als wir direkt vor der Tanzplatte stehen, kann der Bass der lauten Musik meinen eigenen Herzschlag übertönen. Dauerhaft muss ich an Maddy und Orsin denken, die ich gestern zuletzt gesehen habe, weil Bram mich in unserem Strandhaus hartnäckig barikadiert hat.
Als Maddy heute Nachmittag an der Tür geklopft hatte, weil sie mit mir zum Pool wollte, hatte er die Ausrede genutzt, dass wir ja doch nicht, wie versprochen, gestern geschlafen haben, sobald er wieder da war, und sie zur Strafe nicht zu mir lassen wollte.
Aber ich weiß, dass es nicht das war. Jedenfalls nicht nur. Das hat sich schon mit den Fragen bewiesen, die er mir über unsere gemeinsame Zeit gestellt hat, nachdem Maddy abgehauen war.
Und jetzt weiß ich nicht, wie ich mit ihr umzugehen habe. Wie ich sie am besten von Brams Visier abhalten kann. Dabei schmerzt es, dass es mit ihm nicht einfach normal sein kann. Dass ich nicht endlich unsere Zeit einfach genießen kann, statt mir dauerhaft Sorgen machen zu müssen.

Erschöpft seufze ich, während er mich an der Hand aus dem Trampelpfad direkt auf den Sand führt, der um die leuchtende Tanzfläche liegt. Gleich zu dem hölzernen Pavillion, unter dem eine blinkende Bar steht, an der schon jemand fleißig mixt.
Überall stehen junge Erwachsene - die meisten jetzt schon gut angeheitert. Zum ersten Mal sehe ich alle versammelt, seit der Rest gestern angekommen ist. So sind es tatsächlich rund 45 Menschen, die sich hier amüsieren, aber den Gastgeber würde man in jeder Menschenmasse wiederfinden. Jemand wie Lennard geht auch gar nicht so leicht unter. Vor allem nicht, wenn die Mädels sich so verräterisch um ihn tummeln, um ihn mit den Blicken zu verschlingen.
Und dennoch steuert Bram ihn an.

Achtlos drängt er sich durch die aufreizend gekleideten Frauen, als wären sie nutzloses Pack, und zieht selbst mich mit rein, obwohl ich am liebsten in die nächst beste Ecke gerannt wäre, um mich den giftigen Blicken zu entziehen, die nun auf uns liegen.
"Würdest du mit dem prahlen jetzt aufhören, um mit deinen Freunden Spaß zu haben?" brummt er, doch weiß, dass man bei Lennard nicht zu arschig sein sollte, weshalb er ein schiefes Grinsen aufsetzt, um die Worte milder erscheinen zu lassen.
Die Sonne ist schon fast vollkommen im Horizont verschwunden, doch das Grinsen, dass darauf auf dem Gesicht des blonden Typens erscheint, strahlt so sehr, dass keinem aufgefallen wäre, dass inzwischen schon Nacht ist.
Er stößt sich von der Bar ab, an der er locker gelehnt hat und nimmt sein Glas fest in die Hand, bevor er Bram einen begrüßenden Handschlag gibt. "Aber klar! Ich habe nur auf dich gewartet." ruft er durch die Musik und streckt die Hände zu den Seiten, was sein verschobenes Leinenhemd noch mehr von seiner kräftigen Schulter präsentieren lässt. Sie ist zwar nicht so beeindruckend, wie die von Bram, doch beeindruckend genug, um die Blicke aller Frauen um ihn nur darauf zu wenden. Man spürt, wie alle um uns abrupt stumm geworden sind.
Ohne sich weiter für seine Schwärmerinnen zu interressieren, packt er Bram an den Schultern und dreht ihn weg, was unser Händchenhalten beendet. Kurz fühle ich mich verloren und kann nur zusehen, wie die Jungs redend weggehen, doch komme zu mir zurück, als ich die Spannung der versetzten Frauen schon spüre und gehe schnell hinterher.

Zwar erkundigt sich Bram mit einem Blick nach mir, doch Lennard lässt mit seinem Griff an ihm nicht zu, dass er meine Hand nehmen kann. "Morgen können wir die Jetskies verwenden, solange alle auskatern werden." redet Lennard weiter, doch ich bin mir nicht sicher, ob ich dem Gespräch Ohr schenken sollte, weshalb ich einfach um uns sehe, während sie eine Sitzecke unter riesigen Blättern ansteuern.
Das verlorene Gefühl wird stärker, als ich Maddy nirgends entdecken kann. Aber sollte ich überhaupt zu ihr? Eigentlich will ich bei Bram bleiben. Da wäre es am sichersten. Für alle.


Während alle in Hochstimmung sind sitze ich einsam neben den Jungs und spiele mit dem Strohhalm meines leeren Glases, das mir ein weiterere Kumpel von Lennard gebracht hat, bevor er sich dazu gesellt hat. Jedoch war das die einzige Aufmerksamkeit, die ich seither bekommen habe, und sie bleiben unter sich, auch wenn Bram mir seine Hand auf das Knie gelegt hat, um mir zu zeigen, dass er mich nicht vergessen hat.
Ihre Gespräche gehen entweder über das Geschäft oder um coole Erlebnisse, die nur für Jungs interessant sind. Also höre ich ab einem gewissen Punkt gar nicht mehr zu.
"Wieso holst du dir nicht noch ein Glas und sprichst mit den Mädels?" hat sich Bram zu meinem Ohr gelehnt, ohne, dass ich es bemerkt habe.
Verwundert sehe ich ihn an. "Ich-..Sicher?"
Er lächelt schief und streicht über mein Knie. "Klar. Geh ruhig. Wir sind hier falls was."
Einen Moment mustere ich ihn noch verzweifelt, doch verstehe die versteckte Aufforderung und stehe stumm auf.

Da die meisten versorgt sind oder sich selbst etwas mischen, kann ich mich problemlos auf einen der weißen Hocker setzen und mir bei dem jungen Barkeeper ein Getränk bestellen, die hier auf Lennards kosten serviert werden. Jedoch frage ich mich, wie viele Flaschen an Alkohol er zuvor herliefern gelassen hat, um das möglich zu machen.
Zwar meinte Bram ich soll mich mit anderen Mädchen unterhalten - und etwas weiter zu meiner Seite steht auch eine lachende Gruppe unter dem Pavillion-, aber mir ist nicht nach Kontakten zumute. Sicherlich war ihm das bewusst.
Also lege ich die Arme trostlos auf die menschenverlassene Theke und beobachte den Typen beim mixen. Er kann nicht viel älter als wir sein, doch versprüht kein Interesse, selbst an der Party teilzunehmen. Seine grünen Augen bleiben konzentriert an dem Cocktailshaker und zum ersten Mal, sehe ich, wie jemand damit arbeitet.
Das weiße Hemd ist hochgekrempelt, was attraktive Unterarme offenbart, die Tattoos aufweisen. Und dennoch muss ich dabei an Bram denken. Seine sprechen mich mehr an, was mein Interesse an dem schönen Barkeeper auch schon verfliegen lässt. Ich hatte nichts von diesem Abend erwartet, aber hätte nicht gedacht alleine zu enden. Es ist bisher noch nie passiert, dass Bram mich nicht um sich haben lässt und die Feststellung trübt meine Stimmung mehr, als ich zugeben möchte.

Seufzend lehne ich den Kopf gegen meinen Handballen und warte auf meinen Cocktail. Dabei geht mein Blick von den malerischen Händen des Barkeepers, zu einer Person weiter hinten an der Bar.
Sie fällt mir sofort auf, da sie genauso, wie ich, alleine an der Bar sitzt. Jedoch besitzt sie ein Smartphone, dass sie ablenken kann. Und dazu ein mega teuer aussehndes.
Auch das dunkelrote Sommerkleid, dass genug von ihrem Dekoltè preisgibt, sieht so unbezahlbar aus, wie die Kleidung der anderen um uns. Und ich merke immer mehr, wie das alles nicht meine Welt ist. Dabei habe ich mir immer selbst vorgestellt an einem schicken Strand mit Alkohol zu sitzen, während ich keine Sorge um Geld haben brauchte und dem Meer lauschen konnte. Und jetzt habe ich das. Sogar besser, als eigentlich erträumt. Aber sobald ich auf das dunkle Meer rechts von mir blicke und den Wellen beim rauschen zusehe, empfinde ich nichts, als Einsamkeit. So hatte ich es nie gewollt.
Da das Meer mich nicht aufheiter sehe ich wieder zu dem Mädchen, dessen Gesicht weiterhin von dem Smartphone beleuchtet wird, während sie es mit zusammengezogenen Brauen mustert, die über ihrer schwarzen Brille hervorlugen. Das dunkle Haar so seidig, wie ich es selbst immer wollte. Fakt ist: Alle hier sehen besser aus, als ich es je könnte.

Meine Gedanken werden unterbrochen, als mir mein Cocktail fertig hingestellt wird. Ich bringe unter Mühen ein dankendes Lächeln hervor, doch den Typen scheint es nicht zu interessieren, denn ohne mir auch in die Augen zu sehen, wendet er sich genauso schnell ab, um die Theke zu säubern. Kein Interesse darauf mit jemanden hier zu reden. Das Mädchen scheint jetzt wen anzurufen und wendet sich ab, weshalb auch ihre Präzens mich nicht mehr ablenken kann.
Es ist, als wäre ich wieder in der Schule, nachdem ich zu allen den Kontakt abgebrochen hatte, um mich endlich auf den Stoff zu konzentrieren und mein Leben zu ändern. Bedrückt blicke ich auf die bläuliche Flüssigkeit vor mir und spiele schon mit dem Gedanken, einfach zum Strandhaus zurück zu gehen.

Doch genau da werde ich stürmisch von der Seite umarmt, dass ich fast vom Hocker falle. "Da bist du ja endlich!" quietscht Maddy, deren blümiges Parfüm den Salzgeruch verdrängt, der vom Meer ausgeht. "Wo warst du die ganze Zeit?!" lächelt sie mir darauf aufgeregt ins Gesicht und ich kann anhand ihrer entspannten Gesichtsmuskulatur erkennen, dass sie schon deutlich mehr Gläser hinter sich hat, als ich.
"Ich war dahinten bei Bram und Lennard." brumme ich immer noch trüb, doch alleine ihr Anblick vertreibt mir die Leere.
Stutzig krümmen sich ihre Brauen, bevor sie dort hinsieht, wo ich hindeute.
"Das ist ja vollkommen Abseits. Aber wenigstens hat dich Bram nicht mehr unter seinen Fängen. Also komm!" meint sie wieder strahlend und packt meine Hand, um mich stürmisch vom Hocker zu ziehen.
"Maddy!" meine ich schockiert und verschütte nur geradeso nicht meinen kompletten Drink auf die Theke. Doch sie schenkt mir nur einen kurzen musternden Blick, bevor sie mich einfach weiterzieht. "Wo willst du denn hin?" Wir gehen um das Pavillion und weg von Bram. Dahinter geht es weiter zu vielen Sitzgelegenheiten unter blauem und violetten Licht, die den Sand wie überirdisches Wasser aussehen lassen. Die nächste Bar ist nur wenige Meter weiter schon zu erkennen, doch sie zerrt mich zu den weißen Couchen.
"Zu den Anderen! Ich habe dich gesucht, du Kuh. Ich will unbedingt, dass du Orsin kennenlernst." meint sie unter der Musik, die hier ein wenig leiser ist, als direkt an der Tanzfläche. Dabei stampft sie barfuß -so wie die meisten hier- über den seidigen Sand, als würde sie einen Berg erklimmen. Man sieht sie selten unelegant laufen. Doch sie scheint es nicht zu interessieren. Sie grinst von einem Ohr zum anderen, während wir uns einem der hinteren Sitzgruppen nähern.
"Aber ich kenne ihn doch." kichere ich leise und merke, wie damit auch die letzte Einsamkeit vertrieben wird.
"Aber nicht so richtig!" wirft sie begeistert ein, ohne den festen Griff um meine Hand zu lockern, "Ich habe genau gesehen, wie skeptisch du warst, als ich dir von ihm erzählt habe. Also will ich, dass du dich selbst von ihm überzeugst."

I'll get youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt