Er ruft

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Es ist schon dunkel, als ich die erste Erschöpfung merke, aber ich kann trotzdem nicht schlafen.
Dank der wenigen Lichter, die durch das riesige Fenster aus der Innenstadt hindurchkommen, kann ich Brams schlafendes Gesicht ein wenig erkennen. Auch seine Atmung ist seit einiger Zeit ruhig und gleichmäßig, weshalb meine Angst, dass er sich jeden Moment auf mich stürzt, immer kleiner wird.
Umso mehr wächst mein Mut ihm den Schlüssel aus der Hose zu ziehen, der mich schon fast von seinem Gefängnis aus anschreit.
Zwar kann ich immer noch nicht glauben, dass Bram plötzlich zum Psycho mutiert ist, nicht, wenn sein gewohnter Charackter so oft zum Vorschein kommt, aber wenn er wirklich plant, mich hier gefangen zu halten, will ich versuchen zu entkommen.
Mit rasendem Herzen baue ich meine letzten Ängste ab und fange vorsichtig an die Hand unter die Decke fahren zu lassen, während ich sein Gesicht hier und da ansehe. Das leise Rascheln der Bettwäsche kommt mir in der Stille ungewöhnlich laut vor, aber sein Gesicht bleibt friedlich, selbst, als meine Hand langsam über seine Hüfte, Richtung hintere Hosentasche wandert.
Ich stütze mich in Zeitlupe auf, um weiter hinter ihn wandern zu können, als meine wandernde Hand unglaublich fest am Gelenk gegriffen und aggressiv aus der Decke gezogen wird. Leise  aufjauchzend sehe ich erschrocken zu Bram, dessen Augen nun sperweit offen sind und mich an die eines Dämons erinnern. "Du kapierst es immer noch nicht." brummt er verschlafen, während er jedoch hellwach aussieht und seinen Griff an mir verfestigt, sodass ich wieder ein wenig vor Schmerz aufjauchze. Er zieht meinen Arm immer mehr zu sich, weshalb ich mich zurück auf das Kissen fallen lasse.
Unerwartet beißt er mich provokant auf die Innenseite und ich gefriere von der Geste. "Aber ich habe schon irgendwie erwartet, dass du deine Dummheit wieder spielen lassen wirst, weshalb ich nur oberflächlich schlafen konnte." Seine Stimme verpasst mir wieder einen angenehmen Schauer, der mich verwirrt. Er seufzt erschöpft auf, bevor er geschwollen weiter spricht. "Ich schätze, dann ist es doch noch zu früh gewesen, neben dir zu schlafen."
Als er mein Handgelenk endlich loslässt fange ich sofort an es zu massieren, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Doch er fängt an aufzustehen und murmelt ein "Dann muss ich wohl vorerst in einem anderen Zimmer schlafen."

Ungläubig setze ich mich auf und beobachte, wie er den Schlüssel heraus holt und die Tür aufsperrt. "Ach," dreht er sich noch um und lehnt sich müde an die Tür, um mich anzusehen, "Und diese Aktion wird noch eine Strafe mit sich bringen. Gute Nacht."
Damit schließt er die Tür hinter sich und schließt sie wieder ab. Mit aufwallenden Tränen kann ich den Frust nicht kontrollieren und ergreife das Kissen auf dem er geschlafen hat, um es mit voller Wucht gegen die Tür zu werfen. Doch es prallt nur dumpf auf den Boden und nichts passiert.
Die Stille ist plötzlich erdrückend und ich verspüre ein altes Gefühl aus meinen alten Zeiten, wo mich Mom in meinem Zimmer eingesperrt hat, wenn sie mich nervig fand. Es ist wie damals und ich bilde mir ein, wie die Wände mich beobachten. Wie sie prophezeihen, dass etwas schlimmes mit mir passieren wird. Die Tränen verlassen meine Augen und der Ausbruch meiner Schwäche verursacht, dass ich mich zusammenkullere und die Hände unkontrolliert an meine Schläfen presse. Das kann nicht wieder passieren. Ich will das nicht nochmal erleben. Was, wenn Bram mich vergisst und ich wieder verhungernd warten muss, bis sich die Tür öffnet? Was, wenn sie sich diesmal gar nicht öffnet?
Panisch wimmere ich auf und wiege mich gestresst. Es ist nicht real. Solange ich das glaube, wird alles gut.

Ich bin besser, als das. Ich habe mich schon lange nicht mehr so gefühlt und brauche auch jetzt nicht damit anfangen. Gegen meine Panik ankämpfend springe ich aus dem Bett und gehe hyperventillierend durch den Raum, um mich zu beruhigen. Meine Hände zittern, während ich mir durchs Haar gehe und bleibe abrupt stehen. Ich lasse sie auf meinen Schultern ruhen und halte den Atem an, als ich aus dem Fenster sehe, wo leichter Lichtschein eintritt. Mein Herz wird wieder langsamer und ich atme tief druch, bevor ich mit schweren Schritten auf das Glas zusteuere und mich daneben an der Wand sinken lasse. Mit steifem Blick sehe ich das gegenüberliegende Gebäude so weit es geht hinunter, während meine Knie sich an die kühle Scheibe lehnen.
Der Anblick lässt meine Gedanken erstillen und ich kann von hier aus über wenige Gebäude blicken, die etwas weiter weg an einer Kreuzung stehen. Ich will diesen Irrsinn nicht wahrhaben. Ich werde nichts tun. Nicht essen, nicht trinken, nicht reden.
Soll er doch machen, was er will. Und doch springt mein Herz kurz ängstlich auf, bevor die Lichter mich wieder in einen Stand-By-Modus versetzen, damit ich ja nicht vor Brams aggressiven Charakter Panik bekomme. Das einzige, dass ich mir erlaube, ist, mit dem Daumen über die Innenseite meines Handgelenkes zu streichen, dass er eben so grob umpackt hat. Immer wieder rauf und runter, ohne, dass ich es wirklich wahrnehme und den schmerzhaften Druck, den ich ausübe, nicht beachte.

I'll get youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt