Leben und Sterben

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Firiel stand an ihrem gewohnten Platz am Fenster und sah nach draußen. Sie langweilte sich. Es war nun einige Tage her, seit Arvedui zurück gekommen war. Seitdem verbrachte sie ihre Zeit wieder in der Zitadelle. Stunden brachte sie über ihrer Handarbeit zu oder las. Lange Spaziergänge auf den Korridoren waren nicht möglich, denn mittlerweile nahm die Last durch ihr ungeborenes Kind noch weiter zu.

Doch es gab auch gute Nachrichten. Die Zahl der Kranken ging immer weiter zurück. Am Vorabend hatte Orla ihr berichtet, dass seit zwei Tagen nun keine neuen Kranken mehr in das Hospital kamen. Langsam atmete die Stadt auf. Das Leben kehrte zurück. Firiel freute sich. Doch gleichzeitig fühlte sie sich mehr denn je eingesperrt. Sie vermisste das Gefühl von Freiheit, das sie in der letzten Zeit gehabt hatte. Eine Königin sollte nicht isoliert von allem sein, dachte sie.

Doch Arvedui wollte es so. Und trotz ihres gewachsenen Selbstvertrauens wagte sie noch keine offene Konfrontation mit dem König. Stattdessen langweilte sie sich hier in ihrem Gemach und lechzte jedes mal auf Neuigkeiten aus der Stadt, die Orla ihr brachte.

Die Tür öffnete sich und ihre Dienerin trat ein. Sie brachte ein Tablett mit Essen. Wortlos setzte Firiel sich an den Tisch und ließ Orla Suppe und Schinken vor ihr anrichten. Mit nur geringem Appetitt begann sie, zu essen. Warum ließ Arvedui ihr nicht die Freiheit, die sie sich wünschte? Nun, eigentlich war das einfach... Seit Generationen hatten die Königinnen von Fornost in Isolation auf der Zitadelle gelebt, als lebende Schmuckstücke. Hohe Damen von edler Geburt waren sie gewesen und für ihre Schönheit und Loyalität zum König bekannt. Keine von ihnen hatte sich in die Regierung eingemischt. Diese Erwartungen stellte Arvedui auch an Firiel. Zwar lag es nicht im Geringsten in Firiels Sinn, zu regieren. Aber sie erstickte momentan an ihrem Käfig.

Mit einem Mal knallte sie den Löffel auf den Tisch. Orla schrak hoch und eilte an ihre Seite. „Lass meine Stute satteln.", verlangte Firiel. „Ich reite in die Stadt." Orla nickte rasch und eilte davon. Doch Firiel konnte auf ihrem Gesicht noch ein erfreutes Lächeln sehen.


Wenig später saß Firiel auf dem Rücken ihrer Stute und folgte dem Verlauf der Straße den Zitadellenberg hinunter. Gegen den noch kühlen Wind im Frühjahr hatte sie sich einen Mantel aus leichtem, grünen Tuch umgelegt. Den Stoff hatte sie auch über ihr Haar gezogen. Der Wind hatte ein paar Strähnen hervor gezogen und die flatterten jetzt vor ihrem Gesicht umher. Mit einem glücklichen Lächeln ritt sie zum Marktplatz. Zu ihrer Freude sah sie auf der Straße mehrere Menschen. Sie alle sahen zu ihr hin und verneigten sich ehrerbietig vor ihr.

Sahil begrüßte sie im Hospital. „Meine Herrin! Ich habe nicht gerechnet, dass ihr kommen werdet. Ist es klug, in eurem Zustand noch hier arbeiten zu wollen?", fragte er ein wenig besorgt. Firiel wehrte lachend ab. „Nein, Herr Sahil, ich bin nicht gekommen, um zu arbeiten. Ich wollte lediglich sehen, wie hier die Dinge stehen. Nur zu Besuch bin ich heute.", erwiderte sie freundlich. Sie fühlte sich schon gleich viel freier, sobald sie die Mauern der Zitadelle hinter sich gelassen hatte.

So folgte sie dem Heiler durch das Hospital. Voller Freude sah sie, wie sich die Halle leerte. Nur noch wenig Betten waren belegt. Die Heiler sahen nicht mehr so überlastet aus, wie noch vor einigen Wochen. Früher hatte hier Verzweiflung und Angst geherrscht. Jetzt herrschte fast schon eine fröhliche Atmosphäre. Irgendwo hörte Firiel ein Lachen. Sie wandte sich Sahil zu, um ihm zu gratulieren, dass er es so weit geschafft hatte.

Doch plötzlich gab es einen heftigen Ruck in ihrem Bauch. Keuchend klappte sie nach vorne und presste die Hände auf ihren Leib. Fast blind von dem plötzlichen Schmerz rang sie um Luft. Nur verschwommen nahm sie alles um sich herum war, während Angst in ihr aufstieg. Was passierte da? Sie sank zu Boden. Unter sich spürte sie den harten Stein. Endlich ebbte der Schmerz ab. Aber irgendetwas stimmte nicht. Das wusste sie. Stimmen riefen aufgeregt durcheinander. Hände berührten sie.

Die letzte KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt