Die Elben von Lindon

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So schnell Firiel konnte, eilte sie den Hügel hinab zu den Feldern. Ihr Herz pochte vor freudiger Erregung. Kaum war sie zwischen dem wogenden Sommerweizen auf ebener Erde angekommen, begann sie zu rennen. Sie erreichte eine staubige schmale Straße, gerade breit genug für einen Ochsenkarren. Die Straße führte direkt zum Haus. Voller Hoffnung lief sie weiter.

Vollkommen außer Atem erreichte sie den Hof. Er bestand aus einem Haupthaus mit einer kreisrunden Tür und einigen kleineren Gebäuden, Ställe und Scheunen, wie Firiel vermutete. Doch sie beachtete sie nicht. Sie trat auf die Tür des Hauses zu. Plötzlich hielt sie inne. Was wenn man sie abwies? Zögernd verharrte ihre ausgestreckte Hand in der Luft. Nervös klopfte ihr Herz bis zum Hals. Doch sie musste es versuchen!

Sie holte tief Luft und klopfte energisch an der Tür. Drinnen bellte ein Hund. Dann ertönten Schritte. Ihr Kind an sich drückend, wappnete sich Firiel, während sie wartete. Schließlich öffnete sich die Tür. Vor Firiel stand ein Mann. Doch er war klein... Erstaunt blickte Firiel auf ihn hinab. Er war nicht größer als ein Kind, doch sein Gesicht zeigte, dass er eindeutig ausgewachsen war. Kraus lockiges Haar bedeckte ein rundliches Gesicht. Doch das erstaunlichste an ihm waren seine Füße. Groß, nackt und haarig ragten sie unter seiner Hose hervor.

Schnell mühte Firiel sich, ihre Überraschung zu überwinden. Ihr Gegenüber musterte sie misstrauisch von oben bis unten. Mit brennenden Wangen wurde Firiel klar, wie abgerissen sie aussehen musste. Die ursprüngliche Farbe ihres Kleides war kaum noch zu erkennen. Der Stoff war eingerissen und überzogen mit Dreck.

„Ja?", fragte der Mann schließlich unfreundlich. Firiel schluckte. Ihre Wangen waren heiß und ihr brach mit einem Mal der Schweiß. „Bitte, hilft uns!", begann sie mit zittriger Stimme, „Wir irren seit Tagen ohne Essen durch den Wald. Mein Kind..." Sie deutete auf Arion.

„Ihr wollt was?", fiel ihr der Bauer ins Wort. Abrupt verstummte Firiel. Dann sammelte sie sich wieder und sprach weiter. „Bitte, gebt uns etwas zu essen. Mein Sohn ist krank, wir brauchen eure Hilfe.", bettelte sie weiter. Kritisch sah ihr Gegenüber sie an. „Ihr seid ein Mensch, eine vom großen Volk.", sagte er kühl. Firiel nickte, in ihrem Kopf häuften sich die Fragen, wer und vor allem was dieser Mann vor ihr war. Bevor sie jedoch weiter sprechen konnte, sagte der Bauer: „Noch nie habe ich davon gehört, dass eine Frau der Langen allein unterwegs wäre. Was führt ihr im Schilde? Und warum seid ihr allein?" Er legte den Kopf schief.

Firiel holte Luft, um etwas zu erwidern. „Fort von meinem Hof!", knurrte der Bauer mit einem Mal. „Aber, bitte, mein Herr!", flehte Firiel, „Mein Sohn ist krank! Er wird sterben, wenn ihr uns nicht helft!" Tränen schossen in ihre Augen. Sie konnte es nicht glauben, dass er sie fort schickte. Alle ihre Hoffnung fiel in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Hilflos hob sie die Hände.

„Nein!", erwiderte er felsenfest, „Die Langen sind nur dann allein unterwegs wenn sie von ihrem eigenen Volk verstoßen wurden oder Verbrecher sind, oft ssogar beides. Und ich werde mich nicht in die Belange und Probleme anderer einmischen. Wer garantiert mir, dass wenn ich euch aufnehme, nicht hier innerhalb kürzester Zeit noch mehr Angehörige eures Volkes vor meiner Tür stehen?"

Heftig schüttelte Firiel den Kopf. „Das wird nicht passieren!", rief sie aus, „Ich bin allein, niemand folgt mir!" Doch der Mann blieb hart. „Verlasst auf der Stelle mein Land!", sagte er kalt, „Geht, oder ich lasse meine Hunde los." Hinter ihm ertönte ein Knurren. Geschockt stolperte Firiel rückwärts. Mittlerweile strömten Tränen der Verzweiflung über ihr Gesicht. Was sollte sie nun machen?

„Geht!", rief ihr der Bauer hinterher. Firiel blieb nichts anderes übrig. Sie drehte sich um, drückte Arion schützend an sich und ging davon. Das Bellen der Hunde verfolgte sie noch lange.

Die letzte KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt